San Francisco (dpa) - Ein Jahr ist es her, dass "Pokemon Go" zu einem weltweiten Phänomen wurde. Trauben von Menschen, die auf Smartphones starren, füllten den New Yorker Central Park genauso wie das Marsfeld in Paris.
In Düsseldorf wurde eine der kleinen Brücken an der Königsallee für den Verkehr gesperrt, weil sie von "Pokémon Go"-Spielern besetzt wurde (man erreichte von dort gleich drei "Pokéstops", in denen virtuelle Artikel zu finden sind). Und das obwohl die App in den ersten Wochen immer wieder stockte: Der Datenverkehr war 50 Mal höher als selbst für den Extremfall erwartet - und das zwang die Server erstmal in die Knie.
In dem Spiel geht es darum, die "Pokémon"-Cartoon-Monster zu fangen. Die App brachte die seit 20 Jahren populären Figuren schließlich in die Smartphone-Ära. Die typischen rot-weißen Pokébälle wirft man zum Fangen mit Fingerbewegungen auf dem Display. Die Pokémon tauchen auf dem Bildschirm auf, wenn man sich bestimmten Orten nähert - hier greift die Ortungsfunktion der Smartphones. Dabei können sie in die reale Umgebung eingeblendet werden, die von der Kamera erfasst wird: "Pokémon Go" ist das erste erfolgreiche Spiel mit der sogenannten "erweiterten Realität" (AR, Augmented Reality).
In den ersten zwei Monaten knackte "Pokémon Go" die Marke von einer halben Milliarde Downloads - ein beispielloses Tempo. Und dann? Dann passierte das gleiche wie bei weitaus den meisten Online-Spielen: Der Hype ließ nach. Von September bis Ende Februar wurde "Pokémon Go" noch 150 Millionen Mal heruntergeladen. Aber die aktiven Spieler - nach Schätzungen 5 Millionen täglich und 65 Millionen mindestens einmal im Monat - lassen beim Entwickler Niantic Labs die Kassen klingeln, wenn sie Zusatzartikel wie mehr Speicherplatz oder Brutmaschinen für Pokémon-Eier kaufen. Bei den Downloads ist die App im deutschen App Store von Apple nur auf Platz 115 - aber beim Umsatz in der Top 5. Analysten schätzen die bisherigen Erlöse auf über eine Milliarde Dollar.
Niantic brachte der Geldregen einen finanziellen Spielraum für neue Projekte und Investitionen, der den meisten im knallharten Geschäft mit Online-Spielen versagt bleibt. "Wir müssen jetzt nicht unbedingt etwas machen, was sich sofort rechnen muss", sagt Niantic-Chef John Hanke. Dem "wunderbaren Wahnsinn" der ersten Monate trauert er nicht nach. Die damalige "Pokémon-Manie" sei einem "gesunden Wachstum" gewichen. Zudem sei für Niantic die Zahl aktiver Nutzer wichtiger als Downloads. "Fast alle, die die App haben wollten, haben sie in den ersten drei Monaten heruntergeladen." Jetzt gehe es darum, die Nutzer im Spiel zu halten. Dafür brachte Niantic im Februar die zweite von bisher sieben Pokémon-Generationen in die App und änderte jüngst die Regeln für Arenen-Kämpfe, um mehr Bewegung ins Spiel zu bringen.
Der 49-Jährige Hanke war einst Mitgründer und Chef der Firma Keyhole, deren Technologie die Grundlage für den digitalen Weltatlas Google Earth lieferte. Hanke arbeitete bei Google erst an den Kartendiensten - folgte aber 2010 einem Traum. Er gründete unter dem Dach des Internet-Konzerns die Spiele-Firma Niantic und entwickelte das ortsbasierte Spiel "Ingress". Dabei geht es im Kern darum, virtuelle Portale in der realen Welt zu erobern. Die Datenpunkte von "Ingress" wurden für "Pokémon Go" wiederverwendet. Und Hanke will mit der Technologie noch weitere Spiele auf den Markt bringen.
Bei "Pokémon Go" gehe es ihm letztlich um ein sozialeres, gemeinschaftliches Spieleerlebnis, sagt Hanke. Menschen versammelten sich dafür in öffentlichen Räumen wie Parks, Städte würden dadurch lebendiger, Spieler bewegten sich mehr im Freien. "Wir wollen, dass Politiker auch daran denken, wenn sie sich übermäßig darüber sorgen, dass sich in einem Park mal mehr Müll ansammelt oder es Verkehrsprobleme gibt", sagte Hanke, nachdem er sich im vergangenen Herbst einer Anhörung im US-Kongress stellen musste. Zum Jahrestag kündigte Niantic Spieler-Treffen an, die Fans zusammenbringen sollen.
In der Zukunft wird man die "erweiterte Realität" mit Hilfe spezieller Brillen nutzen, ist der Niantic-Chef überzeugt. "Es ist nur eine Frage der Zeit, das erscheint mir unausweichlich." Heute sehe man, egal in welcher Stadt, Massen von Menschen, die mit den Augen auf dem Smartphone-Bildschirm durch die Straßen liefen. "Das ist keine vernünftige Art, das Internet unterwegs zu nutzen." Mit den Brillen könnte man sich dabei zum Beispiel alle möglichen Informationen einblenden lassen, ohne die Augen von der Umgebung zu nehmen. Und auch seine Games spielen: "Pokémon Go sollte auch in zehn Jahren noch da sein", sagt Hanke. © dpa
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