Erinnerungen sind ein elementarer Teil menschlichen Lebens. Man bewahrt sie im Gedächtnis, in Archiven und Datenspeichern auf, um sie hervorzuholen. Man will daraus lernen oder sie einfach nur nicht vergessen.

Eine Kolumne
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Jeder hat grundsätzlich ein Recht auf Erinnern. Dafür gibt es aber, wie für alle Rechte, Regeln. Sie sind wichtig, denn nicht jede Erinnerung ist rechtlich geschützt. Daten dürfen zum Beispiel nur so lange gespeichert werden, wie der Zweck der Erinnerung fortdauert.

Anlasslose Datenspeicherung auf Vorrat ist sogar verfassungsrechtlich und europarechtlich streng verboten. Das liegt daran, dass dem Interesse der Allgemeinheit und des Einzelnen an der Speicherung von Erinnerungen das Interesse eines anderen daran gegenübersteht, sich nicht an ihn zu erinnern.

Das Recht darauf, vergessen zu werden

Hat man ein Recht darauf, vergessen zu werden? Spitz betrachtet kann man das nicht sagen. Denn so wie Hass ein Gefühl und keine Meinung ist, ist Erinnern ein Zustand in den Köpfen der anderen, auf den das Recht keinen Einfluss hat.

Das Recht kann aber bestimmen, dass Erinnerungen nicht mehr hervorgeholt werden dürfen. So hat das Bundesverfassungsgericht in einer grundlegenden Entscheidung Fernsehberichterstattung über Straftäter untersagt, die ihre Strafe verbüßt hatten.

Wer wieder in die Gesellschaft eingegliedert wird, der hat kein Recht darauf, dass man ihn vergisst, wohl aber darauf, dass Medien zum Schutz der Rehabilitierung nicht über ihn berichten. In den Köpfen und Pressearchiven darf der Vorgang bleiben.

In Ausnahmefällen, etwa bei Leugnung der Grauen des NS-Regimes, verbietet unser Recht das Vergessenmachenwollen generell. Zu verbieten, dass Medien Erinnerungen hervorholen dürfen, wenn das Persönlichkeitsrecht es gebietet, ist das, was das Recht zum Vergessen beitragen kann. Ob es geschieht, entzieht sich seinem Wirkungskreis. Das Recht auf Vergessen ist, wenn man so will, also eine Ausnahme vom Recht auf Erinnern.

Spanier erstreitet Recht auf Vergessen vor europäischem Gerichtshof

Bezogen auf das Internet hat es kürzlich den Bundesgerichtshof beschäftigt. Im Jahr 2014 hat ein Spanier - den man ironischerweise wohl nie vergessen wird - es vor dem europäischen Gerichtshof erstritten.

Der Spanier war Jahre zuvor in finanziellen Schwierigkeiten gewesen, aber danach wieder zu Geld gekommen. Es wirkte sich nachteilig auf seinen Ruf als Geschäftsmann aus, dass die Google-Suche auch Jahre später noch diesen Vorgang prominent aufspülte, wenn man seinen Namen in die Suchmaske eingab.

Das "Recht auf Vergessen" hat Eingang in die Datenschutz-Grundverordnung gefunden und besagt, vereinfacht ausgedrückt, dass man einen Anspruch darauf hat, Wahrheiten im Internet unauffindbar zu machen, wenn sie für eine Person "ungünstig" sind und im Laufe der Zeit so sehr an Bedeutung für die öffentliche Meinungsbildung verloren haben, dass sie nach einer Abwägung zwischen öffentlichem Interesse und persönlichem Interesse verzichtbar geworden sind.

Es geht beim Recht auf Vergessen nicht darum, das Erinnern zu verbieten. Sein Gegenstand ist es, technisch zu verhindern, dass Erinnerungen per Suchalgorithmus Menschen unaufgefordert aufgedrängt werden, obwohl sie danach gar nicht suchen.

Bundesverfassungsgericht hat das Recht auf Vergessen anerkannt

Das Recht auf Vergessen, das auch das Bundesverfassungsgericht anerkannt hat, möchte verhindern, dass neutrale Suchanfragen mit nicht gesuchten persönlichkeitsbeeinträchtigenden Tatsachen beantwortet werden. Das ist wichtig, um dem Internet Menschenmaß zu verleihen, denn die Ergebnisse werden nach Kriterien angezeigt, die schematisch vorgegeben sind.

Das, was die meisten Klicks hat, ist oft skandalös und landet deshalb in der Suchergebnisanzeige oben. Weil das Netz anders als der Mensch allgegenwärtig ist, keine zeitliche Dimension kennt und auch nicht vergisst, ist der menschliche Eingriff in den Suchindex rechtlich gerechtfertigt. Er entschärft die Mechanik des Algorithmus und dient dem Schutz des Persönlichkeitsrechts gegenüber dem Recht der Allgemeinheit auf umfassende Information aus dem Netz.

Der Bundesgerichtshof hat kürzlich das Recht auf Vergessen geschärft und seine Rechtsprechung geändert. Google und Co als technische Verbreitungsinstanzen der Informationen sind nun dazu verpflichtet, sich um das Recht auf Vergessen nicht erst dann zu kümmern, wenn die rechtsbeeinträchtigende Wirkung des gerügten Inhalts offensichtlich ist.

Bei dieser Einzelfallprüfung sind nicht nur die Interessen der Betroffenen zu berücksichtigen, sondern auch die der Anbieter der Inhalte, etwa Webseiten von Verlagen. Zwei Detailfragen der Prüfung hat der Bundesgerichtshof an den Europäischen Gerichtshof zurückgespielt.

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