Zahlreiche Menschen legen ihr Smartphone nur noch ungern aus der Hand. Das kann fatale Folgen haben - besonders, wenn man im Straßenverkehr nicht auf das Handy verzichten kann.

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Nachrichten schreiben, fotografieren, navigieren oder Musik hören sind nur einige der Funktionen, für die man das Smartphone ständig benötigt. Im Straßenverkehr kann das allerdings sehr gefährlich werden. Sowohl Fußgänger, als auch Autofahrer schauen im Verkehr immer häufiger auf ihr Handy. Ein Experte meint, dass mittlerweile nicht mehr Alkoholeinfluss, sondern die Ablenkung durch das Smartphone der häufigste Grund für tödliche Unfälle sei.

Nach Daten der österreichischen Bundesanstalt Statistik Austria gehe dort inzwischen jeder fünfte Fußgängerunfall auf Ablenkung durchs Handy zurück, sagt Uwe Janssens, Chefarzt an der Klinik für Innere Medizin und Internistische Intensivmedizin des St.-Antonius-Hospitals Eschweiler.

Fußgänger telefonieren, lesen und schreiben

Auch in Deutschland ist das Smartphone im Straßenverkehr eine Gefahr geworden: Der im April vorgestellten Allianz-Studie "Sicher zu Fuß" zufolge telefonieren zwei Drittel der Fußgänger in Deutschland regelmäßig, 35 Prozent lesen Texte oder sehen sich Bilder sowie Videos an, 43 Prozent schreiben Nachrichten.

Fast die Hälfte (45 Prozent) nutzt die Geräte demnach auch beim Überqueren von Straßen. Die Größenordnung der Handynutzung als Unfallursache in Deutschland sei derzeit noch offen, klar sei aber, dass es einen Zusammenhang zwischen der Konzentration von Fußgängern aufs Handy und kritischen Situationen sowie Unfällen gebe.

Auch Autofahrer abgelenkt vom Handy

Ein Test der Universität Braunschweig habe schon vor Jahren gezeigt, dass rund 13 Prozent von 12.000 in mehreren Städten erfassten Autofahrern abgelenkt waren, die meisten vom Tippen auf ihrem Handy. Bei einer im April präsentierten Verkehrszählung des Automobilclubs "Mobil in Deutschland" mit rund 50.000 Fahrzeugen habe jeder 16. Autofahrer am Steuer sein Handy in der Hand gehabt.

In Deutschland hat bei den tödlichen Unfällen im Autoverkehr die Ablenkung durchs Handy wahrscheinlich den Alkohol als Hauptursache eingeholt, wie Janssens sagt. Mehrere Stunden täglich hängen Menschen in Ländern wie Deutschland und den USA inzwischen Studien zufolge am Smartphone - und das nicht "nur" am Abendbrottisch oder im Wartezimmer, sondern auch dann, wenn die volle Aufmerksamkeit besser etwas anderem gelten sollte, dem Verkehr oder dem eigenen Kind.

Kopf und Nacken-Verletzungen durch Handys

Einer kürzlich veröffentlichten US-Analyse zufolge steigt die Zahl auf die Nutzung eines Mobiltelefons zurückgehender Kopf- und Nackenverletzungen seit zwei Jahrzehnten stetig an. Vielfach ist demnach Ablenkung die Unfallursache.

Häufigste Verletzungen an Kopf und Nacken sind Platzwunden, Prellungen und Schürfwunden, die Langzeitfolgen wie Narben zur Folge haben können, wie es im Fachjournal "JAMA Otolaryngology – Head & Neck Surgery" heißt.

Der Hochrechnung der Forscher zufolge führt am häufigsten zu Verletzungen dieser Art, dass ein Autofahrer sein Handy nutzt und dadurch vom Geschehen auf der Straße abgelenkt ist. Groß ist demnach auch die Zahl abgelenkter und in der Folge am Kopf oder Nacken verletzter Fußgänger.

Gefahrenquelle: Selfie

Bei Jugendlichen sind einer kleinen, im März vorgestellten Studie deutscher Mediziner zufolge auch Selfies und Rettungsaktionen fürs Handy Ursache teils schwerer Verletzungen wie Knochenbrüchen.

So wurde eine aufs Smartphone guckende Zwölfjährige beim Überqueren einer Straße von einem Auto erfasst und schwer verletzt. Eine 14-Jährige stürzte beim Spielen auf dem Handy eine Treppe hinunter. Eine 16-Jährige fiel beim Versuch, ein Selfie zu machen, durch ein Glasdach. Und einem 16-Jährigen rollte ein Auto über die Hand, als er sein Smartphone von der Straße aufheben wollte.

Mittlerweile besitzen nach Daten des Branchenverbands Bitkom fast alle 14- bis 18-Jährigen und drei Viertel der 10- bis 11-Jährigen in Deutschland ein Smartphone. "Die neue Generation Z ist permanent online, nutzt das Handy zum Telefonieren, Musik hören, Fotos machen und Verschicken von Nachrichten", heißt es in der im Fachjournal "Pediatric Emergency Care" vorgestellten Studie.

Studien zuvor hätten bereits gezeigt, dass nicht nur die Zahl auf Handynutzung zurückgehender Autounfälle in Deutschland steige, sondern auch die verletzter Kinder, deren Eltern durch ihr Handy abgelenkt waren und nicht auf ihren Nachwuchs achteten.

Kampagnen, Innovationen und Strafen

In vielen Ländern wird inzwischen versucht, politisch gegenzusteuern. In Deutschland fand die Plakatkampagne "Heute schon mit ihrem Kind gespielt?" viel Aufmerksamkeit. In Honolulu (Hawaii) ist es ebenso wie in Litauen verboten, beim Überqueren einer Straße aufs Handy zu gucken. Immer mehr Städte haben spezielle Gehwege für Smartphone-Nutzer mit aufgemalten Pfeilen.

Zwei Kommunen in den Niederlanden installierten Ampeln im Boden, um den Blick von Smartphone-Nutzern einzufangen. "Solche Signale auf Fußwegen sind aber umstritten", erklärt Divi-Präsident Uwe Janssens. "Einige Experten befürchten, dass sich der Mangel an Aufmerksamkeit dadurch noch verschlimmert."

Den Forschern um Mayer gehen derlei Maßnahmen ohnehin nicht weit genug: "Die Nutzung von Smartphones sollte nicht nur beim Autofahren oder beim Überqueren einer Straße verboten sein, sondern in allen öffentlichen Räumen, wo Aufmerksamkeit essenziell ist, um Unfälle zu vermeiden." (awa/dpa)

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