Eckart von Hirschhausen nimmt in seiner WDR-Doku die Abnehmspritze unter die Lupe. Hält sie, was sie verspricht? Sein Fazit: Ja – aber die Lösung im Kampf gegen Adipositas ist sie nicht.

Mehr zum Thema Gesundheit

Stellen Sie sich einen sehr intelligenten und erfolgreichen Menschen vor – wie sähe der aus? Vielleicht ist es ein Mann, vielleicht auch eine Frau, möglicherweise brünett oder blond. Aber wohl ganz sicher nicht übergewichtig. Denn Übergewicht wird in unserer Gesellschaft noch immer mit Willensschwäche, Disziplinlosigkeit und Faulheit assoziiert. Oder anders: Wer dick ist, ist selbst schuld. Dabei weiß die Wissenschaft längst: So einfach ist es nicht.

2022 waren laut einer Studie weltweit mehr als eine Milliarde Menschen von Adipositas, sehr starkem Übergewicht mit einem Body-Mass-Index (BMI) von über 30 betroffen. Tendenz: steigend. Hoffnung im Kampf dagegen weckt eine neue Abnehmspritze.

Bis zu 20 Prozent des Körpergewichts soll man durch sie abnehmen können, und das ohne große Nebenwirkungen. Promis wie Elon Musk schwören darauf - doch ist der große Hype um das Medikament gerechtfertigt?

Abnehmspritze ist "wirklich ein Segen"

Dieser Frage geht Mediziner und Moderator Eckart von Hirschhausen in seiner WDR-Sendung "Hirschhausen und die Abnehmspritze" nach. Für die Beantwortung dieser Frage hätte es keine 45 Minuten Sendezeit gebraucht: Ja, die Spritze hält, was sie verspricht – und kann Menschen mit starkem Übergewicht tatsächlich das Leben retten. So wie Eva, eine der ersten Adipositas-Patientinnen in Deutschland, die das Medikament verschrieben bekam.

Lesen Sie auch

Nach unzähligen gescheiterten Diäten verlor sie durch die Spritze in nur sechs Monaten 38 Kilogramm Gewicht. "Es ist wirklich ein Segen", sagt sie – und das, obwohl sie dafür fortan monatlich 300 Euro aufbringen muss. Denn die Wirkung der Abnehmspritze hält nur so lange an, wie man die Spritze auch bekommt und Krankenkassen übernehmen die Leistung bei Adipositas-Patientinnen und -Patienten ab einem BMI von 27 nur in Ausnahmefällen.

Adipositas: Stigma Übergewicht

Wo die zentrale Frage bereits geklärt ist, lässt Hirschhausen in der übrigen Sendezeit Betroffene wie Nicole Jäger zu Wort kommen. Die Kabarettistin wog früher über 300 Kilogramm und hat mittlerweile 180 davon abgenommen - ganz ohne Abnehmspritze. Sie und andere Leidensgenossinnen und -genossen berichten von abwertenden Blicken, Anfeindungen und Schamgefühl, vom Alltag in einer Gesellschaft, die Übergewichtige als Loser abstempelt.

Dabei fehlt es adipösen Menschen oft nicht an Disziplin oder Willen. Stattdessen muss man wissen: Unser Körper will eigentlich nicht abnehmen und verteidigt seine Fettpolster mit allen Mitteln. Der emeritierte Adipositasforscher Arya Sharma von der Universität Alberta in Kanada erklärt das Problem anhand eines Gummibandes. Mit Anstrengung lässt sich das Band dehnen - lässt man los, schnalzt es in den Urzustand zurück.

Auf den Körper übertragen bedeutet das: Durch Anstrengung in Form von Diäten und Sport kann man Gewicht verlieren, aber nicht dauerhaft. Der Körper "merkt" sich sein Höchstgewicht und versucht mit allen Mitteln, wieder dahin zurückzukommen. Aus evolutionärer Sicht ein genialer Trick, der uns vor dem Hungertod bewahrte. In Zeiten von Nahrungsmittelüberfluss ein Albtraum.

Hirschhausen: Die Folgen von Junkfood im Selbstexperiment

Wie schnell diese Mechanismen im Körper anspringen, will Hirschhausen in einem Selbstexperiment herausfinden. Neben seiner normalen Ernährung isst er täglich Chips und Schokoriegel, insgesamt 1.500 Kalorien zusätzlich. Während dem TV-Arzt das Junkfood nach eigenen Angaben schon nach kurzer Zeit zum Hals raushängt, sieht sein Gehirn die Sache anders.

Ein Scan im Magnetresonanztomografen (MRT) zeigt:

  • Das Belohnungszentrum seines Gehirns reagiert beim Anblick hochkalorischer Lebensmittel nach nur fünf Tagen Völlerei sehr viel stärker als zuvor – das erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass er auch weiterhin bevorzugt zu zucker- und fetthaltigem Essen greift.
  • Die Energiespeicherzentrale des Gehirns, die für das Sättigungsgefühl zuständig ist, reagiert beim Anblick von Burgern und Co. jetzt nicht mehr.

Auch Hirschhausens Leberfett hat um 45 Prozent zugenommen. Dieses viszerale Fett, das im Bauchraum die Organe umgibt, ist im Gegensatz zu den äußerlich sichtbaren Fettpölsterchen an Bauch oder Hüften hormonell aktiv. Es beeinflusst den Stoffwechsel und kann die Entwicklung von Diabetes und Krebs fördern. Mehr Bauchfett bedeutet auch mehr Hunger – ein raffiniertes System, das sich selbst erhält.

Abnehmspritze löst nicht das Problem

Nach zwei Monaten gesunder Ernährung und Sport hat sich Hirschhausens Körper wieder erholt. Das Leberfett ist weg, sein Gehirn tickt wieder normal. Doch das Experiment zeigt, wie schnell sich der Körper an zucker- und fettreiche Lebensmittel gewöhnt. Wer erst einmal in dieses Fahrwasser geraten ist, hat es immer schwerer, dauerhaft abzunehmen.

Genau dort setzt die Abnehmspritze an. Ihre Wirkstoffe täuschen dem Gehirn Nahrungsaufnahme vor, verlangsamen die Magenentleerung und fördern die Insulinausschüttung – all das führt zu einem anhaltenden Sättigungsgefühl. Um beim obigen Beispiel zu bleiben: Das Gummiband steht weniger unter Spannung – das Abnehmen wird leichter.

Für Adipositas-Patientinnen und -Patienten kann das einen Ausweg aus dem Teufelskreis bieten. Klar ist aber auch: Das Wundermittel bekämpft nur Symptome, nicht aber die Ursachen. Besser wäre es, erst gar nicht erst übergewichtig zu werden – doch das ist angesichts des Überangebots von Junkfood und Softdrinks gar nicht so einfach.

In Deutschland ist man mit Regelungen für Nahrungsmittel äußerst zurückhaltend. Der Nutriscore wurde nur auf freiwilliger Basis eingeführt, statt wie Großbritannien auf eine Zuckersteuer setzt Deutschland auf eine freiwillige Selbstverpflichtung der Getränkeindustrie – mit mäßigem Erfolg.

Solange uns überall Fettiges, Süßes und Salziges angeboten wird, wird sich an der Adipositas-Problematik wohl wenig ändern. Das Mindeste, was die Gesellschaft aber schon heute tun könnte, ist, Adipositas-Betroffenen mit Respekt zu begegnen und anzuerkennen, dass es sich um eine chronische Krankheit handelt – nicht um Faulheit.

Über die Sendung

Verwendete Quellen

JTI zertifiziert JTI zertifiziert

"So arbeitet die Redaktion" informiert Sie, wann und worüber wir berichten, wie wir mit Fehlern umgehen und woher unsere Inhalte stammen. Bei der Berichterstattung halten wir uns an die Richtlinien der Journalism Trust Initiative.