Der menschliche Körper benötigt Eiweiß. Wie wichtig Proteine sind, wissen auch Karsten Krüger und Michael Despeghel. Sie erklären, wann man Eiweiß am besten zu sich nehmen sollte.
"Der mittlere Lebensbereich ist eine Schaltstelle, in der sich viel für die zweite Lebenshälfte entscheidet", erklärt Karsten Krüger im Interview mit "spot on news". Der Professor für Leistungsphysiologie und Sporttherapie an der Justus-Liebig-Universität Gießen hat gemeinsam mit Sportwissenschaftler Michael Despeghel das Buch "Das Eiweiß-Wunder" (GU) veröffentlicht. Die beiden Experten weisen darauf hin, dass bei der Eiweißaufnahme nicht nur die Menge, sondern auch die Tageszeit entscheidend ist - auch um im Alter fit zu bleiben.
Ihr Buch trägt den Titel "Das Eiweiß-Wunder". Was ist das Besondere an Eiweiß?
Karsten Krüger: Wir haben es hier mit einem Nährstoff zu tun, der zwar bekannt ist. Wenn es um Ernährung und Eiweißaufnahme geht, richtet sich das Interesse allerdings oft stark auf Sport und Muskulatur und häufig wird auch über Supplementation gesprochen. In unserem Buch wollen wir zeigen, dass man durch eine ausgewogene Ernährung, die pflanzlich und regional orientiert ist, ausreichend Eiweiß aufnehmen kann - und das auch in guter Qualität.
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Eiweiß ist für die Gesundheit wichtig
Wie wichtig ist die richtige Eiweißaufnahme für den Erhalt und Aufbau von Muskulatur - abseits des Leistungssports?
Michael Despeghel: Neben den anderen Nährstoffen Fett und Kohlenhydrate hat Eiweiß hier eine Vorreiterrolle. Es ist für die Gesundheit und auch die Leistungsfähigkeit des Menschen extrem wichtig: für die Entwicklung von Muskulatur, für das Immunsystem, für Versorgung und Regeneration des Organsystems und zum Erhalt der Muskulatur. Die baut sich schon ab dem 30. Lebensjahr jährlich um ein Prozent ab. Bei der langen Lebenserwartung spielen die Muskulatur und das Immunsystem eine entscheidende Rolle, um die Gesundheit stabil zu halten.
Eiweiß in Pulver- oder Riegelform gibt es inzwischen in fast jedem Supermarkt. Was halten Sie von diesen Sachen?
Krüger: Prinzipiell braucht man das nicht, weil die Lebensmittel, die wir auch in dem Buch in den Vordergrund stellen - vor allem kluge Kombinationen aus pflanzlichen Lebensmitteln -, ausreichend Protein über den Tag liefern können. Wenn man Proteinpulver beispielsweise als Ersatz für Mahlzeiten sieht oder als eine wesentliche Ergänzung seiner Tageskalorien, kann man schnell in einen Nährstoffmangel kommen. Das Pulver macht satt, aber wesentliche Mikronährstoffe, die in anderen Lebensmitteln enthalten sind, gerade in pflanzlichen, nimmt man so nicht auf. Wir versuchen vor dem Hintergrund der wissenschaftlichen Lage deutlich zu machen, dass es besser ist, klug und bewusst die Ernährung zusammenzustellen und eiweißreiche, pflanzliche Lebensmittel gleichmäßig über den Tag verteilt zu sich zu nehmen.
Wir haben mit unserem Fettgewebe einen Speicher für Fett. Leber und Muskeln speichern Kohlenhydrate. Aber wir haben sehr wenig Aminosäurespeicher, das sind die kleinen Bausteine der Proteine. Das heißt, immer, wenn ein Proteinmangel aufkommt, greift der Körper auf Substanz zurück und baut gegebenenfalls Muskelmasse ab. Deshalb raten wir dazu, über den Tag verteilt gewisse Mengen an Proteinen mit der gesunden, ausgewogenen Ernährung zu sich zu nehmen und damit in einem Zustand zu bleiben, in dem ausreichend Aminosäuren für aufbauende Prozesse zur Verfügung stehen. In unserem Buch gibt es tolle Rezepte für Frühstück, Mittagessen, Abendessen und Snacks.
Kann man zu viel Eiweiß aufnehmen?
Krüger: Es gibt durchaus Bedenken bei Menschen mit beispielsweise einer Vorerkrankung der Nieren. Ansonsten ist es schwierig, über die normale Ernährung zu viel Protein aufzunehmen. Es gibt Richtwerte, wonach gesunde Menschen 0,8 bis 1 Gramm Eiweiß pro Kilogramm Körpergewicht pro Tag benötigen. Da sollte man auf jeden Fall hinkommen. Es ist nicht nachgewiesen, dass 1,5 bis 2 Gramm Eiweiß pro Kilogramm in irgendeiner Weise ein Problem für den Körper sind. Mehr erreichen die meisten Menschen auch nicht. Bei über 2 Gramm könnten dann in speziellen Fällen Probleme auftreten.
Im Buch sprechen Sie an, dass es nicht nur wichtig ist, wie viel Eiweiß man zu sich nimmt, sondern auch wann. Was sind Ihre Empfehlungen?
Krüger: Aus der wissenschaftlichen Literatur kann man entnehmen, dass in Deutschland und in vielen anderen Ländern in der Regel im Durchschnitt zum Frühstück zu wenig Eiweiß aufgenommen wird. In der Mittagszeit etwas mehr, am Abend ist es die größte Menge. Wir raten dazu, das gleichmäßiger über den Tag zu verteilen, das heißt auch schon beim Frühstück auf eine gewisse Menge Eiweiß zu achten. Ausreichend Eiweiß bedeutet für viele Menschen 80 bis 90 Gramm pro Tag. Davon isst man am besten 30 Gramm zum Frühstück, 30 Gramm zum Mittagessen, 30 Gramm zum Abendessen. Damit ist eine gleichmäßige, ausreichende Proteinversorgung über den Tag gewährleistet. Das ist besonders für ältere Menschen wichtig, die sich häufig nicht mehr so ausgewogen ernähren und teilweise dann tatsächlich Eiweißmangel aufweisen. Zudem verlieren sie im Alter Muskulatur. Hier empfehlen wir besonders, auf eine gute Proteinversorgung zu achten, in Kombination natürlich auch mit sportlichem Training, was dann ja auch für die Umsetzung in Muskulatur sorgt.
Michael Despeghel: "Eiweiß ist ein Sattmacher"
Welche positiven Veränderungen entstehen, wenn man die Eiweißaufnahme in Bezug auf Menge und Tagesaufteilung im Auge behält?
Despeghel: Aus der wissenschaftlichen Datenlage können wir ableiten, dass dies positiv auf den Muskelaufbau und den Muskelerhalt wirkt. Denn dann hat der Körper über den Tag alle für die Muskelstruktur wichtigen Aminosäuren als kleine Bausteine der Eiweiße zur Verfügung. Kombiniere ich diesen Zustand mit sportlichem Training, profitieren wir bezüglich unserer Muskelmasse davon mit allen weiteren positiven Effekten für Gesundheit und Leistung.
Das Frühjahr ist die Zeit, in der sich viele Menschen wieder in Form bringen wollen. Wie kann speziell Eiweiß in der Hinsicht helfen?
Despeghel: Eiweiß ist ein Sattmacher. Wir empfehlen, sich an Proteinen satt zu essen, in Form von pflanzlichen Lebensmitteln. In einer Diätphase geht oft mehr Muskel verloren als das gewünschte Fett. Wenn man eine Gewichtsreduktion anstrebt, sollte man auf einen hohen Eiweißanteil bei der reduzierten Ernährung achten und auf jeden Fall auch Krafttraining machen.
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Viele Menschen haben ihren Fleischkonsum zurückgefahren oder ganz aufgegeben. Gibt es qualitative Unterschiede zwischen pflanzlichen und tierischen Eiweißen?
Krüger: Betrachtet man nur die Wertigkeit, die man den Proteinen zuschreibt, dann sind tierische Eiweiß, die über das Fleisch aufgenommen werden, durchaus wertvoller für den menschlichen Körper. Das muss man aber relativieren. Große epidemiologische Studien besagen, dass ein hoher Fleischkonsum auch mit einem höheren Risiko an kardiovaskulären Erkrankungen, Herz-Kreislauf-Erkrankungen und auch Tumorerkrankungen einhergeht. Wir raten daher dazu, viel pflanzliche Nahrung zu sich zu nehmen. Das hat einige Vorteile: Sie liefert viele Mikro- und Makronährstoffe, die einen besonderen gesundheitlichen Wert haben, wie beispielsweise sekundäre Pflanzenstoffe. Das zweite ist, dass wir durch eine geschickte Kombination von pflanzlichen Lebensmitteln deren Wertigkeit erhöhen können. Das heißt, ein pflanzliches Nahrungsmittel mit niedriger Wertigkeit kann zusammen mit einem zweiten pflanzlichen Lebensmittel mehr Wertigkeit als die von Fleisch erhalten. In unserem Buch zeigen wir, wie durch Kombination von pflanzlichen Lebensmitteln die tierischen weitestgehend ersetzt werden können.
Welche drei pflanzlichen Lebensmittel würden Sie besonders hervorheben in diesem Zusammenhang?
Despeghel: Hülsenfrüchte haben eine sehr hohe Bedeutung für die Gesundheit aufgrund ihrer hohen Ballaststoffe, außerdem Vollkornprodukte und fermentierte Lebensmittel wie etwa Tofu.
Krüger: Auch Soja bietet hochwertige Eiweiße. Da haben wir das Problem, wenn man es globaler betrachtet, dass Soja importiert werden muss. Es gibt aber Bestrebungen, dass man es vermehrt in Deutschland produziert, damit der Eiweißbedarf mit lokalen Produkten gedeckt werden kann und somit die gesamtgesellschaftliche Belastung ein bisschen geringer wird.
Wie ernähre ich mich rund um Sporteinheiten am besten?
Krüger: Beim Thema Abnehmen geht der Trend oft zu Low Carb und viele Menschen neigen hier dazu, nüchtern Sport zu treiben. Davon wollen wir abraten, weil der Körper, vor allem die Muskeln, ein paar Kohlenhydrate braucht, wenn man aktiv ist. Das Zusammenspiel zwischen Ernährung und Bewegung ist wichtig. Also nicht nüchtern in den Sport gehen, sondern wenigstens einen kleinen Snack vorher essen und dann Sport treiben. Auch beim Abnehmen braucht der Körper Kohlenhydrate.
Wann Alltagsbewegung ausreichend ist
Was benötigen Menschen in den unterschiedlichen Lebensphasen?
Krüger: Junge Menschen versuchen, sich relativ bewusst zu ernähren, teilweise geht das in eine extreme Richtung, auch bei heranwachsenden Spitzenathletinnen und -athleten. Die haben dann häufig im Bereich Kohlenhydrate einen Mangel und kommen dadurch in ein Energiedefizit. Eine ausgewogene Ernährung ist wichtig, um langfristig leistungsfähig zu bleiben. Der mittlere Lebensbereich ist eine Schaltstelle, in der sich viel für die zweite Lebenshälfte entscheidet, was aber häufig nicht so bewusst wahrgenommen wird. Wie ich mich im mittleren Alter ernähre, wie viel ich mich bewege, ist wichtig.
Da entscheidet sich oftmals schon der Aufbau von Risikofaktoren und durch die können chronische Erkrankungen entstehen, die in der zweiten Lebenshälfte kommen. Es ist immer ganz fatal, wenn Menschen gerade im mittleren Alter zehn bis 15 Jahre lang wegen familiären Verpflichtungen oder Stress im Job inaktiv sind und vielleicht auch ein bisschen das Bewusstsein für den eigenen Körper und für die Ernährung verlieren. Jeder sollte versuchen, nach den Möglichkeiten, die man hat, entweder über den aktiven Alltag oder regelmäßigen Sport, aktiv zu bleiben und trotz vielleicht enger Zeitfenster auch die Ernährung immer mit als einen wesentlichen Aspekt der Gesunderhaltung mit einbeziehen.
Und in der zweiten Lebenshälfte?
Krüger: In der zweiten Lebenshälfte oder im Alter kommt das eine oder andere Wehwehchen. Aber es ist nie zu spät mit einem gesunden Lebensstil zu beginnen, da dann aber natürlich wohldosiert und gegebenenfalls nach ärztlichem Rat. Eine Untersuchung kann Aufschluss geben, wie es um die Blutfettwerte und Mikronährstoffe steht. Und dann kann man sich beispielsweise aus dem Programm in unserem Buch bestimmte Bausteine aus dem Bereich ausgewogene Ernährung und Bewegung aussuchen.
Despeghel: So viel braucht es gar nicht, um sich fit zu halten, Alltagsbewegung kann ausreichen. Neue Untersuchungen zeigen, dass 2000 Schritte pro Tag, also etwa 1,5 Kilometer, schon etwas bewirken. Diese kleinen Einheiten können als Einstieg dienen, kombiniert mit der richtigen Ernährung, und das lässt sich dann nach und nach ausbauen. © 1&1 Mail & Media/spot on news
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