Sollten Männer beim Autofahren besser auf die Sitzheizung verzichten, wenn sie Kinder zeugen wollen? Mythen rund um die männliche (Un-)Fruchtbarkeit gibt es viele. An welchen wirklich etwas dran ist, erklärt ein Androloge.
Für viele ist es ein großer Herzenswunsch, Kinder zu haben. Bei manchen Paaren geht dieser Wunsch schnell in Erfüllung, bei anderen dauert es einige Monate oder auch Jahre. Bei wieder anderen klappt es nicht auf dem natürlichen Weg.
Laut dem Bundesverband Reproduktionsmedizinischer Zentren Deutschlands e.V. (BRZ) haben immer mehr Paare in den letzten Jahren wegen ihres unerfüllten Kinderwunsches Hilfe in Spezialpraxen oder Zentren gesucht. "Man schätzt, dass in Deutschland 10 bis 15 Prozent aller Paare von einem unerfüllten Kinderwunsch betroffen sind und rund sechs Millionen Frauen und Männer zwischen 25 und 59 Jahren", sagt Jann-Frederik Cremers, leitender Oberarzt am Centrum für Reproduktionsmedizin und Andrologie im Universitätsklinikum Münster.
Bei etwa 30 Prozent dieser Paare liege die Ursache beim Mann, bei 30 Prozent bei der Frau. "Bei 30 Prozent finden wir bei beiden etwas, weshalb es nicht funktioniert. Und bei etwa 10 Prozent findet man bei beiden keine offensichtlichen Einschränkungen", führt er weiter aus. Trotzdem liege offensichtlich in irgendeiner Form ein Problem vor, sonst würde der Wahrscheinlichkeit nach die Partnerin irgendwann schwanger werden.
Fruchtbarkeitsstörungen bei Männern nehmen zu
Statistiken zeigen, dass die Tendenz zur Unfruchtbarkeit steigt. Erklärungsansätze dafür gibt es laut Cremers verschiedene. "Bei den meisten davon muss man allerdings sehr vorsichtig sein, da vieles wissenschaftlich noch nicht genau nachgewiesen ist", sagt er, fügt aber an: "Klar ist: Das zunehmende Alter der Kinderwunschpatienten spielt sicherlich eine Rolle. Der Punkt, an dem Paare über eine Kinderplanung nachdenken, kommt oft immer später."
Ab Mitte 30 sinke die Fertilität, also die Fruchtbarkeit, der Frau deutlich. Anders bei Männern: "Im Prinzip sind Männer, wenn sie gesund sind, ein Leben lang fruchtbar", sagt Cremers. Erst bei älteren Männern ab 50 Jahren gebe es Einschränkungen, was Beweglichkeit und Formgebung der Spermien angeht.
Und dennoch liegt es ja nicht nur an den Frauen. Statistiken zeigen, dass immer mehr Männer von leichten bis sehr schwerwiegenden Fruchtbarkeitsstörungen betroffen sind. Mögliche Ursachen dafür sind laut dem BRZ organische Erkrankungen, aber möglicherweise auch andere Lebensgewohnheiten, ein Wandel der Arbeitsbedingungen, Veränderungen auf dem Gebiet der Bekleidung, der Ernährung oder der Umweltfaktoren.
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Doch wann spricht man überhaupt von Fruchtbarkeitsstörungen? "Beim Mann sehen wir uns die Ejakulatwerte an, also die Spermienzahl, Spermienkonzentration, Spermienbeweglichkeit und Spermienformgebung", erklärt Cremers. Dafür gebe es sehr gute, wissenschaftlich validierte Grenzwerte aus einem Manual der Weltgesundheitsorganisation (WHO). "Liegen die Werte darunter, liegt wahrscheinlich eine eingeschränkte Fruchtbarkeit vor. "
Androloge räumt mit Mythen über Unfruchtbarkeit auf
Vermutungen, wie die Fruchtbarkeit von Männern negativ beeinträchtigt wird, gibt es viele. Manche Mythen halten sich hartnäckig. Laut Cremers sind das oft Schlussfolgerungen aus dem Wissen heraus, dass die Hoden nicht zu warm liegen sollten. "Die müssen es ein paar Grad kälter haben als der Körperkern. Und wenn sie zu warm liegen, kann das in einer eingeschränkten Spermienbildung resultieren", erklärt er.
Allerdings meint er auch, dass viele Vermutungen, die auf diesem Gedanken beruhen, nicht wissenschaftlich belegt seien. Ein Überblick:
- Sonnencremes: Da manche Stoffe in Sonnencremes hormonähnliche Wirkungen haben, hat das vielleicht einen negativen Einfluss auf Spermien – so die Annahme. Tests im Reagenzglas hätten das laut Cremers zwar gezeigt, "aber ob das im wirklichen Leben eine Konsequenz hat, ist sehr fraglich". Er warnt: "Mit solchen Rückschlüssen sollte man immer aufpassen. Sich nicht mehr einzucremen, wäre ein ganz falscher Ansatz. Das Risiko, Hautkrebs zu bekommen, ist viel höher als das Risiko, durch Sonnencreme unfruchtbar zu werden."
- Sitzheizung, heißes Duschen, Sauna: Was diese drei Dinge gemeinsam haben? Sie erzeugen Wärme – auch im Schritt. Bei einem Mann mit einer normalen, gesunden Spermienbildung könne man aber davon ausgehen, "dass dieser Prozess so robust ist, dass so etwas wie die Sitzheizung oder Baden oder Sauna keinen negativen Einfluss haben", sagt Cremers. Allerdings: "Bei einem Mann, der sowieso schon eine sehr stark eingeschränkte Spermienbildung hat aufgrund einer Vorschädigung der Hoden, kann eine zusätzliche starke Hitzeexposition zu dem Problem beitragen."
- Enge Boxershorts: Auch hier liegt der Gedanke nahe, dass durch enge Boxershorts Wärme entsteht, die den Spermien schaden kann. "Vorsicht mit solchen Schlussfolgerungen", sagt der Androloge. "Die hören sich logisch an. Aber deren negativer Einfluss ist nicht wissenschaftlich nachgewiesen."
- Handy in der Hosentasche oder Laptop auf dem Schoß: Wer regelmäßig sein Handy in der Hosentasche oder den Laptop auf dem Schoß hat – und damit in Nähe der Hodensäcke –, könnte seine Fruchtbarkeit negativ beeinflussen: Diese Annahme kursiert, seitdem es diese Geräte gibt. Tatsächlich gibt es auch Studien dazu, allerdings sehr kleine, mit unterschiedlichen Populationen und Herangehensweisen. "Wenn man die ganzen Studien zusammenführt, gibt es möglicherweise einen negativen Einfluss von Handys in der Hosentasche auf die Fertilität", sagt der Mediziner. "Aber auch da bin ich sehr skeptisch, da sich die Datenerhebung in den Studien schwierig objektivieren lässt." Hinzu komme, dass sich die Technik innerhalb der vergangenen Jahre stark verändert habe. "Es ist nicht gesichert, dass es in der Breite einen negativen Einfluss hat; das hätten wir in 20 Jahren ansonsten bestimmt gemerkt", stellt Cremers klar.
- Stress und Schlafmangel: Diese beiden Faktoren können tatsächlich einen negativen Einfluss haben, "aber eher aufgrund der dann gestörten hormonellen Regulationen der Hoden, die aufgrund dieser Faktoren auftreten können", so Cremers.
Faktoren, unter denen die männliche Fruchtbarkeit wirklich leidet
Rund um Unfruchtbarkeit gibt es allerdings nicht nur Mythen und Faktoren, die bislang nicht ausreichend untersucht wurden. Einige Aspekte tragen erwiesenermaßen dazu bei, die Fruchtbarkeit negativ zu beeinflussen. Einer der bekanntesten davon ist der Hodenhochstand. "Wenn die Hoden im Kindesalter nicht im Hodensack sind, sollten sie relativ schnell, nämlich bis zum ersten Lebensjahr, runtergeholt werden", empfiehlt der Androloge. Weitere negative Einflüsse können sein, wenn Hodentumore in der Familie vorliegen oder man Medikamente einnimmt, die sich auf die Fruchtbarkeit auswirken. Auch bestimmte Therapien, etwa Chemotherapien oder Operationen, können ein Grund sein, weshalb es mit dem Kinderwunsch nicht funktioniert.
Wieder andere Faktoren sind vermeidbar, zum Beispiel die Einnahme von Testosteron oder Anabolika. "Die Benutzung, oft auch der Missbrauch, hat einen sehr negativen Einfluss auf die männliche Fertilität", warnt Cremers.
Vor allem aber gilt Rauchen als Faktor, unter dem nicht nur die Spermienproduktion, sondern auch die Spermienqualität leidet. Und nicht nur das: Bei Spermien von Rauchern lassen sich vermehrt Genschäden feststellen. In der Samenflüssigkeit sind außerdem die Werte von Cadmium und Blei erhöht, die Konzentration von Abwehrstoffen wie Vitamin C hingegen ist vermindert.
Laut Cremers lasse sich die Fruchtbarkeit von Rauchern positiv beeinflussen, indem man mit dem Rauchen aufhört. Das geht allerdings nicht von heute auf morgen, erklärt der Mediziner. Bis sich beim Mann eine Verbesserung einstelle, brauche es mindestens drei Monate. "So lange dauert ein Spermienzyklus, von der ersten Teilung bis zum Zeitpunkt, an dem das Spermium herauskommt. Das heißt: Alles, was ich verändere, positiv wie negativ, braucht drei Monate, bis es dann von außen messbar wird."
Manchmal ist Geduld gefragt: Wartezeit auf eine Schwangerschaft
Aus medizinischer Sicht ist es völlig normal, wenn es nicht gleich bei den ersten Versuchen mit der Schwangerschaft klappt. Dann ist Geduld gefragt. Es kann durchaus mehrere Monate dauern. Bei Frauen zwischen 20 und 30 Jahren zum Beispiel liege die Wahrscheinlichkeit für eine Schwangerschaft bei etwa 30 Prozent pro Monatszyklus, berichtet familienplanung.de, ein Informationsportal der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung. Als normale Wartezeit gelte im Durchschnitt ein Jahr – abhängig vom Alter der Partner.
"Wenn die Partner nicht besonders alt sind oder irgendwelche weiteren medizinischen Ursachen vorliegen, die die Fruchtbarkeit bei einem der Partner negativ beeinflussen, empfehlen wir, dass ein Paar sich abklären lässt, nachdem es ein Jahr lang regelmäßig ungeschützten Verkehr gehabt hat, ohne dass es zu einer Schwangerschaft gekommen ist", rät Cremers.
Zum Gesprächspartner
- Dr. med. Jann-Frederik Cremers ist leitender Oberarzt der Andrologie und Facharzt für Urologie, Andrologie und Medikamentöse Tumortherapie am Universitätsklinikum Münster am Centrum für Reproduktionsmedizin und Andrologie.
Verwendete Quellen
- Gespräch mit Jann-Frederik Cremers
- Familienplanung.de/kinderwunsch
- Repromed.de (Website des Bundesverbands Reproduktionsmedizinischer Zentren Deutschlands e.V.)
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