• Was hilft erwiesenermaßen gegen Migräne? Zu den Mitteln zählen nicht-medikamentöse Behandlungen, aber auch neue Wirkstoffe.
  • Kopfschmerz-Fachverbände bringen aktuell die Migräneleitlinie auf den aktuellen Stand.

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"Sie haben sich die falschen Eltern ausgesucht." Das antwortet Hans-Christoph Diener von der Universität Duisburg-Essen Patientinnen und Patienten auf die Frage, woher ihre Migräne kommt – diese extrem starken, pochenden Kopfschmerzen, die Licht- und Lärmempfindlichkeit, die Übelkeit. Denn auch wenn die genauen Ursachen noch im Dunkeln liegen, es ist klar, dass die Gründe in den Genen zu suchen sind.

Lange rätselten Fachleute auch über die Mechanismen dieser Hirnerkrankung. In diesem Punkt gibt es Fortschritte, die auch in der neuen Behandlungsleitlinie für Migräne eingeflossen sind, die ab 1. Januar 2023 gilt. Es zeichnet sich ab, dass der Trigeminus-Nerv, der Schmerzsignale zwischen Hirnhaut und Gehirn überträgt, eine entscheidende Rolle spielt. Die Signale fließen über Botenstoffe, zum Beispiel Serotonin. Schon länger blockieren Ärztinnen und Ärzte deshalb die Serotonin-Rezeptoren mit Triptanen.

Doch diese Wirkstoffe haben einen Nachteil: Sie verengen die Blutgefäße. Menschen mit schweren Gefäßerkrankungen, wie Herzinfarkt- oder Schlaganfall-Patienten, dürfen sie deshalb nicht einnehmen. Jetzt haben Wissenschaftler*innen eine neue Substanz ohne Wirkung auf die Gefäße entwickelt. Diese sogenannten Ditane stehen kurz vor der Markteinführung.

Forscher: "Der Schlüssel in der modernen Migränebehandlung"

Vor wenigen Jahren haben Forscher und Forscherinnen außerdem einen weiteren Botenstoff identifiziert, der bei Migräne eine Rolle spielt: das Calcitonin Gene-Related Peptide (CGRP). "CGRP ist einer der Schlüssel in der modernen Migränebehandlung geworden", sagt Christoph Schankin.

Der Neurologe vom Inselspital Bern leitet die universitäre Kopfschmerzsprechstunde und ist einer der Autoren der neuen Migräneleitlinie, herausgegeben von der Deutschen Gesellschaft für Neurologie und der Deutschen Migräne- und Kopfschmerzgesellschaft unter Beteiligung der Österreichischen Kopfschmerzgesellschaft und der Schweizerischen Kopfwehgesellschaft.

Neue Medikamente, die CGRP blockieren

Besonders wichtig ist CGRP aber laut Leitlinie bei der Vorbeugung von Migräneattacken – besonders für Menschen, die sehr häufig Migräneattacken erleben. Manche Betroffene – Frauen sind es weitaus häufiger als Männer – erleiden bis zu 20 Anfälle im Monat. "Wer häufige und schwere Attacken hat, kann sie nicht immer mit Schmerz- oder Migränemitteln behandeln", sagt Hans-Christoph Diener, ebenfalls Leitlinien-Autor.

Ein Ansatz zur Prophylaxe arbeitet mit monoklonalen Antikörpern. Diese fischen entweder das CGRP aus dem Körper oder blockieren die Rezeptoren, an die sich die Peptide binden. "Damit möchten wir die Anzahl der Migränetage verringern, bestenfalls halbieren", sagt Christoph Schankin. Dazu spritzen Medizinern die Antikörper alle vier Wochen unter die Haut oder verabreichen sie vierteljährlich intravenös.

Da CGRP nicht nur bei der Schmerzweiterleitung im Gehirn, sondern auch im Herzen, im Magen-Darm-Trakt oder der Wundheilung eine Rolle spielt, wurden die Antikörper gründlich auf Nebenwirkungen untersucht. Viele Patienten klagten über Verstopfung, zudem könne das Medikament unter anderem bei Patienten mit entzündlichen Darmerkrankungen nur sehr vorsichtig eingesetzt werden. "Aber insgesamt haben wir ein sehr gutartiges Nebenwirkungsprofil herausgefunden", sagt Christoph Schankin.

Ohne Medikamente: Ausdauersport, Entspannung, Stressabbau

Ganz ohne Wirkstoffe und damit ohne Nebenwirkungen kommen nicht-medikamentöse Methoden aus, die in der Schweiz und in Deutschland bereits eingesetzt werden, etwa die elektrische Stimulation. Dabei kleben sich die Patient*innen eine Elektrode an die Stirn, die einen Gesichtsnerv stimuliert, der mit dem Trigeminus-Nerv verbunden ist. "Das funktioniert sehr gut", sagt Christoph Schankin, "wir setzen es gerne gerade bei Patienten ein, die weniger als zehn Migräneattacken pro Monat haben".

Betroffene können zudem selbst das Migränerisiko verkleinern. Dazu gehört Bewegung – vor allem Ausdauersport und Fitness. "Es ist fast egal, was man macht. Es wirkt", sagt Hans-Christoph Diener. Das zweite sind Entspannungsübungen jeglicher Form – ob zum Beispiel Muskelrelaxation, autogenes Training oder Tai-Chi, Hauptsache Entspannung. Als dritter wichtiger Baustein gilt Stressbewältigung.

Migräne ist eine häufige Krankheit – geschätzt zehn bis 15 Prozent der Bevölkerung leiden darunter. Aber nur ein Bruchteil bekomme die richtige Therapie, sagt Christoph Schankin. Hausärztinnen und Hausärzte müssten besser auf die einschlägigen Anzeichen achten und Migräne besser behandeln. Auch Apotheker*innen könnten mit gezielten Fragen Betroffene in die richtige Richtung lenken. "Wenn man das machen würde, könnte man einem sehr großen Teil der Migränepatienten sehr früh gut helfen."

Verwendete Quellen:

  • dgn.org: dng one
  • dmkg.de/startseite: DKME Deutsche Migräne- und Kopfschmerzgesellschaft e. V.
  • oeksg.at: ÖKSG Österreichische Kopfschmerzgesellschaft
  • headache.ch/DirectLinks/Home: Schweizerische Kopfwehgesellschaft
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