"Du musst öfter Nein sagen!" Hören Sie diesen Satz regelmäßig? Oder sind Sie gut darin, sich abzugrenzen und auf die eigenen Bedürfnisse zu hören? Ein Coach nennt sieben Typen des Neinsagens - und gibt neun goldene Regeln an die Hand für alle, die es noch üben wollen.

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In allen Lebenslagen sollten wir eines beherrschen: uns abzugrenzen. Ob es andere Eltern sind, die uns zum Kuchenbacken für die Schule auffordern, Kollegen, die uns Arbeit zuschieben, Freunde, die viel zu viel von uns einfordern oder die Kinder, deren Wünsche ein Fass ohne Boden sind: "Wer nicht klare Grenzen setzt, wird ständig ausgenutzt und verletzt", weiß Coach und Autor Attila Albert.

Doch sich auf gesunde Weise abzugrenzen, ist leichter gesagt als getan. Albert nennt die häufigsten Gründe, warum es uns oft schwer fällt:

  • Die Angst, Nein zu sagen und sich damit Vorwürfe einzuhandeln ("Gerade jetzt lässt Du mich im Stich!", "Wie kannst Du nur so egoistisch sein?")
  • Die anerzogene Überzeugung, dass eigene Wünsche und Bedürfnisse weniger wichtig sind - oder erst, wenn sonst keiner mehr etwas will.
  • Die Hemmung, andere zur Rede zu stellen und sich damit selbst angreifbar zu machen

Sieben Typen und ihre Wirkung auf andere

In seinem Buch "Ich mach da nicht mehr mit" identifiziert Albert sieben häufige Typen beziehungsweise Strategien, wie Menschen Grenzen setzen. Erkennen Sie sich wieder?

Typ1: Der Passive

Sie halten's einfach aus

Ihre Strategie: "Ich kann ja sowieso nichts ändern", also lassen Sie die anderen weiter gewähren. "Dieser Typ beklagt sich höchstens mal und hofft ansonsten auf bessere Zeiten", sagt Albert.
Wirkung: Sehr gering. Sie werden häufig von anderen überrollt und ausgenutzt, fühlen sich deshalb oft erschöpft und deprimiert.
Was Sie weiterbringt: "Statt sich womöglich selber leid zu tun, sollte dieser Typ seine Energie dafür nutzen, Ideen zu sammeln: Wie kann ich mich aus dieser Lage befreien? Verwerfen Sie sie nicht sofort als unmöglich oder schwierig, probieren Sie sie aus", ermuntert Albert.

Typ 2: Der Streitbare

Sie kämpfen für sich

Ihre Strategie: Sie kämpfen und streiten gern. Ihre Abgrenzung erfolgt in den meisten Fällen dadurch, dass Sie mit Vorwürfen, Kritik und Rechtfertigungen um sich schlagen.

Wirkung: Gering bis mittel. "Sie werden als aggressiv und aufbrausend wahrgenommen. Und das ewige Streiten strengt an", warnt Albert.
Was Sie weiterbringt: "Vergeuden Sie Ihre Energie nicht mit sinnlosen Konflikten. Lernen Sie, weniger zu urteilen. Stellen Sie stattdessen Fragen, um mehr über Ihr Gegenüber zu erfahren. Das hilft Ihnen, weniger in Schwarz und Weiß zu denken", rät der Coach.

Typ 3: Der Ausweichler

Sie lenken sich ab

Ihre Strategie: Sie verschaffen sich Abstand, indem Sie flüchten: Sport, Reisen, Wellness, kleine Genussmomente zwischendurch. Aber damit verschleppen Sie die Lösung.

Wirkung: Mittel. "Sie laufen davon und erholen sich nur scheinbar. Denn nach jedem Urlaub ist Geld weg, aber die Probleme, etwa im Job, sind noch immer da", analysiert Albert.

Was Sie weiterbringt: "Schreiben Sie sich einmal auf, was Ihre Alltagsfluchten kosten. Sie werden merken, dass der Preis Ihrer Strategie zu hoch ist. Konzentrieren Sie sich lieber auf etwas, das Ihre Problem grundsätzlich angeht - beispielsweise ihre Weiterbildung."

Typ 4: Der Helfer

Sie sorgen lieber für andere

Ihre Strategie: Sie legen Ihren Fokus lieber auf die Probleme und Sorgen anderer. Das lenkt Sie ab und bringt Ihnen Sympathien ein. "Leider vergessen Sie sich dabei selbst", warnt Albert.

Wirkung: Mittel bis hoch. "Sie werden als hilfsbereit wahrgenommen und bekommen dafür Anerkennung. Aber bald stellen Sie auch fest, dass keiner mehr an Sie denkt."

Was Sie weiterbringt: "Planen Sie regelmäßig eine feste Zeit ein, die nur Ihnen gehört. Nutzen Sie diese Zeit für Dinge, die Ihnen Freude bereiten. Das bringt Erholung und befriedigt Ihre eigenen Bedürfnisse. Begrenzen Sie Ihre Hilfe für andere", rät der Coach.

Typ 5: Der Pragmatiker

Sie sehen Ihre Chancen

Ihre Strategie: Sie begreifen Herausforderungen als Chancen. Sie suchen sich aus, was für Sie gut ist und schenken allem anderen keine große Beachtung.
Wirkung: Hoch bis sehr hoch. "Sie gestalten Ihr Leben gerne selbst und überlassen nur wenig dem Zufall. Das bringt Ihnen Respekt ein", sagt Albert.

Was Sie weiterbringt: "Nehmen Sie sich gelegentlich Zeit, sich in Ihre Mitmenschen hineinzudenken. Nicht jeder ist so kraftvoll und aktiv wie Sie selbst. Und lassen Sie hin und wieder auch einfach Dinge geschehen. Das schützt vor Überlastung."

Typ 6: Der Weise

Sie verstehen andere

Ihre Strategie: Sie zeichnen sich vor allem durch Empathie aus. Sie kennen die Stärken und Schwächen der anderen und können Verständnis zeigen. Grenzen setzen Sie intuitiv.

Wirkung: Sehr hoch. "Sie können gut auf Ihre Mitmenschen eingehen und sind deshalb ein beliebter Gesprächspartner und Ratgeber", erläutert Albert.

Was Sie weiterbringt: "Nehmen Sie sich einmal am Tag kurz Zeit, inne zu halten. Setzen Sie sich mit den Grundfragen des Lebens auseinander und erweitern Sie damit Ihr Weltbild. Damit werden Sie Ihre Mitmenschen noch besser verstehen", sagt Albert.

Typ 7: Der Distanzierte

Sie sehen ganz klar

Ihre Strategie: Sie haben die Fähigkeit, Situationen wie von außen zu betrachten. Damit haben Sie einen Überblick und können Ihre Strategie je nach Situation frei wählen.

Wirkung: Maximal. "Eine solche Distanz ist aber nur kurzfristig möglich", erklärt Albert, ",denn wer sich ständig komplett abgrenzen würde, könnte auch keine Beziehungen mehr führen."

Was Sie weiterbringt: "Sie wirken auf andere bisweilen kühl und abgehoben. Versuchen Sie sich daher immer wieder in eine der anderen Strategien einzufühlen. Jede hat ihre Vor- und Nachteile. Sie selbst sind in der Lage, frei auszuwählen."

Jeder kann seine Strategie ändern - mit diesen goldenen Regeln

Welcher Typ man ist, sei nicht angeboren, erklärt Albert: "Die Strategien sind anerzogen und erlernt. Das heißt aber auch: Sie können Ihre Taktik je nach Bedarf verändern und einsetzen, wenn Sie Ihnen nützlich vorkommt. Manchmal braucht es dazu eine ordentliche Lebenskrise, dann wieder genügt ein Ratschlag zur passenden Zeit."

Albert stellt neun Regeln auf für alle, die das Neinsagen lernen oder üben wollen.

1. Nein zu sagen, ist völlig in Ordnung

Das “Nein” zu begründen, sei nicht notwendig. Ebenso unnötig ist es, sich zu erklären oder sich in Diskussionen darüber verwickeln zu lassen: "Ein schlechtes Gewissen sollten Sie schon gar nicht haben", sagt Albert. Mögliche Antworten könne man üben, etwa:

  • "Das möchte ich nicht, aber es ist okay, dass du gefragt hast"
  • "Das passt mir nicht"
  • "Das ist nicht das Richtige für mich, vielen Dank"
  • Oder einfach: "Nein"

"Finden Sie heraus, welcher Satz am besten zu Ihnen passt", rät Albert.

2. Sie können den anderen nicht alles abnehmen

"Lassen Sie die Verantwortung bei der Person, bei der sie tatsächlich liegt. Damit zeigen Sie Grundvertrauen in die Fähigkeiten Ihrer Mitmenschen, die im Normalfall auch ohne Sie klar kommen, falls es sich nicht um Kleinkinder oder Kranke handelt. Aber auch dann müssen Sie nicht alles alleine stemmen", warnt Albert. Sollte Ihnen jemand von seinen Problemen erzählen: "Stellen Sie interessierte Nachfragen, statt sofort Ihre Hilfe anzubieten."

3.: Werden Sie nicht zum Therapeuten

Diese Hilfe sollten Sie im Fall der Fälle Therapeuten und Sozialarbeitern überlassen: "90 Prozent des Helfens besteht darin, einfach nur da zu sein, viel Geduld mit jemandem zu haben, den man gern mag oder gar liebt, ohne all dessen Probleme lösen zu wollen. Beschränken Sie Ihre Hilfe auf akute Krisen oder Ausnahmefälle."

4. Leiden kann eine wichtige Erfahrung sein

"Erlauben Sie anderen, die gerade unter etwas leiden, diese Erfahrung zu machen. Nur so können sie stärker werden. Wenn jemand, den Sie mögen oder gar lieben, unter etwas leidet, werden Sie trotzdem erst einmal nur zum aufmerksamen Beobachter: Wie viel davon ist selbst verschuldet, obwohl die anderen oder die allgemeinen Umstände angeblich schuld sind? Wie geht die andere Person mit ihrem Problem um, klagt und fordert sie nur oder wird sie selbst aktiv? Entscheiden Sie dann über Ihr Angebot", lautet Alberts Rat.

5. Gedankenlesen ist nicht Ihre Aufgabe

Rücksichtsvoll und sensibel zu sein, ist das eine. "Das bedeutet aber nicht, dass Sie immer für alle mitdenken müssen: Jeder Erwachsene hat selbst die Verantwortung, sich mitzuteilen. Lassen Sie sich nicht dazu verleiten oder gar erpressen zum Gedankenleser zu werden. Umgeben Sie sich mit Menschen, die sich Ihnen auf eine positive Weise mitteilen und ermutigen Sie diejenigen, die sich aus Schüchternheit oder Unerfahrenheit damit noch schwer tun. Richten Sie Ihre Energie auch darauf, selbst klar mitzuteilen, was Sie möchten", meint Albert.

6. Mitleid ist keine Basis für eine Beziehung

"Beenden Sie Beziehungen, die auf Mitleid beruhen", rät Albert. "Wenn Sie jemanden unterstützen, dann lieber freiwillig und im Einzelfall. Sollten Sie feststellen, dass Sie sich immer mit Partnern, Freunden oder Kollegen umgeben, die Ihnen völlig unterlegen sind, deutet das auf den Wunsch nach einer Machtposition oder ein unangemessen niedriges Selbstbewusstsein hin. Dann lohnt es sich, diesen Aspekt genauer zu betrachten."

7. Helfen Sie sich selbst, nur so können Sie auch anderen helfen

Hilfsbereitschaft ist eine gute Eigenschaft, aber schon das Wort beinhaltet die wichtigste Bedingung dafür: "Bereitschaft": "Um helfen zu können, müssen Sie dazu in der Lage sein. Das bedeutet, mehr Ressourcen – Kraft, Zeit, Geld – zu haben, als Sie für sich selbst benötigen", appelliert Albert.

"Füllen Sie Ihre Kräfte durch ausreichend Ruhe und Schlaf, gesunde Ernährung und Zeit für Sport regelmäßig wieder auf. Pflegen Sie Ihre sozialen Kontakte: belebende, inspirierende Freundschaften, gute Partnerschaften und Beziehungen zu Ihrer Familie."

8. Ich bin in Ordnung, so wie ich bin

"Wer das für sich akzeptiert und damit seinen Wert anerkennt, kann sich auch abgrenzen. Damit ist klar, dass Ihre Bedürfnisse nicht weniger wichtig sind als die anderer Menschen. Wenn Sie dauerhaft das Gefühl haben, nicht intelligent, attraktiv, oder interessant zu sein, mühen Sie sich nicht ab, das durch Leistung ausgleichen zu wollen. Langfristig lösen Sie damit keine Probleme", meint Albert.

9. Jeder ist für sein Glück verantwortlich

Was ist Glück? Für jeden etwas anderes, sagt Albert: "Also können Sie für sich selbst herausfinden und entscheiden, was Sie persönlich glücklich macht." Anderen könne man helfen, ein gutes Leben zu führen - glücklich machen könne man sie aber nicht. "Das ist deren Aufgabe und Verantwortung, nicht Ihre. Ihr Wissen, was Sie glücklich macht und was nicht, nimmt mit jeder Erfahrung zu. Probieren Sie also vieles aus und erforschen Sie die Welt und sich selbst. Sorgen Sie immer für Abwechslung in Ihrem Leben und bleiben Sie lange neugierig und offen."

Zur Person: Albert Attila arbeitet als Coach und lebt in der Schweiz. Kürzlich erschien sein Buch "Ich mach da nicht mehr mit", Gräfe und Unzer, 16,99 Euro.
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