Im November 2021 infizierte sich Podcasterin Visa Vie mit Corona. An diesem Tag verlor sie laut eigener Aussage ihre Gesundheit, denn sie leidet bis heute an Long Covid. Im Interview mit unserer Redaktion spricht sie über den Verlauf ihrer Erkrankung, ihre Ängste und über den Podcast "Fighting Long Covid", für den sie die schlimmsten 14 Monate ihres Lebens noch einmal durchlebt hat.

Ein Interview

Visa Vie, ursprünglich wollten wir dieses Interview bereits vor einigen Tagen führen, was Sie jedoch aus gesundheitlichen Gründen verschieben mussten. Umso wichtiger ist es, Sie heute zu fragen: Wie geht es Ihnen?

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Visa Vie: Heute geht es mir auf jeden Fall besser. Ich bin etwas nervös, weil ich noch einen wichtigen Anruf mit weiteren Befunden erwarte, aber an sich ist heute ein okayer Tag.

Nach Ihrer Corona-Infektion im November 2021 sind Sie wie aus dem Nichts mit Begriffen wie Herzmuskelentzündung, Herzinfarkt oder Diabetes konfrontiert worden. Wie war der Moment, in dem Sie verstanden haben, schwer krank zu sein?

Einen einzigen Moment gab es in meinem Fall nicht, weil bei mir so viele große und kleine Erkrankungen diagnostiziert wurden und noch immer werden. Ich kann sagen, dass ich – seit dem Tag, an dem ich mich angesteckt habe – in einem Dauerprozess des Erhaltens schlechter Nachrichten bin. Es fühlt sich ein wenig so an, als sei ich damals als gesunder Mensch für meine zweiwöchige Isolation in mein Schlafzimmer gegangen und bin wie durch eine Zauberkugel mit ganz vielen Krankheiten herausgekommen. Vorher hat mein Körper funktioniert, meine Stoffwechselprozesse im Körper waren intakt, mein Herz war gesund. Doch seit der Infektion ist alles anders. Es ist eine anstrengende und nervenaufreibende Zeit und ich befinde mich noch immer mittendrin.

In welchen Formen spielt sich Long Covid in Ihrem Fall ab?

Die erste richtige Diagnose, die ich bekommen habe, war Diabetes Typ 1. Das ist mittlerweile eine immer häufiger auftretende Folge bei Covid-Erkrankungen. Dabei werden die Zellen in der Bauchspeicheldrüse, die für die Insulin-Produktion zuständig sind, angegriffen und dauerhaft zerstört. Das ist leider irreversibel und somit wird die Krankheit für immer bleiben und ich bin für den Rest meines Lebens insulinpflichtig. Zudem habe ich wahrscheinlich eine Art spezifische Covid-Herzmuskelentzündung, die sich aber anders äußert als eine reguläre Herzmuskelentzündung. Sie führt dazu, dass mir Herzmuskelzellen absterben – ein chronischer Prozess, der seit meiner Infektion anhält. Dazu habe ich vermutlich eine chronische Gefäßentzündung und eine Fettstoffwechselstörung sowie Bluthochdruck diagnostiziert bekommen. Dazu kommen noch weitere Erkrankungen, die teilweise inzwischen aber glücklicherweise behandelt werden konnten.

Wie geht man durch diese Zeit, in der eine schlechte Diagnose auf die nächste folgt?

Ich glaube, ich habe alle denkbaren Emotionen in den letzten 14 Monaten durchgespielt. Von total geschockt sein über pure Verzweiflung bis hin zu Phasen, in denen ich anfangen musste, all das zu akzeptieren, war alles dabei. Ich muss auch dazu sagen, dass ich immer wieder Momente voller Angst habe. Vor allem mit Blick auf mein Herz weiß man immer noch nicht genau, was los ist und diese Ungewissheit, sich nicht endgültig mit einer Diagnose abfinden zu müssen, ist sehr belastend. In Bezug auf den Diabetes gibt es beispielsweise die Diagnose und das Wissen, dass die Erkrankung für immer bleiben wird. Nach inzwischen einem Jahr beginne ich langsam, die Krankheit als Teil meines Lebens zu betrachten und ich habe gewissermaßen meinen Frieden damit geschlossen. Aber die unspezifischen Erkrankungen, die mich mit Blick auf eine finale Diagnose in eine Art Schwebezustand versetzen, sind eine totale psychische Belastung. Ich habe leider sehr oft Angst, auch Todesangst und habe sehr oft eine riesengroße Traurigkeit in mir, dass ich meine Gesundheit verloren habe und dass mein Leben nie wieder so sein wird, wie es einmal war.

Wie beeinflusst Long Covid Ihre Arbeit als Podcasterin, DJ und Moderatorin?

Viele meiner Berufe, die Sie gerade aufgezählt haben, sind nicht mehr vorhanden. Aktuell bin ich nur noch Podcasterin und wenn ich die Kraft dazu habe, kann ich glücklicherweise noch Autorin sein. Aktuell mache ich aber tatsächlich nur meinen Podcast "Weird Crimes". Das mache ich komplett von zu Hause aus.

Dort verbringen Sie vermutlich die meiste Zeit …

Genau. Vor allem während der Wintermonate verlasse ich das Haus eigentlich fast nur, um Arzttermine wahrzunehmen oder in die Apotheke zu gehen. Ansonsten bin ich jeden Tag zu Hause und versuche im Liegen meine Recherchen für den True-Crime-Podcast zu erledigen. Im Liegen schreibe ich in der Regel auch das Skript und nehme die Episoden dann in meinem Schlafzimmer auf. Dort befinde ich mich auch jetzt gerade während unseres Gesprächs. Um es zusammenzufassen: Mein Alltag ist es, von der Außenwelt weitestgehend isoliert zu sein. Von meinem früheren Leben, in dem ich gefühlt 24/7 unterwegs war, an den Wochenenden aufgelegt, Events moderiert und Interviews geführt habe, ist eigentlich nichts mehr übrig geblieben. Stattdessen bin ich fast durchgehend zu Hause und versuche, mit so geringer Belastung wie möglich weiterzufunktionieren. Umso dankbarer bin ich, dass ich meinen Job auf diese Weise ausüben kann, auch wenn es ein krasser Kontrast zu dem Leben ist, das ich früher einmal geführt habe.

Was bedeutet Ihre Isolation von der Außenwelt für Freundschaften und Familie? Finden Treffen statt?

Das gestaltet sich leider als sehr schwierig. Im Frühling und Sommer ist die Situation natürlich eine andere als im Winter. Mein Zustand hatte sich gegen Ende des letzten Jahres so verschlechtert, dass ich teilweise nicht einmal die Kraft hatte, das Haus zu verlassen. Ich glaube, in den vergangenen Monaten habe ich es vielleicht dreimal geschafft, mich zum Spazierengehen zu verabreden. Das sind dann sehr langsame Spaziergänge. Eigentlich habe ich derzeit nur via Telefon oder WhatsApp Kontakt zu meiner Familie und meinen Freunden – auch, weil derzeit der erschwerende Faktor dazu kommt, dass ich mir vor allem mit Blick auf die noch immer ungeklärte Situation mit meinem Herz keine Infektion einfangen möchte. Für mich kann aktuell selbst eine Erkältung, eine Grippe und natürlich Covid selbst gefährlich werden. Aus diesem Grund isoliere ich mich. Glücklicherweise bin ich aber nicht komplett alleine. Ich habe einen ganz tollen Ehemann, der viel Zeit mit mir hier zu Hause verbringt.

Wo wir gerade von Ihrem Mann sprechen: Wie geht er durch diese herausfordernde Zeit?

Es ist eine extrem schwierige Zeit für ihn. Ich stelle mir immer vor, wie es für mich wäre, wenn ich ihn so sehr leiden sehen müsste. Ich glaube, das wäre für mich noch schrecklicher, als selbst krank zu sein. Man ist in dieser Situation sehr hilflos. Wir reden natürlich sehr viel und natürlich würde auch er gerne wieder das Leben führen, das wir früher hatten. Ich muss dennoch sagen, dass wir als Paar das alles unglaublich gut meistern. Irgendwie kriegen wir das ziemlich gut hin, versuchen, füreinander da zu sein, uns aufzufangen und erinnern uns immer wieder daran, dass wir, allen Herausforderungen zum Trotz, noch immer uns haben.

Gibt es denn trotz all dieser Einschränkungen auch positive, motivierende Momente?

Manchmal reicht es schon, einen Tag zu haben, an dem ich etwas mehr Energie habe. An diesen Tagen motiviert es mich schon, beispielsweise die Geschirrspülmaschine auszuräumen, ohne mich danach drei Stunden hinlegen zu müssen. Tage, an denen ich etwa weniger Herzschmerzen, keine Über- oder Unterzuckerung oder keine Todesangst habe, machen mich extrem dankbar. Das ist etwas, was ich als gesunder Mensch niemals erfahren hätte. Für Tage, an denen man keine Schmerzen hat, dankbar zu sein, gibt eine völlig neue Sicht auf das Leben und auf die Welt. Das macht sehr demütig.

Kürzlich ist der Podcast "Fighting Long Covid" erschienen, in dem Sie erzählen, wie sich Ihr Leben seit Ihrer Erkrankung verändert hat. Wie hat es sich angefühlt, diese Zeit im Rahmen des Podcasts noch einmal zu durchleben?

Die Konfrontation war krass. Für die Produktion mehrerer Podcast-Folgen mussten all die Emotionen ja noch einmal komplett durchlebt werden. Obwohl ich eine Therapie mache, um all das Erlebte aufzuarbeiten, sind während der Gespräche dennoch manche Dinge hochgekommen. Das hat mich körperlich und mental sehr mitgenommen. Nach den Aufnahmen habe ich oft noch mit meinem Mann zusammengesessen und reflektiert, aber auch viel geweint. Gewissermaßen waren die Aufnahmen eine Art Hardcore-Konfrontationstherapie der bislang schlimmsten 14 Monate meines Lebens. Das soll aber gar nicht nur negativ klingen, vielmehr habe ich gemerkt, wie befreiend es sein kann, sich dem persönlichen Alptraum zu stellen. Vor allen Dingen habe ich das ja aber auch nicht nur für mich getan, sondern weiß, dass es für sehr viele Long-Covid-Betroffene extrem wichtig ist, noch viel mehr Aufmerksamkeit für diese Erkrankung zu generieren und ihnen zu zeigen, dass sie nicht alleine damit sind. Alleine deswegen hat es sich jetzt schon – trotz der emotionalen Anstrengung – gelohnt, diesen Podcast aufzunehmen.

Wie ist die bisherige Resonanz auf den Podcast?

Absolut überwältigend! Die vergangenen Tage haben mich echt sprachlos gemacht. Ich habe so viel Liebe erfahren von Betroffenen und konnte ihrem Kampf gegen Long Covid ein Gesicht und ihnen selbst eine Stimme geben. Ich kenne das Gefühl, sich mit all dem Leid allein und sich nicht gesehen zu fühlen – wie sollte man uns aber auch sehen können? Immerhin verbringen wir die meiste Zeit des Tages alleine zu Hause! Man öffnet Apps wie Instagram und sieht Menschen, die reisen, feiern und ihr gewohntes Leben leben und man fragt sich, ob man der einzige Mensch ist, der noch immer nicht aus dieser Pandemie rausgefunden hat. Der Podcast kann keine Lösung bieten, aber viele Betroffene konnten durch ihn eine neue Perspektive finden sowie die Gewissheit, nicht alleine zu sein.

Gab es auch negative Stimmen?

Natürlich gibt es auch Nachrichten, die nicht so toll waren. Die kommen von Menschen, die die Existenz des Virus abstreiten. Oder behaupten, es habe die Pandemie nie gegeben. Im Verhältnis betrachtet waren die Negativreaktionen aber deutlich in der Unterzahl.

Der Autorin Margarete Stokowski, ebenfalls Long-Covid-Betroffene, wurde kürzlich vorgeworfen, sie mache ihre Krankheit zu einer Art Lifestyle. Was machen Vorwürfe dieser Art mit Ihnen als Betroffene?

Wie sich ein gesunder Mensch herausnehmen kann, dass man eine Erkrankung für eine Story nutzt, finde ich ganz schlimm. Ich habe auch schon Nachrichten erhalten, in denen mir vorgeworfen wurde, mich nur als Opfer zu präsentieren. Dazu kann ich nur eines sagen: Ich kenne niemanden, der sich das, was Betroffene erleben, freiwillig antun wollen würde. Ich für meinen Teil habe keinen Spaß daran, die kranke Frau zu sein. Früher war ich die Moderatorin, die Podcasterin, die Autorin. Darauf war ich stolz. Dass ich jetzt die Kranke mit Long Covid, Diabetes und Herzmuskelentzündungen bin, macht mir keinen Spaß – aber ich habe es mir nun einmal nicht aussuchen können. Mit der Entscheidung, mit der Erkrankung an die Öffentlichkeit zu gehen, setzt man sich natürlich damit auseinander, dass man sich sehr angreifbar macht und den Menschen eine Vorlage für Häme, Hass und Spott gibt. Umso mehr würde ich mir wünschen, dass die Menschen, die ihre Krankheit öffentlich machen und einen wichtigen Beitrag leisten, in Ruhe gelassen werden. Hier geht es nicht um eine Masche, mit der Aufmerksamkeit generiert werden soll. Denn es ist nicht schön, als kranker und schwach angesehener Mensch in der Öffentlichkeit zu stehen.

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Blicken wir in die Zukunft: Gibt es etwas, auf das Sie sich freuen und woraus Sie Motivation schöpfen?

Tatsächlich gibt es das, obwohl ich mich bis vor ein paar Monaten noch gar nicht getraut habe, so weit in die Zukunft zu blicken. Aktuell freue ich mich sehr auf die Podcast-Tour mit "Weird Crimes". Ich kann noch gar nicht glauben, dass wir das wirklich machen werden und alles wird natürlich so stattfinden, wie es für mich unter den derzeitigen Umständen möglich ist. Das wird für mich komplett absurd werden, nachdem ich seit November nur alleine zu Hause war und dann plötzlich in einer Halle mit 4.000 Menschen sitzen werde. Das ist der wohl merkwürdigste Kontrast, den ich mir vorstellen kann und ich freue mich sehr darauf. Außerdem wollen mein Mann und ich unbedingt Ende des Jahres unsere Hochzeitsreise nach Kuba nachholen. Das wollten wir bereits im Dezember 2021 machen. Seitdem sehnen wir uns so sehr danach und ich hoffe so sehr, dass uns diese Reise möglich sein wird.

Über die Gesprächspartnerin

  • Visa Vie ist eine deutsche Podcasterin, Moderatorin und Autorin. Sie moderierte in der Vergangenheit für den Radiosender Kiss FM und das Rap-Magazin 16bars.de. Neben ihrem True-Crime-Podcast "Weird Crimes" hat sie aktuell auch den Podcast "Fighting Long Covid" über ihre Erkrankung. Dieser ist in der ARD-Audiothek abrufbar und überall dort, wo es Podcasts gibt.
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