Pro Jahr werden etwa 500.000 Schönheits-OPs in Deutschland durchgeführt. Nicht immer geht dabei alles gut, wie die Tragödie um Reality-Starlette Carolin "Cora" Wosnitza zeigte: Sie war nach einer Brustvergrößerung ins Koma gefallen und wenig später verstorben. Wir haben mit Herrn Dr. Schottler gesprochen, Chefarzt der Abteilung für Ästhetische und Plastische Chirurgie am Ortenau Klinikum in Offenburg. Er verrät, dass tatsächlicher Ärztepfusch in Deutschland sehr selten vorkommt. Von ihm wollten wir außerdem wissen: Wie gehen Chirurgen mit Patienten um, die unter krankhaftem Schönheitswahn leiden? Und werden wir uns bald alle unters Messer legen?
Herr Dr. Schottler, wer ist für Sie die schönste Frau der Welt?
(Lacht.) Meine eigene und meine Tochter.
Eine spontane und sehr gute Antwort, würde ich meinen.
Die meine ich auch ernst!
Würden Sie eine Frau operieren, obwohl Sie sie makellos finden?
Schönheit ist nicht gleich Makellosigkeit. Jemand ist schön, wenn er Ausstrahlung hat - auch ohne äußerlich makellos zu sein. Es kommt darauf an, was ein Patient als persönlichen Makel beschreibt. Wenn ich das objektiv bestätige, lässt es sich korrigieren. Wenn jemand ohnehin schon sehr hübsch ist, dann ist die Frage, ob ein Chirurg überhaupt etwas verbessern kann. Es ist daher wesentlich, dass man mit dem Patienten zusammen ein Vorgehen entwickelt oder aber von dessen Vorhaben Abstand nimmt.
Wenn Sie die Ansicht des Patienten nicht teilen, dann weisen Sie ihn oder sie also ab?
Wenn ich von der Art der OP nicht überzeugt bin und keine Chance sehe, dass im Sinne des Patienten eine Verbesserung eintritt, dann würde ich einen Eingriff in jedem Fall zurückweisen. Es gibt auch psychologische Ansatzpunkte und Veränderungen im Lebensstil, die das Wohlbefinden steigern können.
Kann eine Schönheitsoperation auch negative psychologische Effekte haben?
Sicherlich. Wenn der Patient ständig etwas an seinem Äußeren auszusetzen hat und eine Art phobisches, ängstliches Verhalten an den Tag legt, kann es der Arzt dem Patienten nie recht machen. Er oder sie wäre nie zufrieden, weil ein Missverhältnis zwischen dem Eigenbildnis und der Wirklichkeit des Körpers herrscht. Da ist eine psychologische Hilfeleistung wichtiger.
Hatten Sie schon Patienten, die unter einer Art "Schönheitswahn" litten?
Ein solcher Wahn, eine so genannte Dysmorphophobie, ist sehr selten und ein echtes Krankheitsbild. Aber ich habe sehr viele Patientinnen und Patienten, die mit dem Wunsch nach einem Eingriff kamen und die ich unverrichteter Dinge nach Hause geschickt habe. Ich erinnere mich an eine Patientin, die in Scheidung lebte. Sie hat mich aufgesucht, weil der Mann ihr vorwarf, dass ihr Kinn zu dominant sei. Sie wollte es daraufhin operativ verändern lassen. Fachlich konnte ich das aber nicht bestätigen. Ich habe ihr das Vorhaben ausgeredet und ihr geraten, sie solle sich darauf konzentrieren, die Trennung zu verarbeiten. Sie schreibt mir heute noch regelmäßig, wie glücklich sie über diese Entscheidung ist.
Mit welchem Körperteil sind Frauen und Männer am unzufriedensten?
Bei Frauen sind es die Augenlider, die Brust und der Bauch. Männer stört vor allem der Bauch und das Gesäß. Meistens wissen vor allem Frauen schon ganz genau, welches Fältchen ihnen zuwider ist. Aber in einem persönlichen Coaching lässt sich auch zusammen mit dem Patienten erörtern, wo die Bedürfnisse liegen und was möglich ist.
Es kommen also auch Menschen zu Ihnen, die noch nicht wissen, was genau sie verändern wollen?
Richtig. In diesen Fällen muss man dann eine besonders lange Beratung durchführen. Generell ist allein die Erstberatung immer für über eine Stunde angesetzt. Und es folgt mindestens eine Zweitberatung von einer Stunde. Ich muss den Patienten kennenlernen und herausfinden, ob es möglich ist, das zu erreichen, was der Patient sich vorstellt. Unerfüllte Erwartungen sind nämlich einer der Hauptgründe für Streit zwischen Arzt und Patient. Tatsächlicher Ärztepfusch dagegen ist sehr selten.
Ist durch diese intensive Beratung das Konzept "Beauty-OP To Go" überhaupt denkbar?
Bei uns ist das auf keinen Fall möglich. Dass Patienten heute kommen und morgen frisch operiert nach Hause gehen, kommt dagegen durchaus im Ausland vor. Das ist wie eine Art One-Night-Stand. Dabei kann kein zufriedenstellendes Ergebnis herauskommen, weil der Arzt den Patienten und seine Bedürfnisse nicht kennt. Und aus moralischer Sicht kommt die Aufklärung zu kurz. Es sollten mindestens zwei Beratungsgespräche stattfinden und dazwischen sollten etwa zwei Wochen liegen. Wichtig ist auch zu erwähnen, dass die Schönheitschirurgie als Bereich der Ästhetischen Chirurgie eindeutig in die Hände des Facharztes gehört.
Die Experten auf dem Gebiet sind natürlich die Schönheitschirurgen selbst. Legen die sich auch unters Messer?
Der Plastische Chirurg ist ja in erster Linie ein Mensch. Selbstverständlich legt sich der eine oder andere auch unters Messer, ist aber vielleicht besonders kritisch.
Würden Sie eine Schönheits-OP für sich selbst oder Ihre Familie in Betracht ziehen?
Ja, wenn der dringliche Wunsch vorhanden ist. In der Familie operiert man nicht gerne, aber ich würde mich in einem solchen Fall an einen fähigen Kollegen wenden.
Welcher Eingriff ist am risikoreichsten?
Eine Schönheitsoperation ist immer dann risikoreich, wenn die Erwartungen nicht erfüllt werden könnten, denn dann ist Streit vorprogrammiert. Medizinisch gesehen ist zudem bei Diabetikern Vorsicht geboten wegen Wundheilungsstörungen sowie bei starken Rauchern.
Wie schätzen Sie die Entwicklung über die nächsten Jahre ein? Werden wir uns bald alle unters Messer legen?
Die Zahl der Eingriffe wird jährlich sicher weiter steigen. Dennoch ist es fraglich, ob man moralisch nicht ein Stück weit gegensteuern muss. Es muss doch nicht jeder etwas machen lassen! Die Individualität sollte weiterhin gegeben sein, sonst sähen wir alle nur noch aus wie ein Einheitsbrei. Und das ist ja langweilig.
Herr Dr. Schottler, vielen Dank für das Gespräch.
"So arbeitet die Redaktion" informiert Sie, wann und worüber wir berichten, wie wir mit Fehlern umgehen und woher unsere Inhalte stammen. Bei der Berichterstattung halten wir uns an die Richtlinien der Journalism Trust Initiative.