- Immer mehr junge Menschen - vor allem Männer - sind nach Ansicht von Experten süchtig nach Sexfilmen im Internet.
- Mediziner sehen ein Problem von großer gesellschaftlicher Bedeutung, das sich durch die Coronakrise noch deutlich verschärfen könnte.
Ein Mann, der nächtelang im Keller Pornos schaut. Ein Vater, der von seinen Kindern beim Onanieren vor dem Bildschirm erwischt wird. Ein Mann, der 40 Stunden in der Woche Sexfilme schaut und nicht anders kann, der sagt: "Ich vergewaltige mich immer wieder selbst."
Die Sucht nach Internetpornos wird aus Expertensicht zu einem immer größeren Problem für die Gesellschaft - vor allem in Corona-Zeiten mit Homeoffice und wenig Freizeitmöglichkeiten.
Suchtmediziner: Patienten werden immer jünger
"Früher waren meine Patienten hauptsächlich Männer zwischen 40 und 50 Jahren, die zwei, drei gescheiterte Ehen und verschiedene Sexpartnerinnen hinter sich hatten und sich dann irgendwann fragten: Liegt es vielleicht an mir", sagt der Psychiater und Suchtmediziner Kornelius Roth-Schaeff, der sich seit vier Jahrzehnten mit dem Phänomen Sexsucht befasst, am Dienstag bei einer Online-Diskussionsveranstaltung des österreichischen Vereins "Safersurfing".
"Aber in den letzten 20 Jahren wurden meine Patienten immer jünger. Das sind Digital Natives zwischen 25 und 30 Jahren, die manchmal schon vor der Pubertät im Internet mit Pornografie konfrontiert wurden."
Er zitiert Studien aus den USA und Schweden, wonach zwischen fünf und acht Prozent der Bevölkerung süchtig nach Internet-Pornos seien - meist Männer. Nach Angaben des Suchtexperten Michael Musalek, langjähriger Ärztlicher Direktor des Anton-Proksch-Instituts in Wien, macht der Männeranteil 75 Prozent aus.
Starker Konsum von Sexfilmen ist nicht als Sucht anerkannt
Konkrete Studien für Europa und den deutschsprachigen Raum fehlen, auch weil der exzessive Konsum von Sexfilmen im Netz von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) nicht als Sucht anerkannt ist. Zwar gilt zwanghaftes Sexualverhalten, zu dem unter anderem übermäßiger Pornokonsum zählt, laut WHO seit 2019 als psychische Krankheit ("ein Meilenstein", sagen Experten). Doch die offizielle Anerkennung als Sucht fehlt noch.
Dabei haben Pornos aus Sicht Musaleks "ein hohes Suchtpotenzial" - eher vergleichbar mit Heroin als mit Alkohol. "Der entscheidende Punkt ist der sogenannte Kick", sagt er. Roth-Schaeff spricht sogar von einer "sexuellen Superdroge".
"Was früher Hardcore war, ist heute Blümchensex"
Die Münchner Neurologin und Psychotherapeutin Heike Melzer hat einen Patienten, der 40 Stunden in der Woche Pornos schaut, und zitiert ihn mit dem Satz: "Ich vergewaltige mich immer wieder selbst." Ein großes Problem sieht sie in der Entkopplung von Zwischenmenschlichkeit und Sexualität. "Man benutzt den anderen als bloße Masturbationshilfe."
Sie habe auch einen Patienten, der erst 17 Jahre alt sei. "Der hat mit elf schon alles im Darknet gesehen, was man sehen konnte", sagt Melzer. "Was früher Hardcore war, ist heute Blümchensex."
Vor allem junge Männer, die viel zu früh und viel zu ausufernd mit solchen Bildern konfrontiert wurden, sitzen heute bei ihr in der Praxis. 20-Jährige, die Sexualität in der analogen Welt kaum noch leben können, Orgasmusstörungen haben oder Viagra brauchen. "Die Pornoindustrie arbeitet mit der Pharmaindustrie Hand in Hand", sagt Melzer.
In der Coronakrise schauen manche auch während der Arbeitszeit Pornos
Und die Coronakrise verschärft das Problem aus ihrer Sicht: "Es ist viel gefährlicher, wenn von zu Hause aus gearbeitet wird, weil dann das soziale Korrektiv wegfällt und man vielleicht schon während der Arbeitszeit zwischendurch wieder auf die Pornos zurückgreift."
Schon ohne soziale Isolation und die Konzentration auf das Digitale in der Coronakrise bezeichnet der Präsident des Österreichischen Bundesverbandes für Psychotherapie, Peter Stippl, das Phänomen Internetpornografie mit dramatischen Worten, spricht von "grauenhaften Auswüchsen". "Ganze Existenzen werden so gefährdet", sagt Stippl. "Es ist notwendig, dass man darauf gesellschaftlich und politisch reagiert." (Britta Schultejans / dpa) © dpa
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