Manchmal ist unser Verhalten einfach unlogisch. Zum Beispiel, wenn wir in einer traurigen Situation plötzlich lachen oder bei einem Vortrag an unserer einwandfrei sitzenden Kleidung zupfen. Warum wir manchmal von Übersprungshandlungen übermannt werden.
Lachen, wenn einem nach Weinen zumute ist, bei einem Vortrag an der Kleidung herumzupfen oder sich während eines Bewerbungsgesprächs am Kopf kratzen. In stressigen oder konfliktreichen Situationen handeln wir oft zusammenhanglos und unkontrolliert, es kommt zu sogenannten Übersprungshandlungen. Wir klären mit einem Experten, warum das so ist.
Übersprungshandlung ist ein Begriff aus der Verhaltensforschung und wird sowohl bei Menschen, als auch bei Tieren beobachtet. Sie kennzeichnet ein Verhalten, das meist unerwartet in stressigen Situationen auftritt, keinem bestimmten Zweck dient und von Beobachtern als unpassend eingestuft wird.
Übersprungshandlung ist eine Art Blitzableiter
"In der Regel hat man einen Impuls zu einem starken Handlungsdrang, kann diesen aber nicht ausüben. Die Energie muss aber herausgelassen werden und so entsteht eine Übersprungshandlung. Sie funktioniert sozusagen wie eine Art Blitzableiter zur Spannungsregulation", erklärt Michael Böhmer, Diplom-Psychologe und Psychologischer Psychotherapeut in München.
Nervosität, Unsicherheit oder ein innerer Konflikt können eine Übersprungshandlung hervorrufen. Oft treten dann Gesten auf, die nicht zur Situation passen und unbewusst ausgeübt werden, wie plötzliches Nägel kauen. Auch unpassend erscheinendes Lachen bei einem Trauerfall oder das Zerschmeißen eines Tellers aus Wut sind charakteristisch.
Mit unseren Gefühlen sind auch immer Körperzustände mit Energie verbunden, erklärt der Experte. "Wir sind aktiviert und wollen handeln, die äußeren Umstände lassen es aber nicht immer zu. Dann kommt es zum Übersprung dieser Energie auf ein anderes Ziel oder Objekt und es passiert, dass man nach einem Streit zum Beispiel einen Teller an die Wand wirft, obwohl das in der Situation sicher keine sinnvolle Handlung ist", sagt der Experte im Gespräch mit unserer Redaktion.
Die menschliche Psyche ist komplex und das Verhalten des Menschen nicht immer eindeutig zu identifizieren. Es gibt aber typische Situationen, in denen Übersprungshandlungen häufig vorkommen.
Beispiele für Übersprungshandlungen
Ein bekanntes Beispiel für Übersprungshandlungen aus der Wissenschaft ist folgendes: Zwei Hähne geraten aneinander. Sie haben zwei gleichwertig erscheinende Handlungsmöglichkeiten: kämpfen oder fliehen. Wenn sich die Tiere nicht entscheiden können, beginnen sie, auf dem Boden nach Nahrung zu picken, obwohl dort keine Nahrung liegt. Diese Reaktion dient in der Kampfsituation keinem Zweck, beruhigt das Tier aber und schindet Zeit.
Ähnliches ist auch beim Menschen zu beobachten. Unbehaglichkeit aufgrund zweier gleich starker Handlungsbereitschaften äußert sich meist in wenig hilfreichen Handlungen. So kratzen wir uns am Kopf, obwohl es nicht juckt, oder zupfen die Kleidung zurecht, die einwandfrei anliegt.
Die innere Anspannung kann auch auf Gegenstände übertragen werden, das zeigt sich zum Beispiel durch ständiges Knipsen des Druckknopfes eines Kugelschreibers oder Zurechtrücken einer Brille.
Unlogische Handlung aus Frust
Genauso treten Übersprungshandlungen in Situationen auf, in denen eine Handlung motiviert wird, es aber keine Gelegenheit gibt, sie auszuführen. Verbunden ist das in der Regel mit einem Frustrationsmoment, der überraschend auftritt und dann eine unlogische Handlung auslöst.
"Wenn jemand in den Startlöchern für einen Vortrag steht, dann aber das Mikro versagt, wird er unerwartet an seiner Handlung gehindert. Das löst Stress und Frustration aus. Häufig wird dann herumgehampelt oder ein Witzlein gerissen. Das ist für den Vortrag nicht unbedingt angemessen, aber die angestaute Energie kann so frei gelassen werden", sagt der Psychotherapeut.
Auch Folgendes wird als Übersprungshandlung eingestuft: "Typisch ist Konsumfrustration. Wenn man es beim Einkaufen auf ein bestimmtes Schnäppchen abgesehen hat, dieses aber schon ausverkauft ist, frustriert das. Viele Menschen kaufen dann andere Dinge, die sie gar nicht benötigen", sagt Böhmer.
Übersprungshandlungen vorbeugen
"Ich kann mich gegen die Dynamik, die zur Übersprungshandlung führt, schlecht wehren, dieses Verhalten läuft einfach ab. Genauso wie ich mich Reizen kaum entziehen kann", sagt der Experte.
Wer unpassendes Verhalten in unangenehmen Situationen bei sich häufig feststellt, kann aber versuchen mit Entspannungsmethoden entgegenzuwirken. Autogenes Training oder Meditation helfen dabei gelassener zu werden und sich nicht so schnell aus der Bahn werfen zu lassen.
"Wir sollten uns erlauben, nicht immer alles perfekt meistern zu müssen. Es ist nicht schlimm, wenn etwas schief geht," sagt Böhmer.
Verwendete Quellen:
- Interview mit Michael Böhmer, Diplom-Psychologe und Psychologischer Psychotherapeut in München
- Dorsch Lexikon der Psychologie
- Online Lexikon für Psychologie und Pädagogik
- Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften
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