Eine 45-Stunden-Woche und hohe Erwartungen vom Chef: Arbeitnehmer stehen häufig unter hohem Druck und müssen immer mehr leisten. Wie sollen sie da genug Zeit für Sport, Hobbys und ein erfülltes Privatleben haben? Eine Expertin erklärt, wie eine bessere Work-Life-Balance gelingt.

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Ständige Überstunden, E-Mails nach Dienstschluss, immer mehr Informationen, auf die schnell reagiert werden muss, das Gefühl, unter Strom zu stehen und keine Zeit mehr für sich zu haben: Wenn die Work-Life-Balance nicht stimmt, fühlen sich Beschäftigte unzufrieden und werden unmotiviert.

Das kann zu einem Teufelskreis aus schlechter Ernährung, zu viel Kaffee, Zigaretten und Alkohol führen, um Stress vermeintlich zu bewältigen. Die Folge sind Schlafmangel, körperliche Erschöpfung und verminderte geistige Leistungsfähigkeit.

Auch das Privatleben bringt dann keine Entspannung. "Die Informationsflut in Lichtgeschwindigkeit geht auch nach Arbeitsende ungefiltert weiter, sodass wir nicht mehr richtig abschalten", sagt Helene Weiss, Beraterin für Führungskräfte im Bereich Organisationskultur und Mitarbeitermotivation. Zudem ist sie Mentalcoach für beruflichen und persönlichen Erfolg.

Aber wie schaffen es gestresste Menschen, die Balance zwischen aufreibendem Arbeitsalltag und Privatleben wiederherzustellen? Die Expertin gibt Tipps.

Tipps für die Work-Life-Balance

1. Geschwindigkeit herausnehmen

"Es ist wichtig, die Geschwindigkeit auch mal herauszunehmen und in ein angenehmes Tempo zu verfallen, wenn die Arbeit endet", sagt Helene Weiss. Auf Anspannung müsse Entspannung folgen, damit Körper und Geist die Möglichkeit hätten, sich zu regenerieren und für Anforderungen fit zu bleiben.

In erster Linie sei es wichtig, "ein Bewusstsein dafür zu schaffen, was wir tun, wenn wir nicht am Arbeitsplatz sind, wie wir uns dabei fühlen und womit wir unsere Zeit verbringen".

Diese Selbstbeobachtung und die Entwicklung eines Gefühls für sich selbst sind laut Weiss Voraussetzungen für bewusste, positive Veränderung. Darauf folgten Fragen wie: Was ist mir wirklich wichtig im Leben? Was gibt mir Lebenskraft, Freude und Inspiration?

Seine Freizeit und im Idealfall auch den Beruf anschließend Schritt für Schritt nach den eigenen Werten auszurichten, "führt zu Einklang mit sich selbst und verbessertem Wohlbefinden, außerdem wirkt sich das ausgleichend auf unsere Beziehungen aus", sagt die Expertin.

2. Körper und Geist stärken

Körper und Geist sollten gestärkt werden, wenn Menschen viel leisten müssen. Wichtig für nachhaltiges Wohlbefinden sind laut Weiss ausreichend Schlaf, eine gesunde, ausgewogene Ernährung und regelmäßiger Sport. Bei Überstunden und Familienverpflichtungen komme der Schlaf häufig zu kurz, die wenige Freizeit mit Sport zu füllen, sei für viele eine Horrorvorstellung. "Selbstvorwürfe sind nicht die Lösung", sagt die Expertin.

Sinnvoller sei es, mit kleinen Tricks den Energiehaushalt zu unterstützen: Treppen steigen statt Fahrstuhl, Fahrrad fahren und in der Mittagspause ein strammer Marsch durch den Park oder um die Häuser.

Sie empfiehlt außerdem, zur Arbeit Brain-Food wie Nüsse und Obst oder Gemüse mit Dip mitzunehmen. Beschäftigte könnten im Büro Kräuter- oder Früchtetees mit wohltuenden Inhaltsstoffen ausprobieren – und die Zubereitung als Gedankenpause nutzen: "Wenn der Kopf voll ist und angespannt, können wir den Fokus für einige Momente auf den Teebeutel richten, wie er in das dampfende Wasser taucht, im Detail beobachten, wie sich die Farbe verfärbt, den Geruch wahrnehmen, die Tasse spüren und das Aroma schmecken – und voilá, wir haben Geist und Körper eine Pause gegönnt und waren ganz präsent."

Je mehr diese Momente der Achtsamkeit in den Alltag eingebracht werden, "desto mehr können wir nachhaltig Leistung erbringen, ohne auszubrennen", sagt die Expertin.

3. Raum für Freunde und Familie schaffen

Freunde und Familie sind laut Weiss ein grundlegender Pfeiler für eine gute Verfassung. Persönliche Beziehungen geben Halt, Unterstützung und ein Gefühl von Geborgenheit und Sicherheit.

Daher ist es wichtig, sie zu pflegen. Im Zeitalter von Smartphones und ständigen Benachrichtigungen sei die Aufmerksamkeit allerdings ständig von Bildschirmen abgelenkt, die Gedanken schweiften ständig vom Gegenüber ab.

"Daher empfehle ich, das Handy auf Flugmodus zu stellen und außer Sichtweite zu legen, wenn man sich mit Freunden oder Familie trifft." Selbst zehn Minuten volle Aufmerksamkeit auf einen Menschen förderten das Wohlbefinden durch die Ausschüttung des Bindungshormons Oxytocin. Das stärke die Beziehung mehr, als eine Stunde zwar da, aber abgelenkt zu sein.

4. Den Arbeitgeber in die Pflicht nehmen

Die Expertin sieht auch eine Verpflichtung bei den Arbeitgebern, ihren Mitarbeitern eine bessere Work-Life-Balance zu ermöglichen. Flexible Arbeitszeiten, die sich an Ergebnissen orientieren und nicht an der Anzahl im Büro verbrachter Stunden, würden ihnen mehr Flexibilität in der Tages- und Lebensgestaltung geben.

Eine weitere Maßnahme könnten laut Weiss Digital-Detox-Regeln nach Dienstschluss sein. Der Chef kann festlegen, dass dann keine E-Mails mehr bearbeitet werden dürfen. Das gebe Mitarbeitern "eine mentale Auszeit ohne schlechtes Gewissen", sagt Weiss – aber nur, wenn der Arbeitgeber es selbst vorlebt.

Am Arbeitsplatz gebe es viele kreative Möglichkeiten, um Mitarbeitern zu helfen, in die innere Balance zurückzufinden, zum Beispiel ein kostenloses Fitness-Abo, gesunde Snacks und Yoga- oder Wellness-Einheiten in der Mittagspause. Davon profitiert auch der Betrieb selbst: "Auch wenn er körperlich noch gesund erscheint, ist der mental überforderte oder ausgebrannte Arbeitnehmer für den Arbeitgeber kein Gewinn. Leider wird dies im stressigen Alltag oft ignoriert", gibt die Expertin zu bedenken. Das Unternehmen würde "mit ausgeruhten, motivierten und engagierten Mitarbeitern eine bessere Performance an den Tag legen".

Zur Person: Helene Weiss ist Beraterin für Führungskräfte im Bereich Organisationskultur und Mitarbeitermotivation, sowie Mentalcoach für beruflichen und persönlichen Erfolg. Mit einem beruflichen Hintergrund in internationalen Organisationen und einem Masterstudium in Diplomatie arbeitet sie heute selbstständig und lebt in Großbritannien, geboren wurde sie in Hagenow/Mecklenburg Vorpommern.
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