Wut ist ein Gefühl, das wir alle kennen, doch manche haben sie weitaus besser im Griff als andere. Wie wir am besten mit ihr umgehen und was sie über uns und unser Leben aussagt.
In der Paartherapie kann es auch mal richtig laut werden. Anette Frankenberger schließt dann die Fenster ihrer Praxis und lässt den heftigen Wortwechsel eine Weile laufen: "Weil sich dabei wichtige Dinge zeigen, mit denen wir danach weiterarbeiten können", erklärt die Münchner Therapeutin in unserem Podcast "15 Minuten fürs Glück".
Eines der Gefühle, die sich dabei häufig zeigen: Wut. "Sie gehört zu unserer menschlichen Grundausstattung und hat einen Sinn: Beispielsweise kommt sie, wenn ich mich nicht ernst- oder wahrgenommen fühle. Wenn jemand meine Grenzen missachtet, etwas ungerecht ist oder ich mich ausgeliefert fühle", erklärt Frankenberger.
Derartig heftige Gefühle gelte es nicht zu unterdrücken. "Doch sie ungefiltert rauszulassen, kann höchst zerstörerisch sein. Das geht nicht", betont sie. Niemanden verletzen, nichts zerstören und auch sich selbst nicht verletzen, seien die wichtigsten Regeln im Umgang mit Wut. "Das heißt, ich muss lernen, mit meinen heftigen Gefühlen einen guten, konstruktiven und auch heilsamen Umgang zu finden."
Wut und Selbstregulation: "Stellen Sie sich einen Regler vor"
In einer konkreten Situation bedeutet dies: "Wenn ich spüre, dass die Wut in mir hochkocht, gebe ich Bescheid und verlasse das Zimmer. Nebenan kann ich dann zum Beispiel in die Kissen schreien", schlägt Frankenberger vor.
Dieses Verhalten sei auch eine wunderbare Möglichkeit, Kindern ein Vorbild zu sein: "Ich merke diese heftigen Gefühle, aber ich schütze andere. Ich lasse sie an niemandem aus, sondern finde erst mal ein Ventil, einen Kanal." Und so könnten wir das dem Kind auch kommunizieren: "Ich will das jetzt nicht an dir auslassen, ich regle das erst mal für mich."
Manchmal sei es allerdings nicht möglich, den Raum zu verlassen, etwa wenn ein kleines Kind zu beaufsichtigen sei. Für solche Fälle rät Frankenberger: "Setzen Sie sich hin und achten Sie auf ihren Atem, zählen Sie bis 20 oder 100, je nach Bedarf."
Die Therapeutin betont, worauf es bei dieser Selbstregulation ankommt: "Man kann sich wirklich einen Regler vorstellen, mit dem man die heftigen Gefühle runterdreht. Es geht nicht darum, Gefühle zu verleugnen. Wir nehmen sie ernst, aber wir wollen niemandem schaden. Es ist eben ein riesiger Unterschied, ob ich Wut rauslasse, indem ich die Szenerie verlasse, oder ob ich Wut an anderen Menschen auslasse."
Wer zu Wut neigt, sollte sich bestimmte Fragen stellen
Haben wir uns wieder beruhigt, sei die Rückschau und Nachbesprechung wichtig: Was hat mich so verärgert in dem Moment, was hätte ich gebraucht? Vor allem, wenn wir immer wieder Wutausbrüche an uns beobachten, müssten wir uns fragen: Was sind die Auslöser? Warum fällt es mir so schwer, ruhig zu bleiben? Warum falle ich immer wieder in die gleichen Muster zurück? Obwohl ich sie doch längst von mir kenne und verhindern will?
"Wenn ich etwas einfach nicht umsetzen kann, ist das ein Signal: Irgendetwas fehlt mir eklatant. Ich muss also – und das vergessen wir oft - in mich gehen und erforschen, welche meiner Grundbedürfnisse unerfüllt sind", sagt Frankenberger. Beispielsweise sei es sehr schwer, immer freundlich und ausgeglichen zu sein, wenn man permanent erschöpft ist. Also rät sie, genauer zu überlegen, was eigentlich zu dieser Wut führt.
"Männer werden wütend, wenn sie traurig sind"
Bei Kleinkindern im Trotzalter stecke häufig vor allem Panik hinter den Ausbrüchen: "Hilfe, die Welt ist jetzt gar nicht so, wie ich sie mir vorgestellt hätte." Dann gelte es vor allem, das Kind zu beruhigen und abzulenken. "Für Erziehung ist es in dem Moment gar nicht zugänglich. Sätze wie ,Nun beruhig dich doch!‘ bewirken eher das Gegenteil. Ich gebe stattdessen Sicherheit und warte, bis der Anfall vorbei ist."
Neben den ungestillten Bedürfnissen stecke bei den Erwachsenen hinter der gezeigten Wut häufig auch noch ein anderes Gefühl. "Auch wenn es klischeehaft klingt: Männer werden wütend, wenn sie traurig sind, und Frauen werden traurig, wenn sie wütend sind", erläutert Frankenberger. "Unser Unterbewusstsein wählt das Gefühl, das wir besser können. Frauen dürfen leider immer noch eher traurig als wütend sein. Sind wir hilflos, nehmen wir dann das Gefühl, das uns vertrauter ist. Bei Männern ist das eher Wut als Traurigkeit."
Das für sich herauszufinden, sei ein wichtiger Schritt bei der Frage: Wo halte ich zu lange still, was müsste ich ändern, wo fühle ich mich ausgeliefert? Welche Bedürfnisse habe ich, die dringend erfüllt werden müssen? Hier sei die Wut ein Signal an uns, sagt Frankenberger: "Wenn wir sie haben, sollten wir zwar einen geeigneten Kanal finden, aber uns nicht für sie verurteilen."
Podcast "15 Minuten fürs Glück"
"So arbeitet die Redaktion" informiert Sie, wann und worüber wir berichten, wie wir mit Fehlern umgehen und woher unsere Inhalte stammen. Bei der Berichterstattung halten wir uns an die Richtlinien der Journalism Trust Initiative.