Die Beziehung mit einem Partner aus einem anderen Kulturkreis kann die eigene Weltsicht erweitern. Dabei müssen die Partner aber die Herausforderung bewältigen, dass die eigenen Anschauungen auch immer wieder infrage gestellt werden. Ausschlaggebend ist häufig die Bereitschaft, sich in den anderen hineinzuversetzen.

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Im Jahr 2017 wurden in Deutschland gut 46.000 sogenannte binationale Ehen geschlossen, bei denen die Partner unterschiedlichen Staatsangehörigkeiten hatten.

Bei vielen Konstellationen stehen die Paare vor verschiedenartigen Herausforderungen - rechtlichen ebenso wie kulturellen und psychischen.

In der Berliner Beratungsstelle des Verbands binationaler Familien und Partnerschaften begegnet Tatiana Lima Curvello Menschen in ganz unterschiedlichen Situationen.

"Eine Niederländerin und ein Franzose, die sich während ihres Studiums in England kennenlernen, haben andere Hürden zu meistern als eine deutsche Touristin, die sich in Tunesien in einen Strandverkäufer verliebt,“ sagt die Soziologin.

Deshalb sei es schwierig, von typischen Problemen binationaler Paare oder gar Patentlösungen für sie zu sprechen.

Sprache hilft, eine Kultur zu verstehen

Ein wichtiger Faktor ist aber unumstritten die Kommunikation. Dass beide Seiten jeweils die Sprache ihres Partners lernen, hat laut der Psychologin und Ethnologin Elisabeth Reif mehrere Vorteile.

Neben der Erleichterung des verbalen Verständnisses gebe das einen Einblick in die Kultur des anderen. Sprache beeinflusst auch die Wahrnehmung und Denkweise der Sprecher.

Ohne Kenntnisse der Muttersprache des Partners seien Bedeutungsnuancen und Motivationen schwerer zu deuten.

Außerdem vermeide man so ein asymmetrisches Machtverhältnis in der Partnerschaft. Wenn beide nur in der Muttersprache eines Partners kommunizieren, bringt das den anderen Partner in eine schwächere Position.

Doch auch wenn das Paar eine Sprache verwendet, die beide gut beherrschen, kann es zu Missverständnissen kommen, weil beide aufgrund ihrer Prägung und Erfahrungen unterschiedliche Vorstellungen mit dem Gesagten verbinden.

"In einem Fall lernte ein Deutscher beispielsweise eine Brasilianerin kennen. Sie fragte ihn, was er zu Hause mache und er antwortete, er habe eine Farm. Sie verstand das so, dass er ein Großgrundbesitzer wäre, wie es in Brasilien üblich ist. Als sie zu ihm nach Deutschland kam, fiel sie aus allen Wolken, dass der Mann von ihr erwartete, dass sie auf dem Hof mitarbeitet", berichtet Lima Curvello.

Sozialisation wichtiger als Nationalität

Ausschlaggebend dafür, wie einfach einem Paar das gegenseitige Verstehen fällt, sind ihre Überzeugungen darüber, was richtig und selbstverständlich ist.

Vielen Menschen wird oft erst im Austausch mit Angehörigen anderer Kulturen bewusst, dass viele Verhaltens- und Sichtweisen, die sie als allgemeingültig und typisch menschlich betrachtet hatten, auch nur Ausdruck ihrer eigenen Prägung durch ihr Umfeld sind.

Dass die eigenen Überzeugungen über die grundlegendsten Dinge ständig infrage gestellt werden, wird laut Reif von Partnern in einer bikulturellen Beziehung als Kränkung empfunden.

Ein wichtiges Ziel bei der interkulturellen Paarberatung ist es daher, bei beiden Partnern Verständnis für die Sichtweisen des anderen zu erzeugen.

Die größten Konflikte gibt es laut Lima Curvello dort, wo die Prägungen aus zwei grundlegend unterschiedlichen Gesellschaftsformen aufeinandertreffen.

"In westlichen Gesellschaften darf man vieles individuell gestalten, man kann miteinander aushandeln, wie man leben will. Im Gegensatz dazu gibt es Gesellschaften mit klaren Regeln, die man automatisch befolgt. Diese beiden Sozialisationen zusammenzubringen, ist nicht leicht. Trotzdem ist es möglich", so die Soziologin.

In der Praxis beobachtet sie das beispielsweise bei mehreren Paaren, bei denen Brasilianerinnen zusammen mit ihrem deutschen Partner in Deutschland leben.

"Er erwartet von ihr, Probleme partnerschaftlich zu lösen. Sie ist es aber gewohnt, dass sie Probleme mit ihrer Mutter, ihrer Schwester oder ihrer Nachbarin bespricht." Kränkungen und Missverständnisse seien so programmiert.

"Der Mann hat ein Bild von Partnerschaft im Kopf, das so in Brasilien zumindest auf dem Land keine Frau hat. Ein Mann ist kein Partner, ein Mann ist jemand, der einen versorgt, mit dem geht man ins Bett, aber man kommt gar nicht auf die Idee, dass er seine Probleme mitteilt oder dass man seine eigenen Probleme mit ihm bespricht", so Lima Curvello weiter.

Die Rolle des sozialen Umfelds

Zusätzliche Konflikte können bei binationalen Partnerschaften durch das soziale Umfeld entstehen. Bei vielen Menschen sind die Loyalität zur Herkunftsfamilie und der Druck, ihren Erwartungen zu entsprechen, sehr ausgeprägt.

"Ich kenne ein Paar, er ist Iraner, sie Deutsche. Wenn seine Eltern kommen, spielen sie ihnen vor, dass sie sich traditioneller verhalten würden, als sie es sonst tun. Auch die Kinder verhalten sich anders", beschreibt Lima Curvello.

Das funktioniere in dem Fall, weil die Beteiligten die kurzen Phasen des Schauspiels nicht als problematisch empfinden würden.

Das sei jedoch nicht selbstverständlich: "Bei einem anderen deutsch-iranischen Paar ist die Frau mit ihren drei Kindern ausgezogen, nachdem der Mann seine Mutter aus dem Iran holte. Ihr war das alles zu viel geworden."

Kulturelle Unterschiede können stärker zum Vorschein kommen, wenn Kinder im Spiel sind. Es sei schwierig, potenzielle Konflikte im Vorfeld auszuräumen.

Sich darüber zu verständigen, wie man Bereiche wie die Kindeserziehung in der Zukunft gestalten will, sei typisch für westlich geprägte Gesellschaften.

"Partner aus vielen traditionellen Gesellschaften merken manchmal erst, wenn das Kind da ist, dass sie bestimmte Prägungen im Kopf haben", sagt Lima Curvello.

In manchen Fällen ändert nach ihrer Erfahrung auch die reale Situation die Einstellung des Partners: "Vorher denkt der Vater noch, der Sohn muss nicht beschnitten werden, auf einmal ist das Kind da und dann merkt er, dass es ihm doch wichtig ist."

Ungeklärte Machtkonflikte werden laut Reif ebenfalls häufig über die Kindeserziehung ausgetragen und äußern sich darin, dass die Eltern ihren Kindern unterschiedliche Werte, Sprachen oder Religionen vermitteln wollen. Das führe wiederum zu Loyalitätskonflikten bei den Kindern.

Da es für die Betroffenen selbst oft schwierig ist, die eigenen Muster zu erkennen und abweichende Sichtweisen des Partners zu verstehen, kann es hilfreich sein, die professionelle Hilfe spezialisierter Beratungsstellen in Anspruch zu nehmen. Dort können bikulturelle Paare und Familien häufig auch rechtliche Fragen klären.

Verwendete Quellen:

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