"Wären nicht die Kinder, wir wären längst nicht mehr zusammen", hört man Paare nicht selten sagen. Doch ist das richtig? Welchen Einfluss unsere Beziehung aufs Kind hat, erklärt ein Therapeut.

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Kaum noch Gemeinsamkeiten, ständiger Streit, immer wiederkehrende Diskussionen – wenn die Liebe geht, denken viele Paare an Trennung. Sind jedoch gemeinsame Kinder im Spiel, fällt vielen dieser Schritt schwer und Gedanken wie "Wären die Kinder nicht, würden wir uns trennen" beeinflussen eine mögliche Entscheidung. Doch sollte man wegen der Kinder eine unglückliche Ehe oder Beziehung aufrechterhalten? Wir haben mit einem Paartherapeuten gesprochen.

Statistisch gesehen wird jede dritte Ehe in Deutschland geschieden, hinzu kommen Trennungen unverheirateter Paare. Knapp mehr als die Hälfte der 2021 geschiedenen Ehepaare hatte Kinder unter 18 Jahren – rund 121.800 Minderjährige waren in diesem Jahr von der Scheidung ihrer Eltern betroffen, wie das Statistische Bundesamt mitteilt. Während manche Paare also den Schritt einer Trennung gehen, hadern andere mit Blick auf die gemeinsamen Kinder mit der Entscheidung. Andere wiederum bleiben so lange in einer unglücklichen Partnerschaft, bis die Kinder erwachsen und aus dem Haus sind, um sich erst dann zu trennen.

Doch kann Kindern mit diesem Schritt jene Stabilität in ihrer Entwicklung gegeben werden, die Eltern sich erhoffen? Im Gespräch mit unserer Redaktion meint der Hamburger Paartherapeut Eric Hegmann eine Trennung sei zunächst einmal eine Entscheidung, die "getroffen und danach nicht bereut oder über die immer wieder gehadert werden" sollte.

Paartherapeut: "Nur Veränderung ermöglicht Verbesserung"

Die Frage "Trennung trotz Kind – ja oder nein?" nicht eindeutig beantworten zu können und eine Entscheidung teils jahrelang vor sich herzuschieben, ist kein seltenes Phänomen. Das beobachtet auch Hegmann: Paare, die diesen Weg gehen, "haben sich für eine Lösung nie wirklich entscheiden, sie arbeiten sich vielmehr über viele Jahre an einer Entscheidung ab. Das sorgt für Stress in der Partnerschaft der Eltern, sie erleben sich immer häufiger als Gegner und schon gar nicht mehr als Liebende", ordnet er die Herausforderung ein.

Wie der Experte immer wieder in der Praxis erlebt, äußern die Betroffenen in solchen Situationen häufig Sätze wie "Wir müssen ja funktionieren". Laut Einschätzung des Therapeuten könne man durchaus so handeln, immerhin bringe Veränderung nicht automatisch Verbesserung. "Aber nur Veränderung ermöglicht Verbesserung", gibt Hegmann zu bedenken.

"Die Welt bricht häufig viel früher als bei einer Trennung zusammen"

So weit, so die häufigen Herangehensweisen der Eltern. Doch wie sieht das Ganze aus der Perspektive der Kinder aus? Viele Eltern fürchten, eine Trennung könne dem Kind nachhaltig schaden und womöglich Einfluss auf dessen spätere Beziehungen nehmen. Auch die Sorge, für das Kind könne im Fall einer Trennung der Eltern eine Welt zusammenbrechen, beeinflusst die Paare häufig in ihrer Entscheidung. Ist an diesen Befürchtungen etwas dran?

Für Eric Hegmann steht fest: "Die Welt bricht häufig viel früher als bei einer Trennung zusammen. Viele Kinder beziehen den Streit der Eltern auf sich, machen sich selbst Vorwürfe und übernehmen unbewusst Verantwortung für die Harmonie in der Familie." Hegmann ergänzt, an diesem Punkt werde häufig im Rahmen einer Familientherapie angesetzt. Hier werde das Kind bei dem Gedanken "Das hat mit dir nichts zu tun" unterstützt.

Trennung wegen neuer Beziehung: Was bedeutet das fürs Kind?

Es ist die Frage der Kommunikation, die laut der Experteneinschätzung eine entscheidende Rolle spielt. Eben jener Austausch spielt auch dann eine Rolle, wenn Eltern sich trennen, weil sie etwa in einem anderen Menschen eine neue Liebe gefunden haben. Ob sich die Trennung der Eltern wegen einer neuen Beziehung eines der Elternteile positiv oder negativ auf das spätere Beziehungsleben der Kinder auswirkt, kann laut Hegmann nicht verallgemeinert beantwortet werden.

Wie der Experte einordnet, können aus einer solchen Erfahrung aber "viele Strategien für das eigene spätere Leben entstehen". Damit meint er etwa "das Wissen, dass es mehr als eine Liebe im Leben geben kann" oder "die Sicherheit, dass nach einem Beziehungsaus etwas wundervoll Neues entstehen" kann. Natürlich könne aus einer solchen Erfahrung aber "manchmal auch Zorn auf ein Elternteil, der sehr schwer überwunden wird", resultieren.

So oder so: Dreh- und Angelpunkt der Aufarbeitung ist und bleibt aber der kommunikative Austausch. Nach Hegmanns Beobachtung sei es demnach "weniger die Erfahrung selbst, sondern der Umgang und die Kommunikation, die von den Eltern bei solchen Themen mit den Kindern von Anfang an gepflegt" werden müssen.

Wie beeinflusst unsere Beziehung die der Kinder in der Zukunft?

Welchen Einfluss hat aber die Art von Beziehung, die Eltern vorleben, auf ihre Kinder? Steckt tatsächlich eine berechtigte Sorge hinter der Befürchtung vieler Eltern, ihre eigene Form der Beziehung könne sich auf das spätere Paarverhalten der Kinder auswirken? Dass Kinder häufig "automatisch viele Dynamiken der Eltern als gesetzt" übernehmen, ist laut Einschätzung von Eric Hegmann gewissermaßen folgerichtig.

Immerhin können sie "diese anfangs ja nicht hinterfragen und vergleichen mit anderen Paaren". Wie er erklärt, leben Kinder als Erwachsene "häufig dann diese Dynamiken nach, beispielsweise durch ihren eigenen Kommunikationsstil, oder weil sie sich Partnerinnen oder Partner suchen, mit denen die möglich ist – und das sogar, wenn der Kommunikationsstil aus der Ferne betrachtet nicht wirklich zugewandt oder konstruktiv ist".

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Trennen oder zusammenbleiben?

Die herausfordernde Frage, sich trotz Elternschaft zu trennen, kann nur individuell beantwortet werden, das betont auch Eric Hegmann abschließend. Demnach könne er selbst grundsätzlich weder eine Empfehlung für eine Trennung noch für das Zusammenbleiben aussprechen.

Er für seinen Teil unterstütze in seiner Arbeit "die Partner dabei, die Entscheidung für sich zu entwickeln und zu treffen, die ihnen guttut". Vor allem, "wer sich in einer emotionalen oder finanziellen Abhängigkeit befindet, benötigt hierfür häufiger Hilfestellung, weil eine solche Entscheidung dann besonders schwerfallen kann", ergänzt der Experte. Ob es schlussendlich zusammenbleibt oder sich trennt, müsse aber "jedes Paar selbst entscheiden".

Über den Experten: Eric Hegmann ist Paartherapeut in Hamburg, Co-Gründer der Modern Love School sowie einer eLearning-Plattform mit Onlinekursen rund um die Liebe. Seit über 17 Jahren ist er Mitglied im Parship-Experten-Team und begleitet und ordnet dort repräsentative Studien über Partnersuche und Beziehungen ein.

Verwendete Quellen:

  • Destatis: Zahl der Ehescheidungen 2021 um 0,7 % gesunken
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