Anfang März wurde die Öffentlichkeit erstmals auf sie aufmerksam: die R-Zahl. Seither sind viele neue Kennziffern zum Coronavirus hinzugekommen - und viele Menschen fragen sich nun, auf welche sie in Zeiten wieder angestiegener Fallzahlen achten sollten.

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Nach einer Phase der Entspannung hat die Zahl der Neuinfektionen mit dem Coronavirus zuletzt wieder zugenommen. Das Robert Koch-Institut (RKI) als zuständige Bundesbehörde findet die Entwicklung der Fallzahlen weiterhin "sehr beunruhigend".

Mit Stand 29. August erfasste die Behörde 240.986 Infektionen mit dem neuartigen Coronavirus SARS-CoV-2, das waren 1.479 mehr als am Tag davor. Der R-Wert liegt aktuell bei 1,04.

Die Zahl der Neuinfektionen, ist nach wie vor eine wichtige Kennzahl zur Beurteilung der Lage. Sie hat allerdings Schwächen: Sie spiegelt nicht die tatsächlichen Neuinfektionen wieder, weil nur getestete Personen in die Statistik eingehen, und sie ist nicht tagesaktuell, weil es einige Tage dauert, bis die Daten von den Gesundheitsämtern beim RKI ankommen.

Einige Zahlen sind heute realistischer als vor einigen Monaten

Tatsächlich aber ist die Zahl der Neuinfektionen heute wohl aussagekräftiger als noch zu Beginn der Pandemie. Das liegt unter anderem daran, dass mittlerweile mehr getestet wird als damals. Standen Mitte März nur rund 7.000 Tests pro Tag zur Verfügung, waren es Ende Juli etwa 180.000.

In der letzten Juli-Woche wurden zum Beispiel rund 570.000 Menschen auf SARS-CoV-2 getestet, rund ein Prozent der Tests waren positiv. Bei den Tests Mitte März lag diese Positivrate bei fast sechs Prozent - wahrscheinlich weil vor allem schwere Fälle getestet wurden.

Wie hoch ist die Dunkelziffer?

Das eine Prozent von heute spiegelt vermutlich eher die tatsächliche Infektionsrate wieder, obwohl sie mit ziemlicher Sicherheit immer noch zu niedrig ist. Wie hoch die Dunkelziffer ist, lässt sich derzeit nicht seriös abschätzen.

Tests zur Seroprävalenz, also zu Antikörpern, die nach einer überstandenen Infektion im Blut vorhanden sein sollten, sind geplant oder laufen bereits. Mit diesen Tests, wenn sie repräsentativ gemacht werden, könnte die tatsächliche Durchseuchung in der Bevölkerung festgestellt werden.

Vereinzelt gibt es schon Ergebnisse solcher Studien, zum Beispiel in Schweden. Dort ergab eine Untersuchung Mitte Mai für verschiedene Altersgruppen folgende Seroprävalenzen: bei den 0- bis 19-Jährigen 7,5 Prozent, bei den 20- bis 64-Jährigen 6,5 Prozent und bei den über 65-Jährigen 2,9 Prozent.

Allerdings ist bei den Antikörpern noch einiges unklar. Wie lange bleiben sie nach einer überstandenen Infektion im Körper? Bildet auch jemand, der nur leicht erkrankt ist, Antikörper? Diese Fragen sind nach wie vor offen.

Nicht mehr so prominent, aber immer noch wichtig: der R-Wert

Bis hier zuverlässige Zahlen vorliegen, muss die Politik mit dem arbeiten, was sie hat - und den Rest schätzen. Das RKI verwendet hierfür ein Modell namens Nowcasting. Mit dem Modell soll das Problem angegangen werden, dass nicht nur Zeit zwischen einem Positivtest und der Meldung ans RKI vergeht, sondern schon zwischen der Infektion und einem Test.

Die Entscheidungsträger sind also im Grunde immer hinterher, wenn es darum geht, aufgrund aktueller Zahlen Beschlüsse über Lockerungen oder Lockdowns zu treffen. Nowcasting soll da Abhilfe schaffen, indem es Erfahrungen mit vergangenen Krankheitsverläufen nimmt und diese quasi auf die Gegenwart projiziert.

Unter anderem auf der Basis von Nowcasting wird auch der mittlerweile berühmte Reproduktionswert (R-Wert) berechnet. Er soll helfen, das künftige Infektionsgeschehen zumindest ein Stück weit vorherzusagen, und er tut das, indem er sagt, wie viele infizierte Personen im Moment andere anstecken.

Im März war der R-Wert bei 3, was bedeutete, dass eine infizierte Person im Schnitt drei weitere ansteckte. Der R-Wert hat in der Öffentlichkeit etwas an Reputation verloren, nachdem er einige Male von einem auf den anderen Tag sehr stark schwankte. Mit dem 7-Tage-R-Wert, der Mitte Mai eingeführt wurde, sollen diese Schwankungen kleiner werden.

Ein Problem des R-Wert bleibt aber: Er wird aus Werten der Vergangenheit berechnet, nämlich aus dem Mittel der Neuinfektionen der letzten sieben Tage geteilt durch das Mittel der Neuinfektionen der sieben Tage davor. Zwar zeigt er sehr gut, ob der Trend nach oben oder unten geht, und ist deswegen nach wie vor ein sehr wichtiger Wert. Er ist aber nicht im eigentlichen Sinn aktuell. Aktuell (Stand: 29. August) steht der 7-Tage-R-Wert bei 1,01.

7-Tage-Inzidenz als Warnsignal

Dass bei der Betrachtung einer ganzen Woche Tagesschwankungen ausgeglichen werden können, hat auch zur Einführung eines anderen 7-Tage-Wertes geführt, nämlich der 7-Tage-Inzidenz.

Bei der 7-Tage-Inzidenz wird ein Durchschnitt der letzten Woche gebildet - und zwar auf die Infektionsfälle pro 100.000 Einwohner. Momentan liegt die 7-Tage-Inzidenz deutschlandweit bei 9,7, das heißt, dass es pro 100.000 Einwohner derzeit rund zehn Fälle von Infektionen mit SARS-CoV-2 gibt.

Der Wert dient auch als Warnsignal. Wird ein bestimmter Grenzwert überschritten, greift die Politik ein und verschärft möglicherweise Corona-Maßnahmen. In den meisten Bundesländern liegt dieser Grenzwert bei 50 Fällen pro 100.000 Einwohnern.

In Berlin ist er beispielsweise Teil einer dreiteiligen Ampel aus R-Wert, Intensivbetten-Belegung und eben der 7-Tage-Inzidenz. Stehen zwei der Ampeln auf Gelb, beraten die Entscheidungsträger über etwaige Verschärfungen.

Die Intensiv-Bettenauslastung ist deswegen ein wichtiger Wert, weil er zeigt, wie stark das Gesundheitssystem aktuell durch die Pandemie belastet ist. Die Sorge, dass nicht mehr alle Menschen, die es brauchen, behandelt werden können und dass das Gesundheitssystem kollabiert, waren bedeutsame Treiber des Lockdowns in Deutschland vor einigen Monaten.

Die Deutsche Interdisziplinäre Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI) sammelt diese Daten und veröffentlicht täglich einen Bericht. Am 29. August 2020 waren demnach 241 COVID-19-Patienten in intensivmedizinischer Behandlung, von rund 30.000 sogenannten ITS-Betten waren etwa 9.000 frei.

Verwendete Quellen:

  • Website des Robert Koch-Instituts
  • Website des Berliner Senats: Corona-Ampel: Die aktuellen Indikatoren
  • DIVI-Intensivregister:
  • Website des Statistischen Bundesamts

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