In Brasilien sind erstmals mehr als 1.000 Menschen an einem Tag infolge einer Coronavirus-Infektion gestorben. Den Präsidenten scheint das aber kaum zu interessieren. Die Politik des Landes ist mehr mit sich beschäftigt als mit der Virus-Bekämpfung.

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Das Zentrum der Corona-Pandemie ist in den vergangenen Monaten einmal um die Welt gewandert. Erst lag es in China, dann in Italien, bevor es in den USA ankam. Jetzt macht es einen Schlenker nach Süden: Lateinamerika entwickelt sich zum neuen Brennpunkt.

In Peru etwa haben sich bislang 94.933 Menschen nachweislich mit dem Coronavirus infiziert, in Mexiko 51.633, in Chile 46.059 (Stand: 20. Mai). Zum Teil gelten recht strenge Ausgangssperren.

In einer Region, in der rund die Hälfte der Bevölkerung im informellen Sektor beschäftigt ist, hat das dramatische wirtschaftliche und soziale Folgen. In einem Vorort von Santiago de Chile kam es zu gewalttätigen Protesten. Die chilenischen Demonstranten verlangten Lebensmittelpakete von ihrer Regierung, weil sie seit einem Monat nicht mehr zur Arbeit gehen können.

Coronavirus in Südamerika: Warnung vor humanitärer Katastrophe

In Kolumbien hängen Familien rote Tücher an ihre Haustüren, um auf ihre Not aufmerksam zu machen und um Essen zu bitten. In Argentinien stehen die Menschen der Armenviertel vor den Suppenküchen Schlange. "In Lateinamerika droht eine humanitäre Katastrophe", sagt der Leiter des katholischen Hilfswerks Adveniat, Pater Michael Heinz. "Auf COVID-19 folgen Hunger und Gewalt."

Noch dramatischer ist die Lage jedoch im größten Land Südamerikas. Mit mehr als 255.000 nachgewiesenen Infektionen liegt Brasilien mittlerweile weltweit an dritter Stelle der am schlimmsten betroffenen Länder - fast 17.000 Menschen starben bereits in Zusammenhang mit der Lungenkrankheit COVID-19. Am Dienstag meldete das Land erstmals mehr als 1.000 Todesfälle an einem Tag.

Verschärft wird die Lage durch chaotisches Krisenmanagement: Während Rio de Janeiro oder São Paulo Ausgangsbeschränkungen verhängt haben und Geschäfte schließen, hält der rechtspopulistische Präsident Jair Bolsonaro das Virus weiterhin für eine "leichte Grippe". Er will so schnell wie möglich zur Normalität zurück.

Minister-Wechsel in Brasilien

Wie widersprüchlich und chaotisch Brasiliens Antwort auf Corona ist, zeigte sich am vergangenen Freitag, als Gesundheitsminister Nelson Teich seinen Rücktritt erklärte.

Das war nicht einmal einen Monat, nachdem Bolsonaro Teichs Vorgänger wegen Unstimmigkeiten im Umgang mit dem Virus gefeuert hatte.

Die Politik in Brasilien ist mehr mit sich beschäftigt als mit der Virus-Bekämpfung. In Korruptionsermittlungen nahm die Bundespolizei in Rio mehrere Politiker und Unternehmer fest, die beim Kauf von Atemgeräten mehrere Millionen Euro veruntreut haben sollen. Selbst in einer Pandemie nutzen sie die Gelegenheit, um sich unrechtmäßig zu bereichern.

Obendrein droht Bolsonaro ein Amtsenthebungsverfahren: Seine drei Söhne, ebenfalls in politischen Ämtern, sollen in korrupte Geschäfte paramilitärischer Milizen sowie in Rufmordkampagnen im Internet verwickelt sein. Um das - offenbar - zu vertuschen, entließ Bolsonaro kurzerhand den Polizeichef. Der Nachfolger des Polizeichefs sollte ein Freund des Präsidenten werden. Doch das Oberste Gericht untersagte dessen Amtseinführung.

Bolsonaro büßt bei Bürgern an Zustimmung ein

Mitten in der Coronakrise agiert Bolsonaro also nicht nur verantwortungslos, er will auch noch von seinen politischen Affären ablenken. Die Menschen des Landes sind verärgert wegen des Machtspiels ihres Präsidenten. Bolsonaros Popularitätswerte sind laut einer Umfrage, über die kürzlich von "Reuters" berichtet wurde, von fast 50 Prozent auf unter 40 gefallen.

Wie geht es nun weiter in dem von dem Coronavirus schwer gebeutelten Land? Der Präsident jedenfalls kündigte an, Schönheitssalons, Friseure und Fitnessstudios wieder öffnen zu wollen, sie seien "systemrelevant".

Experten gehen derweil davon aus, dass Brasilien noch das Schlimmste bevorsteht. Sie erwarten den Höhepunkt der Ausbreitung im Juni. Ohnehin sind sie der Meinung, dass sich viel mehr Brasilianer mit dem Coronavirus angesteckt haben als nachgewiesen ist. Schätzungen gehen von einer bis zu 15-fachen höheren Zahl aus. (msc/dpa)

Verwendete Quellen:

  • zeit.de: Brasilien meldet erstmals mehr als 1.000 Todesfälle an einem Tag
  • reuters.com: Poll shows more Brazilians spurn Bolsonaro's COVID-19 response
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