Wenn Prinz Charles auf dem roten Teppich den indischen "Namaste"-Gruß lernt und sich Gesundheitsminister Jens Spahn am Ebola-Gruß mit Ellbogenberührungen versucht, ist das lustig anzusehen. Aber dahinter steckt auch bitterer Ernst: Das Coronavirus hat unsere Etikette verändert – und wir müssen uns anpassen. Aber warum geben wir uns zur Begrüßung überhaupt die Hände?

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"Das Händereichen drückt die gegenseitige Wertschätzung und das Vertrauen aus", erklärt Linda Kaiser, Vize-Vorsitzende der Deutschen-Knigge-Gesellschaft. "Indem ich jemandem die Hand reiche, stimme ich dem anderen zu und liefere mich ihm gleichzeitig aus." Denn dann kann keiner eine Waffe führen oder zum Schlag ausholen - so zumindest die historische Herleitung.

"Wem ich also nicht vertraue, dem reiche ich nicht die Hand", fasst Kaiser zusammen. Schon im Römischen Reich (8. Jahrhundert v. Chr. bis 7. Jahrhundert n. Chr.) kannte man diese Tradition, 2017 wurde das Händeschütteln sogar in den Katalog zur deutschen Leitkultur für Einwanderer aufgenommen.

Hautkontakt ist nicht das Problem

Jetzt allerdings die Kehrtwende – und das auch noch auf Empfehlung der Behörden. Warum? Beim Händeschütteln kommen die oberen Hautschichten der Beteiligten und damit alle an ihnen haftenden Flüssigkeiten und Erreger in Kontakt und können übertragen werden.

"Das Problem ist dabei aber nicht der Hautkontakt", erklärt der Allgemeinarzt aus München-Martinsried, Professor Jörg Schelling. "Denn die Haut ist für Bakterien und Viren nur schwer zu durchdringen. Problematisch wird es, wenn die Hand ans Gesicht und vor allem an den Mund oder die Nase geführt wird." Dann können die daran haftenden Keime, Flüssigkeiten - und eben auch Coronaviren - die Mund-Rachen-Nasenschleimhaut infizieren.

Das war schon vor Corona-Zeiten so. "Aber seit Corona wissen wir, dass Deutschland einen großen Nachholbedarf an Händehygiene hat", sagt Kaiser. Einigermaßen hygienisch unbedenklich ist das Ritual daher nur mit demjenigen, der seine sauber gewaschene Hand aus einem Handschuh zieht, den man in der Öffentlichkeit ausschließlich zum Händeschütteln ablegt.

Das Händeschütteln bekräftigt nur die Grußworte

Auch vor Corona war das Händeschütteln kein Muss. "Es ist 'nur' ein Bestandteil eines Begrüßungs- oder Abschiedsrituals, zu dem neben der Handreichung auch das gesprochene Wort steht", sagt Kaiser.

Das sind eben jene Begrüßungs- oder Abschiedsworte, denen man zunächst aufmerksam zuhören sollte, bevor die ranghöhere Person die Hand zur Bekräftigung der ausgetauschten Worte darreicht. "Dabei halten wir übrigens Blickkontakt, auch eine Art der Begrüßung."

Wurde vor der Pandemie ein Handschlag jedoch übergangen, galt das als Fauxpas und war zum Beispiel bei US-Präsident Donald Trump erst Anfang Februar eine Schlagzeile wert, als er den Gruß seiner Erzrivalin Nancy Pelosi ignorierte. "Generell sind Menschen soziale Wesen: Sie gucken sich bei anderen ab, wie es richtig geht", sagt die Gesundheitspsychologin Sonia Lippke. "Sie beobachten, was gerade angesagt oder hip ist, und nehmen wahr, was nicht mehr ok ist."

Was ist in Coronazeiten angemessen?

Trumps Reaktion ist aber auch in Corona-Zeiten nicht angemessen: Hält jemand jetzt die Hand zum Gruß hin, "dürfen Sie den Handschlag gerne mit einem freundlichen Verweis auf die momentane Lage verwehren", so die Deutsche-Knigge-Gesellschaft. "Auch das ist umsichtiges Verhalten."

Der mit der Hand Grüßende dagegen handelt jetzt – anders als Pelosi im Februar - "unbedacht oder ignorant", meint Professorin Lippke von der Jacobs University Bremen. "Rücksichtslos ist es, im Supermarkt ein Regal leerzuräumen, auch wenn man mit weniger auskommt. Und unhöflich ist es, gar nicht mehr zu grüßen." Denn auch mit zwei Meter körperlichem Abstand kann man freundlich sein.

"Die Formulierung 'Soziale Distanz' wird in diesen Tagen deswegen oft falsch verstanden. Besser wäre es, nur vom körperlichen Abstand zu sprechen, also von physical distancing."

Es gibt unzählige Gruß-Alternativen

Denn es gibt genug alternative Grußmöglichkeiten: Gab Professor Schelling vor Corona jedem Patienten die Hand zur Begrüßung, schlägt er jetzt vor: "Über eine gewisse Entfernung kann zum Beispiel die Hand gehoben werden wie bei einem Indianergruß. Oder vielleicht einfach ein Lächeln, ein Kopfnicken oder eine kleine Verbeugung?"

Andere mögliche Alternative wie die Begrüßung mit den Füßen (ein Balanceakt), dem Ellbogen (kaum alltagstauglich) oder der Ghettofaust (unverbindlich und abweisend) werden aber wohl den Handschlag nicht ersetzen können, meint Kaiser. "Auch über den Wangenkuss wird nicht so viel diskutiert wie über das Händeschütteln. Gefühlt scheint es also keine Alternative zu geben."

Ähnlich sieht es Lippke: "Wir Menschen sind Gewohnheitswesen, und meistens kommen nach einiger Zeit alte Gewohnheiten wieder hoch." Auf bisherige Forschungen aufbauend, ist sie deswegen zuversichtlich, dass in einigen Monaten wieder die Hände geschüttelt werden und wir uns gegenseitig umarmen.

"Gegen eine Wiederaufnahme unserer Tradition spricht auch nichts, solange man sich stets gut die Hände wäscht und es keine weiteren akuten pandemischen Erreger gibt", ergänzt Schelling. "Sicherlich wird das aber nach Corona wieder anders gehandhabt werden."

Richtiges Händeschütteln lernen durch Corona-Krise?

Vielleicht, so hofft es Kaiser von der Knigge-Gesellschaft, "lernen wir durch die Coronakrise, dass vor dem Händeschütteln der gesprochene Gruß steht, dem man mehr Aufmerksamkeit widmen sollte, bevor man jedermann ungefiltert die Hand hinstreckt und sich bereits im Gespräch mit dem Nächsten befindet."

Und wer nach Corona gar nicht mehr Händeschütteln möchte, hat in diesen Wochen genug Zeit zu lernen, wie man es höflich vermeidet: mit einer Ankündigung in freundlichen Worten bei Blickkontakt.

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