Was hat den massenhaften Fund von Corona-Infizierten bei Tönnies in Rheda-Wiedenbrück ausgelöst? Forscher sind der Antwort auf diese Frage jetzt auf die Spur gekommen.
Ein Mitarbeiter in der Rinderzerlegung hat im Mai 2020 laut einer Studie das Coronavirus bei Tönnies in Rheda-Wiedenbrück verteilt. Dabei wurde das Virus nach dem Forschungsergebnis von Wissenschaftlern des Helmholtz-Zentrums für Infektionsforschung (HZI), der Uniklinik Hamburg-Eppendorf und des Leibniz-Instituts für Experimentelle Virologie (HPI) auf mehrere Personen im Umkreis von mehr als acht Metern übertragen, wie das HZI am Donnerstag mitteilte. Dazu wurden die Standorte der Arbeiter bei der Arbeit und die Infektionsketten anhand von Virussequenzen analysiert.
In der Zerlegung wird die Luft durch Umwälzung auf 10 Grad gekühlt. Der Bonner Hygiene-Professor Martin Exner hatte die Luftumwälzung als einen möglichen Faktor für die Virus-Ausbreitung benannt, nachdem er die Arbeitsbedingungen vor Ort im Werk analysiert hatte. Tönnies hat daraufhin neue Filter-Anlagen installiert, um das Verteilen des Virus über die Luft zu unterbinden.
Übertragung über relativ weite Distanzen möglich
Exner hatte Mitte Juni zudem vermutet, dass auch die Wohnsituation der Arbeiter eine Rolle spielen könne. Die Forscher aus Hamburg und Braunschweig dagegen betonten nun, dass die Wohnsituation der Werksarbeiter während der untersuchten Phase keine wesentliche Rolle gespielt habe.
"Unsere Studie beleuchtet SARS-CoV-2-Infektionen in einem Arbeitsbereich, in dem verschiedene Faktoren aufeinandertreffen, die eine Übertragung über relativ weite Distanzen ermöglichen. Es stellt sich nun die wichtige Frage, unter welchen Bedingungen Übertragungsereignisse über größere Entfernungen in anderen Lebensbereichen möglich sind", sagte Melanie Brinkmann, Professorin und Forschungsleiterin am HZI in Braunschweig.
Stärkere Aerosolübertragung
Adam Grundhoff, Mitautor der Studie, sagte der Deutschen Presse-Agentur mit Blick auf das Ergebnis: "Damit ist ein Superspreader-Vorgang für den Ausbruch bei Tönnies gefunden." Auch sei nachgewiesen worden, dass die bei Tönnies gefundenen Virussequenzen zuvor in einem Werk einer Westfleisch-Tochter in Dissen in Niedersachsen auch eine Rolle gespielt haben, sagte der Professor. Die Studienergebnisse wurden noch nicht in einem Fachjournal veröffentlicht, sondern vorab auf eine sogenannte Preprint-Plattform gestellt.
"Unsere Ergebnisse weisen darauf hin, dass die Bedingungen des Zerlegebetriebs – also die niedrige Temperatur, eine geringe Frischluftzufuhr und eine konstante Luftumwälzung durch die Klimaanlage in der Halle, zusammen mit anstrengender körperlicher Arbeit – die Aerosolübertragung von SARS-CoV-2-Partikeln über größere Entfernungen hinweg förderten", sagte Grundhoff.
Gefährliche Begegnungen auf den Gängen
Tönnies-Sprecher André Vielstädte berichtete, dass sich die Zahl der gefundenen Infektionen von der Rinderzerteilung über die Sauen- und später die Schweinezerteilung ausgebreitet habe. Das hätte die eigene Reihentestung gezeigt. Zwar würden die Arbeiter nicht in den unterschiedlichen Bereichen durchmischt eingesetzt. "Aber die Bereiche liegen in der Fabrik nah beieinander", erklärte Vielstädte. Die Arbeiter würden sich in den Gängen auf dem Weg zur Arbeit und in den Sozialräumen begegnen. (mss/dpa)
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