• Es mangelt an Rezepten, der Corona-Pandemie auf wirtschaftlicher Ebene wirkungsvoll zu begegnen.
  • Gesamtmetall-Chef Wolf fordert einen neuen, harten Lockdown, um die wieder steigenden Inzidenzzahlen zu bremsen.
  • Ein Experte meint: Die meisten Unternehmer wollen ihre Betriebe nicht wieder schließen. Und: Das politische Risiko wäre zu groß.
Eine Analyse

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Stefan Wolf, Präsident des Arbeitgeberverbandes Gesamtmetall, machte in dieser Woche gleich mehrfach von sich reden: Am Dienstag sorgte er mit einem tarifpolitischen Pilotabschluss der Elektro- und Metallindustrie in Nordrhein-Westfalen für ein "Signal der Hoffnung" im Unternehmerlager – es muss in diesem Jahr keine weiteren Belastungen befürchten.

Doch auch schon zwei Tage zuvor hatte Wolf für Schlagzeilen gesorgt: In einem Interview mit der "Bild am Sonntag" kritisierte er die Ergebnisse der von Angela Merkel geleiteten Ministerpräsidentenkonferenz scharf und plädierte stattdessen für einen harten Lockdown: Es wäre ihm lieber, sagte der Arbeitgeber-Boss, "wenn wir noch mal zehn Tage bundesweit in einen harten Lockdown gehen und danach überall öffnen können, anstatt über Monate keine klaren Strukturen zu haben". Die Politik, sagt Wolf, habe "das Gefühl dafür verloren, wie die Wirtschaft tickt".

Unterschiedliche Branchen – unterschiedliche Bedürfnisse

Eine Stellungnahme, die nicht überall auf Gegenliebe stoßen wird. Denn "die Wirtschaft" gibt es in der Corona-Politik nicht, wie Hubertus Bardt vom Institut der deutschen Wirtschaft in Köln sagt: "Wir haben mit sehr unterschiedlichen Branchen und daher auch mit unterschiedlichen Bedürfnissen zu tun."

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Tatsächlich wäre auch in der Metallbranche, die der Arbeitgeber-Präsident vertritt, mit erheblichen Konsequenzen zu rechnen, meint Bardt. Die Erfahrungen etwa in der Autoindustrie zeigen, welche Auswirkungen ein harter Lockdown hätte, der auch Industrieunternehmen einbeziehen würde: "Die Autoindustrie hat im 2020er Lockdown kaum noch produziert", sagt Bardt, vor allem aber habe auch der Aufholprozess lang gedauert.

Wenn Lieferketten unterbrochen würden, sei es beim Wiederhochfahren nicht immer einfach, die Produktionsprozesse schnell zu synchronisieren: "Nicht alles passt dann von Anfang an wieder perfekt – dieser Prozess war im vergangenen Frühjahr schwierig und langwierig."

Am wenigsten würde sich durch einen harten Lockdown von etwa zwei Wochen nach Ansicht des Experten bei denjenigen Branchen verändern, die ohnehin nahezu stillgelegt sind – also vor allem im Handel, in der Gastronomie, der Hotel- und Veranstaltungsbranche oder auch bei Schaustellern und Messebauern: "Diese Branchen hätten durch eine Verschärfung nichts zu verlieren, weil bei ihnen ohnehin alles geschlossen ist."

Sie leiden zusätzlich und permanent unter fortlaufenden Kosten bei minimalisierten Einnahmen. "Allenfalls die Gastronomie kann durch Takeaway-Geschäfte einen kleinen Teil der Verluste ausgleichen, ebenso Teile des Handels", sagt Bardt.

Dem Handel könnte ein harter Lockdown Hoffnung machen

Der Handel habe auch mit dem Problem zu kämpfen, "dass Ware kaputtgeht, verdirbt oder – etwa im Bekleidungshandel – einfach nicht mehr nachgefragt wird, weil die Saison zu Ende ist." Ein harter Lockdown könnte hier daher eher die Hoffnung beflügeln, dass sich anschließend auch wieder Öffnungsperspektiven ergeben würden.

Ebenso könnte man in der Kulturbranche aus einem harten Lockdown Motivation und Hoffnung schöpfen. Bardt denkt dabei an Freelancer und Soloselbständige, an Musiker und Partyveranstalter, an Kinos und kleine Theater: "Alle, die schon in normalen Zeiten von der Hand in den Mund leben, haben jetzt enorme Probleme." Sie könnten in einem neuen, harten Lockdown die Chance sehen, dass es anschließend endlich wieder bergauf geht.

Was, wenn der Versuch scheitern würde?

Doch Bardt gibt zu bedenken: "Was, wenn der Versuch mit dem harten Lockdown sich nicht entsprechend auswirken würde?" Das Risiko des Scheiterns wäre für die Politik zu groß. Eine Regierung, die das von Wolf vorgeschlagene "danach wieder überall Öffnen" in Aussicht stellen würde, käme "von solch einem Versprechen nur schwer wieder herunter".

Falls sich nach zwei Wochen herausstellen sollte, dass beispielsweise neue Virusvarianten auftauchen und die Inzidenzzahlen nicht in erwarteter Deutlichkeit sinken würden, wäre Streit über das weitere Vorgehen vorprogrammiert. "Wenn man garantieren könnte, dass das Virus nach einem harten Lockdown verschwindet, wäre die Entscheidung leichter", sagt der Wirtschaftsexperte. Doch eine solche Erwartung wäre allzu optimistisch.

Für vorsichtigen Optimismus habe die Industrie schon auf andere Weise gesorgt: Indem sie mit Hygienekonzepten die Ansteckungsgefahr in den Unternehmen stark reduziert hat. Er sehe in vielen Betrieben seit einem Jahr große Anstrengungen beim Gesundheitsschutz.

Wer in solche Vorsichtsmaßnahmen personell und finanziell investiert habe, würde einen neuen Lockdown kaum befürworten, meint Bardt. Die Unternehmen sähen ihre Chancen eher in dem Versuch, Risiken kleinzuhalten, weiterzumachen und auf langsame Schritte im Öffnungsprozess zu hoffen.

Über den Experten: Dr. Hubertus Bardt ist Geschäftsführer und Leiter Wissenschaft beim Institut der deutschen Wirtschaft in Köln.

Verwendete Quellen:

  • "Die Wirtschaft muss bei den MPKs am Tisch sitzen!" Interview mit Gesamtmetall-Präsident Stefan Wolf. Bild am Sonntag, 28.3.2021.
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