• Immer mehr Menschen haben einen vollständigen Impfschutz gegen SARS-CoV-2.
  • Aus diesem Grund rücken allmählich andere Angaben als die Zahl der täglichen Neuinfektionen in den Fokus, um die aktuelle Corona-Lage zu beurteilen.
  • So wichtig könnten Klinikdaten in der Pandemie werden.

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Den einen perfekten Wert, von dem sich nötige Corona-Maßnahmen ableiten lassen, hat es in der Pandemie noch nie gegeben. Es wird weiter erforderlich sein, mehrere Faktoren im Blick zu haben. Verschiebungen bei der Gewichtung der Daten sind mit Fortschritten bei den Impfungen aber durchaus möglich.

So wird wohl die Situation in den Krankenhäusern bald eine größere Rolle spielen als die reinen Infektionszahlen. Welche Klinik-Kennzahlen gibt es und was sagen sie aus?

Was bedeutet die "7-Tage-Inzidenz Hospitalisierung"?

Neben der 7-Tage-Inzidenz für neu registrierte Ansteckungen wird in der Pandemie auch die Zahl der Menschen erfasst, die wegen einer COVID-19-Diagnose in eine Klinik kommen. Diese "7-Tage-Inzidenz Hospitalisierung" bildet die übermittelten Fälle über eine Woche pro 100.000 Einwohner ab.

Fälle, in denen ein Patient wegen einer anderen Erkrankung oder wegen einer OP in die Klinik kommt und bei dem bei einem Test auch Corona nachgewiesen wird, sollen von den Krankenhäusern nicht mit gemeldet werden. Im Lagebericht des Robert-Koch-Instituts (RKI) vom Donnerstag überschritt der Wert die 1,5, Tendenz weiter steigend.

Corona Update: RKI-Lagebericht vom 27. August

Die Sieben-Tage-Inzidenz ist erneut angestiegen. Nach Angaben des Robert-Koch-Instituts (RKI) vom Freitagmorgen lag sie bei 70,3 - am Vortag hatte der Wert 66,0 betragen, vor einer Woche 48,8.

Der bisherige Höchstwert lag um die Weihnachtszeit bei rund 15,5. Die Berechnung der 7-Tage-Inzidenz erfolgt nach RKI-Angaben auf Basis des Meldedatums an das lokale Gesundheitsamt.

Gibt es bei der Hospitalisierungs-Inzidenz eine kritische Grenze?

Für die Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG) gibt es aktuell keinen festen Grenzwert, ab dem die Lage unbeherrschbar würde. Vielmehr müsse man differenzieren. "Der Engpass bleiben die Patienten, die mit COVID auf einer Intensivstation liegen", sagt Gerald Gaß, Vorstandsvorsitzender der DKG.

Aus der Erfahrung der Pandemie-Wellen wisse man, dass bundesweit gesehen auf Intensivstationen grundsätzlich eine Belastungsgrenze bei rund 5.000 COVID-19-Fällen liege. Das gelte aber bereits unter der Voraussetzung, dass planbare Operationen verschoben würden.

Was bedeuten steigende Hospitalisierungs-Inzidenzen für Normalstationen?

Sie hätten mit mehr COVID-19-Patienten zwar auch deutlich mehr Belastungen, zum Beispiel durch Isolation und auch Schutzmaßnahmen für das Personal, ergänzt Gaß. Doch mit Blick auf eine Intensivstation, auf der ein COVID-19-Patient eine weit umfangreichere Betreuung brauche als andere Kranke, sei das kein Vergleich.

"Alleine für das Umlagern eines beatmeten COVID-Patienten braucht man bis zu fünf Pflegekräfte." Wichtig zu wissen sei in diesem Zusammenhang aber, wie viele COVID-19-Patienten wegen der Schwere ihrer Erkrankung von Normal- auf Intensivstationen verlegt werden müssten.

In der ersten Welle seien das 14 Prozent gewesen, also rund jeder siebte. Die Quote liege heute wahrscheinlich niedriger, abschließende valide Daten stehen laut DKG aber noch aus.

Was beeinflusst die Zahl der COVID-19-Patienten in Kliniken?

Das ist ein ganzes Bündel von Faktoren. Dabei spielen für die DKG neben den Inzidenzen bei Ansteckungen auch die Impfquoten, die Infektionsdynamik und die Altersgruppen eine große Rolle. So zeigt zum Beispiel die Hospitalisierungsrate in den RKI-Tabellen den Anteil aller gemeldeten Corona-Fälle, die in einer Klinik behandelt werden müssen.

Nach den Berechnungen lag dieser Wert um die Weihnachtszeit bei 12 Prozent und bewegte sich dann in Wellenbewegungen abwärts. Im Moment sind es rund 5 Prozent, Nachmeldungen sind allerdings möglich.

Welche Zahlen gibt es noch in Bezug auf Kliniken?

Die Deutsche Interdisziplinäre Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin erfasst gemeinsam mit dem RKI die Zahl belegter beziehungsweise freier Intensivbetten (Divi-Register). Diese Zahlen sind tagesaktuell und Meldungen nach Angaben der Vereinigung verpflichtend für Kliniken.

Erfasst wird dabei auch die Anzahl der COVID-19-Patienten auf Intensivstationen. Die Höchstzahl in der Pandemie lag bei 5.762, im Moment sind es rund 840 - mit wieder steigender Tendenz.

Welche Aussagekraft haben all diese Klinik-Kennziffern?

Für Experten zeigen sie Trends. Ein Echtzeit-Blick können sie nicht sein. Denn zum einen vergehen laut RKI zwischen Infektion und Krankenhauseinweisung im Schnitt weiterhin etwa 10 Tage.

Zum anderen wird bei den Hospitalisierungs-Inzidenzen die Einweisung erfasst, nicht aber zum Beispiel eine baldige Entlassung.

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Kann die bundesweite Hospitalisierungs-Inzidenz ein Richtwert sein?

Eher nicht. Geplant ist hier der regionale Blick. So soll die regionale Klinikbelegung mit Corona-Patienten nach Ideen des Bundesgesundheitsministeriums künftig der wesentliche Maßstab werden, um Gegenmaßnahmen wie Alltagsbeschränkungen auszulösen. Entscheiden müssten darüber dann die Bundesländer.

Welche Parameter wünschen sich Amtsärzte?

Für den Epidemiologen Nicolai Savaskan, Amtsarzt im Berliner Bezirk Neukölln, fehlt es an einem gesetzlich vorgeschriebenen Meldesystem für die Belegung von Klinik-Betten. "Ich meine ein klares Krankenhaus-Reporting-System, in das alle Kliniken ihre Kapazität und Belegung einspeisen müssen", sagt er.

Auf dieser Basis lasse sich dann ein Warnstufen-System erarbeiten. "Das hieße zum Beispiel, dass es ab einem bestimmten Prozentsatz der Belegung mit COVID-Patienten Konsequenzen geben muss. Also Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie."

Wäre es ein Fehler, die politische Grenze von 50 bei der 7-Tage-Inzidenz der Neuinfektionen zu streichen?

Für Amtsarzt Savaskan bleiben Infektions-Inzidenzen eine sinnvolle und wichtige Angabe - aber nur noch gekoppelt mit anderen Werten wie dem mittleren Alter der aktuell behandelten COVID-19-Patienten. Ein Warnsystem müsste bei vielen älteren Betroffenen eher anschlagen als bei vielen Jüngeren, sagt er. Denn das Risiko schwerer Verläufe liege bei ihnen deutlich höher.

Auch bei den Impfraten müsse man die Altersverteilung im Blick haben und dann Impfmuffel-Gruppen gezielt mehr Angebote machen. Denn die große Mehrzahl der Infektionen gebe es bei den Ungeimpften, sagt Savaskan. "Impfdurchbrüche sind sehr selten. Und selbst wenn es sie gibt, verläuft die Infektion in der Regel milder." (ff/dpa)

RKI: Ansteckungen unter Jugendlichen und jungen Erwachsenen nehmen zu

Die registrierte Sieben-Tage-Inzidenz bei den registrierten Infektionen unter den 15- bis 34-Jährigen war am 26. August laut Robert-Koch-Institut fast doppelt so hoch wie in der Gesamtbevölkerung.
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