Sechs Jahre lang hielt der Kaufhaus-Erpresser Arno Funke als "Dagobert" die Polizei zum Narren. Für die Geldübergaben baute er spektakuläre Konstruktionen, entkam seinen Verfolgern immer wieder knapp. Wie die Ermittler ihn vor 20 Jahren doch noch schnappen konnten.

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Die Eltern des kleinen Arno hätten sich sicher nie träumen lassen, was ihr Sohn Jahre später mit seinem Technikwissen anstellen würde, als sie ihm zu Weihnachten einen Experimentierkasten schenkten. Schon als Junge probierte Arno Funke mit Schwarzpulver herum, baute ein Grammophon und Fernrohre aus den alten Brillen seines Vaters. Jahre später sollte er mit seinem Erfindungsreichtum in die deutsche Kriminalgeschichte eingehen: Von 1988 bis 1994 lieferte sich der Berliner ein Katz-und-Maus-Spiel mit der Polizei, wie es Deutschland noch nicht gesehen hatte.

Unter seinem Spitznamen "Dagobert" wurde der Kaufhauserpresser bewundert und von den Boulevardzeitungen hoch geschrieben. Dabei verbarg sich hinter dem Bild des gerissenen Ganoven eine tragische Geschichte. Mit 38 Jahren hatte Funke schon viel ausprobiert: Bürokaufmann, Fotograf, DJ, Bauhelfer. Zuletzt bemalte er Autos und Motorräder, die giftigen Dämpfe setzten ihm zu. Innerlich fühlte er sich leer. "Ich war schwer depressiv", erzählt Funke später im Fernsehen. "Ich stand kurz vor dem Selbstmord. Mit Geld, dachte ich, könnte ich das Ruder vielleicht noch mal herumreißen."

30 Geldübergaben für den Karstadt-Erpresser

Als er beim Einkaufen die vollen Kassen sieht, kommt ihm die Idee, Geld zu erpressen. Als Ziel wählt er das berühmte Berliner Kaufhaus des Westens. "So ein Konzern war etwas Unpersönliches, da musste ich Menschen nicht direkt gegenübertreten wie bei einem Banküberfall", sagt Funke. Ende Mai lässt er in dem Kaufhaus nachts eine selbstgebaute Bombe explodieren, verlangt 500.000 Mark, die die Polizei aus einer fahrenden S-Bahn werfen soll. Die Geldübergabe gelingt, Funke kann unentdeckt fliehen.

Vier Jahre lang lebt er von dem Geld, verpasst aber, sich damit eine neue Existenz aufzubauen. "Ich war dazu damals gesundheitlich nicht in der Lage", sagt er. Als das Geld knapp wird, schlägt er erneut zu. Diesmal fordert er 1,4 Millionen Mark vom Karstadt-Konzern, zündet in einer Hamburger Filiale eine Rohrbombe, um seinen Forderungen Nachdruck zu verleihen. Um zu zeigen, dass es zahlungsbereit ist, soll das Unternehmen eine Anzeige in der Zeitung schalten mit dem Text "Onkel Dagobert grüßt seine Neffen" – Funkes Spitzname ist geboren.

Für die Geldübergabe – wieder aus einem Zug – entwickelt Funke eine magnetische Metallhalterung, die er per Fernsteuerung lösen kann. Beim ersten Mal scheitert sie: Die Polizei hatte die Tasche festgebunden. Beim zweiten Mal entkommt Funke mit dem Geld – es ist jedoch viel weniger als gefordert. Die Ermittler hatten den Rest mit Papierschnipseln gefüllt. Funke gibt sich nicht zufrieden. In den nächsten zwei Jahren kommt es zu rund 30 versuchten Geldübergaben, immer wieder kann Funke fliehen. Er zündet fünf weitere Bomben, zwei Menschen werden leicht verletzt.

"Aus heutiger Sicht war das ein Albtraum"

"Dagobert" wird immer raffinierter, um an das erpresste Geld zu kommen. So platziert er eine Streusandkiste über einem Gullideckel, weist die Polizei an, das Geld hinein zu legen. Per eingebautem Mikrofon hört er, als sich die Beamten entfernen. Dann schnappt er sich von unten die Tasche – die wieder vor allem mit Papierschnipseln gefüllt ist. Ein anderes Mal nutzt er eine selbstgebaute Mini-Lore, die das Geld in ein Versteck bringen soll. Diesmal legt die Polizei tatsächlich 1,4 Millionen Mark hinein, doch als die Lore entgleist, verliert Funke die Nerven. Im Gebüsch sieht er die Taschenlampen seiner Verfolger blitzen – er flieht ohne das Geld. Auch ein Mini-U-Boot hatte er für eine Übergabe gebaut, jedoch nie eingesetzt. Ein anderes Mal entkommt er nur, weil der Beamte ausrutscht, der ihn schon gepackt hatte.

Viele Menschen haben ihre Freude daran, wie "Dagobert" immer wieder die Polizei austrickst. Doch die gescheiterten Übergaben und knappen Fluchten zehren an den Nerven. "Aus heutiger Sicht war das ein Albtraum", sagt Funke. Er spielt mit dem Gedanken, sich zu stellen, wird unvorsichtiger. "Die Luft war raus." Weil sich Funke immer von öffentlichen Telefonapparaten bei der Polizei meldet, lässt diese hunderte Telefonzellen in Berlin überwachen. Die Methode zeigt Erfolg: Als er am 22. April 1994 den Hörer abnimmt, schlagen die Ermittler zu. Funke wird verhaftet und zu neun Jahren Haft verurteilt.

2000 wurde Funke entlassen. Heute arbeitet der 64-Jährige unter anderem als Karikaturist. Er sei nicht stolz auf seine Taten, sagt er. Doch wenn er die Geschichten seiner Konstruktionen erzählt, muss er schmunzeln. Einige davon stehen heute im Hamburger Polizeimuseum.

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