Kaum eine Krankheit wurde von Eltern so gefürchtet wie Polio. Wer an Kinderlähmung erkrankte, dem blieb lange nur ein überlebensgroßes Beatmungsgerät. Paul Alexander lebte bis zuletzt damit und darin. Nun ist er tot.

Mehr Panorama-News

Die Eiserne Lunge ist ein Relikt aus einer Zeit, in der Eltern beim Wort Polio zusammenzuckten. Ein Stahlsarg – betrieben mit einem Unterdruck, um Menschen zum Atmen zu bringen, deren Körper eigentlich nicht mehr atmen können. Kinderlähmung kann tödlich ausgehen, wenn sie auch die Atemmuskulatur betrifft. Schwere Beatmungsmaschinen retteten damals vielen Kindern das Leben.

Einer, der einen Großteil seines Lebens und bis zuletzt seine Zeit in einem dieser Metallkolosse verbrachte, ist nun gestorben. Paul Alexander klärte als "Iron Lung Man" und "Polio Paul" in den sozialen Netzwerken Millionen über die Krankheit und seine Zeit in der Eisernen Lunge auf. Wie er es von der Diagnose in den Fünfzigerjahren bis zum Abschluss seines Jurastudiums schaffte. Und wie er zur Toilette ging, wenn er doch in diesem Stahlkoloss gefangen war.

78 Jahre alt wurde Alexander, dabei galt sein Leben schon mit sechs als vorbei.

Paul Alexander studierte und wurde Anwalt

Der "Süddeutschen Zeitung" erzählte und zeigte Alexander, wie er als Kind zum Sterben nach Hause geschickt wurde, aber nicht starb. Wie er mit einem Plastikstab im Mund E-Mails und sogar an Büchern schrieb, Anrufe beantwortete. Er trank Whiskey und hörte in seiner Wohnung lautstark Countrymusik. Immer an seiner Seite: Pflegekräfte, die ihn in seinem Leben in der Eisernen Lunge unterstützten. In jüngeren Jahren schaffte er es über Stunden heraus. Zuletzt nicht mehr.

Für Paul Alexander war das alles jedoch kein Hindernis, sein Leben zu leben. Im Jahr 1978 schloss er ein Bachelorstudium der Wirtschaftswissenschaften an der Universität von Texas ab, sechs Jahre später auch noch in Rechtswissenschaften. Er arbeitete als Anwalt, Medien zeigen ein Foto, das ihn im Rollstuhl bei seiner Vereidigung als Anwalt auf dem Campus in Texas zeigen. Seine Kolleginnen und Kollegen heben den rechten Arm, er reckt den rechten Daumen.

Alexanders Eltern hätten ihn ermutigt, ein so normales Leben wie möglich zu führen, sagte er einmal den "Dallas Morning News". "Sie haben mich einfach geliebt. Sie sagten: 'Du kannst alles schaffen.' Und ich habe es geglaubt." Laut der "Süddeutschen Zeitung" bietet die Herstellerfirma für Alexanders Eiserne Lunge schon seit fast zwei Jahrzehnten keine Wartung mehr an. Bis zuletzt kümmerten sich demnach Freunde um Reparaturen. Alexander war wohl der letzte Mensch, der noch im Stahlsarg lebte.

Paul Alexander: "Die Eiserne Lunge gehört zu mir"

Einst war Polio eine der am meisten gefürchteten Krankheiten. Vor allem Kinder erkrankten und starben – im Jahr 1914 allein in den USA 27.000. Der Schrecken der Krankheit blieb bis zur Erfindung eines Impfstoffs durch den US-Immunologen Jonas Salk im Jahr 1954. Seit den Sechzigern wird in Deutschland großflächig gegen das Poliovirus geimpft, seither sind die Zahlen stark zurückgegangen.

Die Erkrankten blieben jedoch an Beatmungsgeräte gebunden. Über die Jahre entwickelten sich mit dem Fortschritt der Medizin auch Alternativen zur Eisernen Lunge. Paul Alexander jedoch blieb darin liegen. "Die Eiserne Lunge gehört zu mir. Sie ist mein Körper", sagte er der "Süddeutschen Zeitung". Anfang der Woche erlag Alexander übereinstimmenden Berichten zufolge einer Covid-Erkrankung.  © DER SPIEGEL

JTI zertifiziert JTI zertifiziert

"So arbeitet die Redaktion" informiert Sie, wann und worüber wir berichten, wie wir mit Fehlern umgehen und woher unsere Inhalte stammen. Bei der Berichterstattung halten wir uns an die Richtlinien der Journalism Trust Initiative.

Teaserbild: © picture alliance/AP Photo/Smiley N. Pool