- Eine Verkehrskontrolle, eigentlich eine Routinesituation, plötzlich fallen Schüsse.
- Der gewaltsame Tod ihrer jungen Kollegen beschäftigt viele Polizisten.
- Ihren Dienst verrichten sie immer im Spannungsfeld zwischen Bürgernähe und Selbstschutz.
Die tödlichen Schüsse auf zwei junge Polizisten in der Pfalz werfen ein Schlaglicht auf die Gefahren und Risiken im Polizeiberuf. Ein Bundeslagebild des Bundeskriminalamtes (BKA) zeigt: Die Gewalt gegen Polizeibeamte nimmt seit Jahren zu. Die Zahl der Opfer stieg zwischen 2012 und 2020 demnach um 42 Prozent.
Als Gewalttaten zählen laut der Statistik neben Körperverletzungsdelikten, Totschlag und "tätlichem Angriff" unter anderem auch Bedrohung und "Widerstand". Durch eine Änderung des Strafgesetzbuches zur "Stärkung des Schutzes von Vollstreckungsbeamten und Rettungskräften" wurden hier 2017 bisherige Straftatbestände geändert und neue Straftatbestände geschaffen. Gemessen an der Einwohnerzahl am stärksten verbreitet sind Gewalttaten gegen Polizisten im Sinne der Statistik in Berlin, Bremen und Hamburg, gefolgt von Thüringen und dem Saarland.
Kusel: Bei der Kontrolle deutete nichts auf eine gefährliche Situation hin
Für viele Polizistinnen und Polizisten ist der gewaltsame Tod der 24 Jahre alten Polizeianwärterin und des 29-jährigen Oberkommissars auch deshalb so erschreckend, weil die Gefahr hier buchstäblich aus dem Nichts kam. Der Tathergang, so wie ihn die Ermittler bisher vermuten, in Kürze: Die Zivilstreife ist am vergangenen Montag frühmorgens unterwegs, um einen Einbruchsdiebstahl aufzuklären, als ihr ein Kastenwagen mit totem Wild auffällt. Als die mit Schutzwesten ausgerüsteten Polizisten die Ausweispapiere der Fahrzeuginsassen überprüfen, schießen die beiden Männer auf sie. Der Polizeibeamte schießt noch das Magazin seiner Dienstpistole leer, bevor er schwer verletzt zu Boden geht.
Zwar deutete das von der Zivilstreife zunächst entdeckte tote Wild darauf hin, dass die Fahrzeuginsassen bewaffnet sein könnten. Ein Grund, sie mit vorgehaltener Waffe zum Aussteigen zu zwingen, war das aber auf keinen Fall. Auch da die Strafe, die den beiden nicht vorbestraften Männern für Wilderei drohte, nicht so hoch gewesen wäre, dass die Polizeibeamten eine Mordtat zur Vertuschung dieses Delikts als wahrscheinliches Szenario annehmen mussten.
"Nach dem, was bisher bekannt ist, haben sich die beiden so verhalten, wie es in Einsatztrainings gelehrt wird. Mit der Taschenlampe in der Hand hat die Polizistin die Papiere kontrolliert, während ihr Kollege sichert", sagt Jörg Radek, stellvertretender Bundesvorsitzender der Gewerkschaft der Polizei (GdP).
Polizisten müssen regelmäßig an Schießtraining teilnehmen
"Das war ein völlig unvermittelter Angriff, da bleibt gar kein Handlungsspielraum", resümiert Rainer Wendt, Bundesvorsitzender der Deutschen Polizeigewerkschaft. Er kritisiert zwar, dass Polizisten wegen Personalengpässen mancherorts nicht immer ausreichend Gelegenheit hätten, um regelmäßig das Schießen zu trainieren. Im Fall der beiden erschossenen Beamten dürfte das aber keine Rolle gespielt haben. "Es bleibt halt ein hohes Restrisiko", sagt Wendt, zumal Polizisten ihren Dienst immer "im Spannungsfeld zwischen Bürgernähe und Selbstschutz" verrichteten.
In Rheinland-Pfalz müssen Polizisten nach ihrer Ausbildung etwa in sogenannten lebensbedrohlichen Einsatzlagen (LebEL) jährlich dreimal an einem Schießtraining teilnehmen. Alle zwei Jahre kommt laut der stellvertretenden GdP-Landesvorsitzenden Stefanie Loth ein "Angriffs- und Zugriffstraining" in simulierten Gefahrensituationen hinzu: "Greife ich zum Beispiel bei einem Messerangriff zur Schusswaffe oder nicht?"
Bei den Schutzwesten und Waffen der Polizeibeamten habe es in den vergangenen zwei Jahrzehnten deutliche Verbesserungen gegeben, sind sich die Gewerkschaftsvertreter einig. Auch der rheinland-pfälzische Innenminister Roger Lewentz (SPD) hat im Dezember 2021 betont: "Die Polizei ist sehr gut ausgestattet und es gibt immer mehr Polizisten." Derzeit sind es laut seinem Ministerium 9583 im Bundesland - angepeilt seien 10 000 bis zum Jahr 2026, so viele wie noch nie.
Schutzwesten schützen nicht gegen alle Waffentypen
Auch als Konsequenz aus dem islamistischen Terror in Frankreich, wo teils automatische Waffen eingesetzt wurden, zählt zur Ausstattung in lebensbedrohlichen Einsatzlagen (LebEL) inzwischen nicht nur ein ballistischer Helm, sondern auch eine Maschinenpistole. Für ihren Einsatz gegen Einbrecher führte die Zivilstreife im Kreis Kusel diese Ausstattung allerdings nach Auskunft des Mainzer Innenministeriums nicht mit.
Laut der GdP-Landesvize Loth ist die vollständige LebEL-Ausrüstung zu schwer, um sie immer zu tragen. "Man zieht sie sich an, wenn man eine brenzlige Situation erwartet", erklärt sie. Aber nicht vor jeder Verkehrskontrolle. Zudem schützten die Schutzwesten nicht gegen alle Waffentypen: Schon Projektile mit einem Kaliber für Wildschweine könnten sie durchschlagen. "Da bräuchte man schon die Westen des SEK (Spezialeinsatzkommando). Die sind aber noch schwerer."
Auch habe sie selbst im Einsatz mit ihrer dunkelblauen Schutzweste bereits von Bürgern zu hören bekommen: "Sie sehen aber martialisch aus", berichtet Loth. Die Polizei, dein Freund und Helfer? Kugelsichere Westen scheinen Bürgernähe nicht zu fördern. "Nach dem Terror von Paris hat die Polizei auf dem Mainzer Weihnachtsmarkt Maschinenpistolen getragen. Das hat viele Diskussionen mit den Bürgern gegeben", erinnert sich die Polizistin.
Bei Kontrollen ist die Hemmschwelle gesunken
Dass Polizeibeamte auch bei Verkehrskontrollen und in vergleichbaren Routinesituationen ihres Arbeitsalltags angegriffen werden, kommt immer häufiger vor. GdP-Bundesvize Radek hat festgestellt, "dass bei solchen Kontrollen sehr schnell verbal attackiert wird, auch die Hemmschwelle zu Widerstandshandlungen ist gesunken", sagt der Gewerkschaftsvertreter. "Das haben wir schon vor der Corona-Pandemie festgestellt und in der Pandemie hat sich das noch verstärkt."
Der Kaiserslauterer Leitende Oberstaatsanwalt Udo Gehring sprach jüngst von blindem Hass gegen manche Polizisten. Dieser werde nicht durch das Verhalten der Polizei provoziert, sondern sei ein gesellschaftliches Problem und habe eine andere Ursache. Auch der Chef der Deutschen Polizeigewerkschaft, Wendt, nimmt nach eigenen Worten bei einem Teil der Bevölkerung eine immer stärkere "Staatsverachtung" wahr. Das sei ein Problem, das sich, wenn überhaupt, nur politisch lösen lasse.
Die rheinland-pfälzische GdP-Vize Loth sagt, Gewalt aus banalen Gründen scheine zuzunehmen. Sie sehe den Tod der beiden Kollegen in einer Linie mit dem Schuss auf einen Tankstellen-Mitarbeiter im September 2021 in Idar-Oberstein. Der wegen Mordes angeklagte mutmaßliche Täter soll den 20-Jährigen getötet haben, nachdem dieser ihn mehrmals auf die coronabedingte Maskenpflicht hingewiesen hatte. (dpa/fra)
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