• Ein junger Mann wird brutal getötet und die Ermittler tappen auch fast ein Jahr danach im Dunkeln.
  • Dann greifen sie zu einer außergewöhnlichen Methode, die Familie des Opfers stimmt zu - auch damit die Frage nach dem "Warum?" vielleicht geklärt werden kann.

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Bei Tage sieht die Stelle am Stadtrand von Bayreuth idyllisch aus. Ein Weg schlängelt sich neben Bäumen um einen Weiher herum, in der Nähe ist ein kleiner Bolzplatz, hinter einigen Hundert Metern Wiese sind die Häuser eines Vororts zu sehen.

Nur ein Holzkreuz mit der Aufschrift "Daniel" im hohen Gras am Wegesrand erinnert daran, dass hier ein brutales Verbrechen verübt wurde: Ein 24-Jähriger will nachts mit seinem Rad auf dem unbeleuchteten Weg nach Hause fahren, als er im Dunkeln angegriffen wird.

Der mit einem Messer bewaffnete Täter bringt den jungen Mann um, "mit absolutem Tötungswillen", wie es von der später eingerichteten "Soko Radweg" heißt. Mehr als zehn Monate ist das her. Und auch heute wissen die Ermittler nicht, wer den Mann tötete und warum er sterben musste.

Familie hofft auf Antworten

"Nichts bringt uns unseren Sohn zurück. Aber es wäre natürlich leichter, wenn man wüsste, warum das Ganze geschehen ist", sagt der Vater des Opfers. Die Familie versuche, in den Alltag zurückzufinden. "Das gelingt stückweise. Aber es holt uns immer wieder ein", sagt er.

Mit der Hoffnung, Antworten auf ihre Fragen zu bekommen, stimmen die Angehörigen einer ungewöhnlichen Ermittlungsmethode der Polizei zu: Seit 11. Juni steht etwas mehr als hundert Meter vom Tatort entfernt, neben einer viel befahrenen Straße, ein Plakat mit einem Foto des 24-Jährigen. Daneben steht der Satz: "Wer hat mich hier ermordet?"

Auch im Kreis der Ermittler sei die Aktion kontrovers diskutiert worden, sagt Alexander Czech, Sprecher des Polizeipräsidiums Oberfranken. Manche seien skeptisch angesichts der ungewohnten Methode gewesen. "Ich kann mich nicht erinnern, dass wir sowas in ähnlicher Weise schon mal in Oberfranken hatten", sagt er. Mit den klassischen Ermittlungsmethoden war man zuvor nicht zum Erfolg gekommen. Auch Hunderte Hinweise und eine Ausstrahlung in der ZDF-Sendung "Aktenzeichen XY... ungelöst" brachten die Ermittler nicht auf die heiße Spur.

Das Opfer traf es vermutlich völlig zufällig

Fest steht, dass es in der Nacht vom 18. auf den 19. August 2020 keinen Kampf gab und dem Opfer nichts weggenommen wurde. Der grausame Verdacht: Den 24-Jährigen traf es vermutlich völlig zufällig. Der wohl männliche und ortskundige Täter habe sich anscheinend "ein für ihn austauschbares Opfer" ausgesucht, heißt es von der Polizei. Eine Spur erhoffen sich die Ermittler außerdem von einem Hammerkopf, der neben der Leiche des Mannes gefunden wurde. Ein Zusammenhang mit der Tat sei aber nicht eindeutig geklärt.

Das Plakat soll den Fall jetzt noch mal in Erinnerung rufen. "Es kann immer mal jemand dabei sein, der keine Zeitung liest", sagt Polizeisprecher Czech. "Jeder noch so kleine Hinweis kann entscheidend sein." Neben der Zeugensuche kann der Satz aber noch anders interpretiert werden: Als klagende Anrede in Richtung Täter.

Profiler hat zwei mögliche Täterprofile erstellt

Das Anliegen der Familie sei, dass der Fall für die Menschen in den Fokus rücke, die an der Stelle vorbeikämen, sagt der Vater. Zudem hoffe er - "auch wenn ich die Wahrscheinlichkeit für sehr gering halte" - dass der Täter eventuell einen Anstoß bekomme, sich zu stellen.

Er sei Pfarrer im Ruhestand und wisse, wie wichtig es für Menschen mit einem Schuldgefühl sei, mit dieser Schuld fertig zu werden, erzählt er. "Sich seiner Schuld zu stellen, kann nicht nur Erleichterung bedeuten, sondern auch einen eventuellen Heilungsprozess anstoßen", sagt er. "Voraussetzung dafür ist allerdings, sich seiner Schuld auch bewusst zu sein."

Ein Profiler der Kriminalpolizei hatte im Januar zwei mögliche Täterprofile vorgestellt. Denkbar ist demnach, dass der Täter im Rahmen einer "psychischen Auffälligkeit" handelte. Gefühle wie irrationale Angst und Verfolgungsideen hätten sein Handeln möglicherweise geleitet, heißt es von den Ermittlern. Medikamente würden bei solchen Personen oftmals nicht mehr oder unregelmäßig eingenommen, damit verbunden könnten Reizbarkeit und Aggression sein.

Die zweite Theorie: Der Täter setzte mit der Tat eine Tötungsfantasie um. Das Bedürfnis zu töten sei eventuell durch Gewaltdarstellungen forciert worden. Häufig zeigten solche Täter eine hohe Affinität zu Waffen.

Die Suche nach einem Abschluss

"Gewalttaten treffen immer ins Urvertrauen", sagt die Kriminalpsychologin Karoline Roshdi. Für Familie und Umfeld sei so eine Tat nie verständlich und könne traumatisch sein. Eine Aufklärung könne zumindest einige Fragen klären, wenn auch nie alle.

Ein Prozess sei zwar auch belastend, könne aber helfen, wenn man einen Verantwortlichen habe und der zur Rechenschaft gezogen werden könne. "Eine Art Abschluss zu finden. Auch wenn dies natürlich nicht pauschal betrachtet werden kann", sagt die Kriminalpsychologin.

"Eine Aufklärung wäre sicher eine Erleichterung", sagt auch der Vater. Ganz abschließen könne man nicht. "Aber es hälfe zumindest, alles einzuordnen." In Richtung des Täters sagt er: "Ich denke, er ist selber genug mit dem bestraft, was er getan hat. Und mit den Umständen, wegen denen er so geworden ist. Mir geht es nicht um die Bestrafung, sondern darum, dass derjenige jemandem anderen nicht mehr so etwas antun kann."  © dpa

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