Vergewaltigungen oder andere Formen des sexuellen Missbrauchs erregen besonderes öffentliches Aufsehen und bleiben Nachrichtenkonsumenten ob ihrer expliziten Grausamkeit länger in Erinnerung. Der medial bedingte Eindruck aber, sie nähmen zu, ist ein Mythos - und nicht der einzige.
Sexualstraftaten machen etwa fünf Prozent aller Gewaltdelikte aus. Doch kommt es tatsächlich immer öfter zu solchen Verbrechen?
Fünf Behauptungen zu Vergewaltigungen im Faktencheck
Die Zahl der Vergewaltigungen nimmt zu
Falsch. Die Fallzahlen sind rückläufig.
Fakten
Nach Angaben der Polizeilichen Kriminalstatistik (PKS) für 2018 sind die Zahlen bei Vergewaltigung, sexueller Nötigung und sexuellem Übergriff im besonders schweren Fall im Vergleich zum Vorjahr um etwa 18,2 Prozent zurückgegangen - von 11.282 auf 9234 Straftaten. Zudem gab es etwa 6.300 sexuelle Übergriffe und Nötigungen (die nicht unter die Rubrik "besonders schwer" zählen) sowie 13.700 sexuelle Belästigungen.
"Wir erkennen eine größere Anzeigenbereitschaft bei betroffenen Frauen", sagt Gesa Birkmann von der Frauenrechtsorganisation Terre des Femmes. Dadurch sei natürlich auch das Thema in den Medien sehr präsent. Zudem wurden im November 2016 neue Straftatbestände aufgenommen.
Immer mehr Zuwanderer begehen Sexualdelikte
Falsch. Nach BKA-Angaben ist annähernd jeder achte Tatverdächtige ein Zuwanderer. Ihr Anteil an allen Verdächtigen hat sich von 2017 zu 2018 nicht erhöht.
Fakten
Für einen Blick auf tatverdächtige Asylbewerber gibt es beim BKA eine Sonderauswertung im Bundeslagebild "Kriminalität im Kontext von Zuwanderung".
Nach diesen Angaben gab es zum Beispiel unter den 9.234 Fällen von Vergewaltigungen, sexueller Nötigung und sexuellen Übergriffen im besonders schweren Fall zwischen 1.200 und 1.300 Taten, bei denen mindestens ein Zuwanderer - also Asylbewerber, anerkannter Flüchtling oder Geduldeter - beteiligt war.
Für den gesamten Bereich "Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung" - zu dem das BKA im Bundeslagebild etwa auch den sexuellen Missbrauch von Kindern oder exhibitionistische Handlungen zählt - lag der Anteil der Zuwanderer 2018 wie schon im Vorjahr bei rund 12 Prozent. Wegen der jüngsten Erweiterungen im Sexualstrafrecht wäre ein weiterer Vergleich mit den Vorjahren nicht oder nur eingeschränkt möglich.
Ein durchschnittlicher Asylbewerber ist männlich und knapp 30 Jahre alt, also rund 15 Jahre jünger als der deutsche Durchschnitt. Damit gehört er zu einer Bevölkerungsgruppe, die häufiger solche Arten von Straftaten verübt.
Gleichwohl stellt die Berliner Strafrechts-Professorin Tatjana Hörnle in einer Analyse für das Jahr 2017 fest, dass Zuwanderer mehr Sexualstraftaten begehen als gleichaltrige deutsche Männer.
Sie warnt gleichzeitig vor Dramatisierungen: Etwa 0,15 bis 0,2 Prozent der männlichen Zuwanderer ab 16 Jahren seien als Täter eines solchen Delikts erfasst worden. Das bedeute "umgekehrt auch, dass dies bei 99,85 bis 99,8 Prozent nicht der Fall war".
Nach einer Studie der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften werden ausländische Täter eher angezeigt als Deutsche. Je fremder ein Täter wirkt, desto größer ist die Bereitschaft des Opfers, ihn der Polizei zu melden. Ob Verdächtige später auch als Täter verurteilt werden, ist aus PKS und Bundeslagebild nicht erkennbar.
Frauen sind häufiger in ihrer eigenen Wohnung sexualisierter Gewalt ausgesetzt als auf der Straße
Stimmt.
Fakten
Wie verschiedene Frauenberatungsstellen angeben, ist es ein Mythos, dass Vergewaltigungen meist nachts in einsamer Umgebung von Unbekannten begangen werden. Terre des Femmes scheibt etwa, dass in 70 Prozent der Fälle die eigene Wohnung Tatort sei.
"Die eigene Wohnung ist für Frauen der häufigste Tatort bei einer Vergewaltigung oder anderen Formen sexualisierter Gewalt - und nicht, wie häufig angenommen, der dunkle Park oder die Straße", so Expertin Birkmann.
"Somit ist es in der Mehrheit der Fälle auch kein unbekannter Täter, sondern häufig ein Bekannter aus dem näheren Umfeld oder sogar jemand aus der Familie."
Sexualdelikte werden nicht ausreichend bestraft
Laut Terre des Femmes werden zu wenige Vergewaltiger juristisch Rechenschaft gezogen.
Fakten
Nach Angaben der Frauenrechtsorganisation bleiben etwa 90 Prozent der erfassten Vergewaltigungsfälle ohne Verurteilung.
"Wir sehen die Gefahr, dass von den Fällen, die zur Anzeige gebracht werden, viel zu wenige tatsächlich zur Bestrafung führen", sagt Birkmann. Zudem sei die Dunkelziffer extrem hoch.
Die Organisation fordert daher einen vehementen Opferschutz, bei dem Betroffene finanziell und psychologisch betreut werden, um gegen die Täter vorzugehen. Die Justiz solle die Perspektive der Frauen einnehmen. "Es gibt schon viel zu viele Fälle vor Gericht, bei denen Betroffenen eine Teilschuld zugewiesen wird", so Birkmann.
Kinder unter 14 Jahren kommen ohne Strafe davon
Stimmt. Das ist gesetzlich so geregelt.
Fakten
Nach dem Strafgesetzbuch sind Kinder, die noch keine 14 Jahre alt sind, schuldunfähig - und können daher nicht bestraft werden.
Hintergrund dieser Regel ist, dass Kinder in diesem Alter noch nicht die Reife besitzen, um für das Unrecht einer strafbaren Handlung einstehen zu können.
Außerhalb eines Strafverfahrens können allerdings Jugendbehörden tätig werden und etwa prüfen, ob die Eltern ihren Erziehungspflichten nachkommen.
Im Jahr 2018 waren von den 8.047 Verdächtigen im Bereich Vergewaltigungen, sexuelle Nötigung und sexuelle Übergriffe im besonders schweren Fall nach BKA-Angaben 69 Kinder unter 14 Jahren und 895 Jugendliche zwischen 14 und 17.
Für letztere gilt das Jugendstrafrecht. Bei Prozessen gegen junge Erwachsene wird geprüft, ob nach Jugend- oder Erwachsenenstrafrecht verhandelt wird. (hau/dpa)
"So arbeitet die Redaktion" informiert Sie, wann und worüber wir berichten, wie wir mit Fehlern umgehen und woher unsere Inhalte stammen. Bei der Berichterstattung halten wir uns an die Richtlinien der Journalism Trust Initiative.