• Für die Menschen in der Region Ahrtal und Erftstadt ist seit einem Jahr kaum noch etwas, wie es einmal war.
  • Viele verloren in der Jahrhundertflut am 14. Juli 2021 Familienangehörige, Freunde und Häuser samt allem Hab und Gut.
  • Der Rückversicherer Munich Re stuft das Ereignis als weltweit zweitteuerste Naturkatastrophe des letzten Jahres ein, kurz nach dem Hurrikan Ida.
  • Ein Jahr danach stockt der Wiederaufbau der betroffenen Orte noch immer erheblich. Die Stimmung ist vielerorts am Boden.

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Volker Danko sitzt der Werbegemeinschaft Aktivkreis Bad Neuenahr-Ahrweiler e.V. vor und betreibt ein Weingeschäft in Bad Neuenahr. Als die Flut vor einem Jahr seine Ladeneinrichtung mitriss, baute er in den Monaten danach gemeinsam mit anderen Betroffenen eine provisorische Shopping-Mall vor den Toren der Stadt auf. 35 Händler beteiligten sich daran. Ende August wird das Pop-up-Zelt abgebaut. Volker Danko wagt den Neuanfang in seinem wieder hergerichteten Geschäft.

Die Stimmung vor Ort, so der Einzelhändler, ist dennoch bedrückt, von Euphorie des Wiederaufbaus keine Spur. "Wir sind natürlich schon ein Stück vorangekommen, aber ich merke, viele haben innerlich eine angezogene Handbremse. Es herrscht zum Jahrestag hin eine depressive Stimmung, eine gewisse Lethargie, denn alles hat viel länger gedauert als angekündigt. Die Flut und der zähe Wiederaufbau haben viele von uns mürbe gemacht."

Bürokratie verhindert schnellen Wiederaufbau

Der Grund für den langsamen Wiederaufbau ist bekannt: Viele Betroffene klagen über komplizierte Bürokratieprozesse, die eine schnelle Freigabe von Hilfsgeldern & Co. verhindern.

Wer einen Antrag für Hilfsgelder stellt, muss zunächst einen Kostenvorschlag von einem Handwerker einreichen. Die Handwerker sind allerdings rar – es dauert Monate, bis man eine Vorabkalkulation erhält. Bis das Geld dann vom Staat ankommt, vergehen Wochen. Erst dann aber können Handwerker loslegen. Deshalb verzögern sich viele Bauprojekte um Monate.

Doch auch Baugenehmigungen dauern zu lange. "Wenn eine Stadt wie Bad Neuenahr zu 80 Prozent kaputt ist, braucht es schnell Baugenehmigungen. Doch das geht nur schleppend, weil im Bauamt zu wenig Personal im Amt ist. Und neue Mitarbeiter findet man ja nicht, hier zieht ja keiner mehr hin," erzählt Volker Danko.

Eine große Chance vertan

"Hier im Ahrtal sieht es in einigen Straßen immer noch so aus wie drei Wochen nach der Flut. Die Luft ist raus, seit neun Monaten tut sich hier nicht mehr viel", sagt Lukas Sermann, ein junger Winzer und Inhaber des Weingut Sermann in Altenahr. Zum Jahrestag und auf öffentlichen Druck sei zwar endlich der Tunnel fertig, aber das reiche noch lange nicht aus, bemängelt er.

Auch sein eigenes Weingut ist immer noch nicht wieder vollständig hergerichtet. Seine Eltern wohnen weiterhin provisorisch in den Fremdenzimmern, weil das Hauptgebäude noch bis August renoviert wird. "Wir mussten schon 500.000 Euro investieren, haben von 1,3 Millionen Euro beantragten Hilfsgeldern bis jetzt aber nur 200.000 Euro bekommen", beschreibt er die schwierige Lage.

Er wünscht sich von der Politik mehr Mut und Unterstützung und ist enttäuscht. "Die Flut war die einmalige Chance für die Politik, zu beweisen, zu was sie fähig ist. Klar ist: Weder die Politik noch ein voller Geldbeutel bauen die Region auf, das tun wir Bürger vor Ort. Wir wünschen uns dabei Unterstützung und keine bürokratischen Schranken. Die Verwaltung sorgt nicht für Motivationsschübe innerhalb der Bevölkerung."

Ankurbeln des Tourismus wird noch Jahre dauern

Die Stimmung anheben könnte ein wiederauflebender Tourismus. Vor der Flut war das Ahrtal als idyllische Urlaubsregion bekannt. Vier von fünf betroffenen touristischen Betrieben wollen wieder aufbauen. Viele jedoch nicht vor Herbst 2022 und dann nur unter Einschränkungen, erklärt Dorothee Dickmanns vom Ahrtal Tourismus. "Wir brauchen deshalb Gäste, um unsere wirtschaftliche Existenz zu sichern."

Aktionen wie das "Wandern für den Wiederaufbau" brachte zuletzt viele Touristen an mehreren Wochenenden im April und Mai in die Region. "Wir planen zudem gerade eine Marketingkampagne mit Fokus auf Tagestouristen. Allen ist klar, dass der Wiederaufbau noch Jahre dauern wird. Aber es gibt im Ahrtal trotzdem auch jetzt genügend Einrichtungen und Bereiche, die unberührt und einen Besuch wert sind, vor allem in den höheren, nicht von der Flut betroffenen Höhen," berichtet Dorothee Dickmannns.

Auch Events finden schon wieder statt, ebenso wie Gästeführungen, Weinproben oder Themenwanderungen. Einen aktuellen Überblick, was im Ahrtal derzeit möglich ist, finden Besucher hier: www.ahrtal.de/fuer-dich-da

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Neue Konzepte sollen erneuter Flut vorbeugen

Um einer erneuten Flutkatastrophe vorzubeugen, wird zudem derzeit an unterschiedlichen Schutzkonzepten gearbeitet. Der Wasserverband Eifel-Rur hat mehr als 60 mögliche Einzelmaßnahmen entwickelt, die jede Stadt für sich prüfen und anwenden kann.

Ob Regenauffangbecken, renaturierte Flussbetten, Rechen, die Treibgut auffangen sollen oder umklappbare Brückengeländer – Ideen gibt es viele. Nun ist es an der Politik, entsprechende Hochwasserkonzepte umzusetzen. Lukas Sermann ist da noch skeptisch: "Bisher habe ich davon noch nichts gesehen, außer eine neue Warnsirene, die jetzt jeden ersten Samstag im Monat beim Probealarm lauter heult als die alte."

Verwendete Quellen:

  • Interviews mit Volker Danko, Vorstand der Werbegemeinschaft Aktivkreis Bad Neuenahr-Ahrweiler und Inhaber des Ahrweinshop, mit Lukas Sermann, Inhaber des Weingut Sermann in Altenahr, sowie mit Dorothee Dickmanns vom Ahrtal-Tourismus Bad Neuenahr-Ahrweiler e.V.
  • statista.com: Teuerste Naturkatastrophen für die weltweite Versicherungswirtschaft im Jahr 2021 nach Gesamtschaden und versichertem Schaden
  • deutschlandfunk.de: Pläne zum Schutz vor künftigen Jahrhundertfluten
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