An deutschen Krankenhäusern steigt die Zahl von Gewalttaten. Ein Ärzteverband fordert mehr Maßnahmen. Wie schützt man das Personal besser?
Er sei während der Arbeit schon geschubst, beleidigt, angespuckt und in jeglicher Form bedroht worden, erzählt Tobias. Für ihn sei das "Alltag". Tobias ist Physician Assistant an einer Berliner Klinik. Der gelernte Kranken- und Notfallpfleger arbeitete jahrelang in der Notaufnahme eines großen Berliner Krankenhauses. Er und seine Kolleginnen und Kollegen hätten häufig körperliche Gewalt von Patienten oder ihren Angehörigen erfahren, sagt er.
Eine Abfrage bei den Landeskriminalämtern zeigt: Die Zahl von Gewalttaten in deutschen Krankenhäusern steigt. Bundesweit ist die Zahl sogenannter Rohheitsdelikte in medizinischen Einrichtungen seit 2019 um etwa 18 Prozent auf mehr als 6.190 Taten im Jahr 2022 gestiegen. Unter Rohheitsdelikte fallen Straftaten wie Raub oder Körperverletzung und Straftaten gegen die persönliche Freiheit. Im Jahr 2019 waren es noch etwa 5.245 Delikte im Umfeld einer medizinischen Einrichtung. Die Zahlen gehen aus der Polizeilichen Kriminalstatistik der Landeskriminalämter hervor.
Deutlicher Anstieg der Gewalttaten
Die Länder Sachsen, Mecklenburg-Vorpommern und Brandenburg sind bei den Daten nicht inbegriffen, da sie Tatorte erst seit 2020 gesondert in ihrer Statistik erfassen. In Berlin liegen bereits Zahlen für 2023 vor: Dort wurden im vergangenen Jahr 802 Rohheitsdelikte in Krankenhäusern polizeilich erfasst. Das bedeutet eine Zunahme von etwa 50 Prozent im Vergleich zu 2019. Auch in Niedersachsen geht man von einer Steigerung der Zahl der Fälle im vergangenen Jahr aus.
Die Daten lassen allerdings nicht erkennen, von wem die Gewalt verübt wurde. So kann sowohl das Opfer als auch der Tatverdächtige aus dem Bereich des ärztlichen oder pflegerischen Personals stammen.
Peter Bobbert vom Ärzteverband Marburger Bund zeigt sich angesichts der steigenden Zahlen besorgt: "Leider sind es keine Einzelfälle und leider ist es auch keine gefühlte Wahrnehmung, denn die Zahlen zeigen einen deutlichen Anstieg von Gewalterfahrungen des pflegerischen und ärztlichen Personals in Krankenhäusern." Er vermute, dass es ein großes Dunkelfeld gebe und viele Fälle verbaler Gewalt und Bedrohungen gar nicht erst erfasst würden.
Krankenhauspersonal nicht ausreichend geschützt
Gerade in Rettungsstellen der Krankenhäuser sei die Zahl der Gewalterfahrungen hoch, sagt Bobbert. Oft spiele Alkohol eine Rolle bei gewalttätigen Patienten. Auch das Gewaltpotenzial von Familienangehörigen oder Bekannten der Patienten habe in erheblichem Umfang zugenommen. Auslöser für Gewaltsituationen könnten beispielsweise als zu lang empfundene Wartezeiten sein.
"Davor dürfen wir unsere Augen nicht verschließen und müssen unsere Mitarbeitenden darauf vorbereiten und sie entsprechend schulen", fordert Bobbert. Auch die Sicherheitsmaßnahmen in Krankenhäusern und Gesundheitseinrichtungen müssten erhöht werden: "Es ist unabdingbar, gerade auch in bestimmten Häusern und Einrichtungen dauerhaft Sicherheitspersonal vorzuhalten, um die Mitarbeitenden besser zu schützen", so Bobbert.
Auch Physician Assistant Tobias fordert mehr Sicherheit für das Krankenhauspersonal. "Man fühlt sich häufig alleingelassen mit den Problemen", sagt er. Es gebe nicht genug Wachschutz und es gehöre in vielen Notaufnahmen nicht zum Standard, dass Türen zu Diensträumen verschlossen sind. "Das sind ganz einfache Möglichkeiten, um Kollegen zu schützen", sagt er.
Schulungen für Ärzte und Pflegekräfte gefordert
Peter Bobbert vom Marburger Bund erklärt, es gehe auch darum, Pflegekräfte und Ärzte so zu schulen, dass Gewaltsituationen bereits im Entstehen erkannt werden, damit sie möglichst unter Kontrolle blieben und das Personal keinen Schaden nehme. "Genau die richtigen Verhaltensweisen in einer solchen oft nicht vorhersehbaren Situation schnell anzuwenden, muss noch mehr bei den Mitarbeitenden verankert werden."
Auch Tobias nahm als Pfleger an einem Deeskalationstraining teil. Das funktioniere dahingehend, dass man schon zu Beginn einer eskalierenden Situation erste Triggerpunkte erkennen und so früh reagieren könne. "Man lernt Coping-Strategien, um Angehörige ein bisschen herunterzufahren", sagt er. Es sei aber nicht immer einfach, sich darauf zu besinnen, wenn man selbst stark unter Stress stehe.
"Ich habe oft gezweifelt", sagt der erfahrene Pfleger. Schließlich habe er deshalb studiert und sei Physician Assistant geworden. Unter den derzeit gegebenen Voraussetzungen würde er niemandem raten, in die Pflege zu gehen. "Warum sollte ich mich einer Gefahr aussetzen, der ich nicht ausgesetzt werden muss, für ein Gehalt, das verschwindend ist?" (dpa/lag)
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