Sie wollte helfen, eine Schülerin schützen – und ist dennoch ein Fall für die Justiz. Eine Gesetzänderung soll künftig verhindern, dass Strafen für den Besitz von Kinderpornografie die Falschen treffen.
Es ist ein Fall, der Kopfschütteln auslöst. Eine Lehrerin aus dem Westerwald muss wegen Verbreitung, Erwerb und Besitz von Kinderpornografie vor Gericht, obwohl sie einer verzweifelten Schülerin nur helfen wollte.
Es ging um intime Aufnahmen, die die damals 13-Jährige von sich gemacht und ihrem Freund geschickt hatte. Dieser habe das Video verteilt – und die Lehrerin hatte es mitbekommen. Daraufhin habe sie sich die Videodatei an ihre E-Mail-Adresse schicken lassen und diese ungeöffnet an die Mutter weitergeleitet, um diese zu informieren und um das Mädchen zu schützen.
Was folgte, war ein Verfahren gegen die heute 43 Jahre alte Lehrerin: Mitte Juli 2023 erhob die Staatsanwaltschaft Koblenz Anklage beim Amtsgericht Montabaur gegen die Frau – weil sie "sich selbst und tatmehrheitlich hierzu einer anderen Person den Besitz eines kinderpornografischen Inhalts" verschafft haben soll. Dort ist nun auch das Hauptverfahren eröffnet worden – ein Termin stehe aber bisher nicht fest, sagte der Sprecher in Montabaur.
Amtsgericht hatte Eröffnung von Hauptverfahren ursprünglich abgelehnt
Dabei hatte das Amtsgericht Ende 2023 die Eröffnung des Hauptverfahrens abgelehnt. Begründung: Die Tatbestände der Besitzverschaffung seien nicht verwirklicht, weil die Lehrerin "in Erfüllung von dienstlichen und beruflichen Pflichten" gehandelt habe. Doch gegen den Beschluss legte die Staatsanwaltschaft Beschwerde ein, Ende Januar wurde dieser vor dem Landgericht Koblenz aufgehoben.
"Das Landgericht erachtet das Verhalten der Angeschuldigten ebenso wie die Staatsanwaltschaft grundsätzlich für strafbar", teilte Oberstaatsanwalt Thomas Büttinghaus mit. Und das Landgericht Koblenz schrieb, es sei für die Lehrerin "im Rahmen ihrer pädagogischen Pflichten nicht notwendig" gewesen, sich das Video zu beschaffen.
Staatsanwaltschaften und Gerichte haben aktuell keinen Spielraum
Es sind auch Fälle wie diese, die den Gesetzgeber – auch nach Kritik aus der Praxis – jüngst zu Änderungen der strafrechtlichen Bestimmungen bewogen haben. Denn seit Sommer 2021 gilt der Besitz und die Verbreitung von kinderpornografischen Inhalten als Verbrechen und wird mit mindestens einem Jahr Freiheitsstrafe geahndet. Die Staatsanwaltschaften und Gericht haben derzeit keinen Spielraum mehr, um solche Strafverfahren einzustellen.
Auch der rheinland-pfälzische Justizminister Herbert Mertin (FDP) hatte die Bundesregierung im September 2023 aufgefordert, hier das Strafrecht schnell zu ändern. Anfang Februar beschloss das Bundeskabinett Änderungen für die Fälle, in denen es fraglich sei, ob jemand nicht aus einem eigenen sexuellen Interesse an gehandelt habe, sondern um eine weitere Verbreitung oder eine Veröffentlichung solchen Materials zu beenden, zu verhindern oder aufzuklären.
In dem Entwurf heißt es dazu wörtlich: "Besonders häufig sind solche Fälle bei Eltern sowie Lehrerinnen und Lehrern älterer Kinder oder Jugendlicher aufgetreten, die kinderpornografisches Material bei diesen gefunden und an andere Eltern, Lehrerinnen oder Lehrer oder die Schulleitung weitergeleitet haben, um diese über den Missstand zu informieren." Künftig soll das Mindeststrafmaß für die Verbreitung bei sechs Monaten liegen.
Absenken der Mindeststrafe ist aus Sicht von Mertin erforderlich
Die auf Bundesebene geplante Gesetzesänderung begrüßt Mertin nun ausdrücklich. Die Rückabsenkung der Mindeststrafe in bestimmten Fällen auf weniger als ein Jahr Freiheitsstrafe sei deshalb erforderlich, weil den Staatsanwaltschaften nur dann gewisse Mittel wie die Verfahrenseinstellung zur Verfügung stehen, erklärte der Justizminister auf dpa-Anfrage.
Das Absenken der Mindeststrafe ermögliche damit eine angemessene Reaktion auf Fälle, in denen wie bei Lehrkräften in besten Absichten gehandelt werde und welche die zuständige Staatsanwaltschaft daher nicht für strafwürdig hält.
Was die Reform der Reform für den Fall der Lehrerin in Rheinland-Pfalz bedeutet? "Die anvisierte Gesetzesänderung würde zwar bei einer "Herabstufung" des Straftatbestandes zu einem Vergehen (statt Verbrechen) eine Verfahrenseinstellung auch außerhalb der Hauptverhandlung nicht mehr ausschließen", teilte Amtsgerichtsdirektor Ralf Tries mit. Diese müsse aber zuvor sorgfältig vom Schöffengericht, der Staatsanwaltschaft und der Angeklagten geprüft werden.
Oberstaatsanwalt Büttinghaus teilte mit: "Nach Umsetzung der geplanten Reduzierung der Mindeststrafe würde die Staatsanwaltschaft einer dann rechtlich möglichen Verfahrenseinstellung zustimmen." Insider geben allerdings zu Bedenken, dass ein Freispruch am Ende des Verfahrens für die Frau besser sein könnte, da eine Einstellung eine geringe Schuld voraussetze. Und das könnte dann wiederum disziplinarrechtliche Folgen für die Lehrerin haben.
Bildungsgewerkschaft: Lehrkräfte müssen künftig genau wissen, wie sie sich verhalten sollen
Für die Bildungsgewerkschaft GEW ist deshalb klar: "Ich bin der Meinung, dass man die Kollegin auf jeden Fall freisprechen sollte", sagte Landeschef Klaus-Peter Hammer der Deutschen Presse-Agentur. Eine andere Entscheidung könnte niemand verstehen. "Ich hoffe auch sehr, dass die Schulaufsicht entsprechend vernünftig reagieren wird."
Wegen des Falls gebe es eine breite Verunsicherung unter den Lehrkräften. "Deshalb ist es gut, dass nun die Gesetzesänderung kommt." Wichtig sei, dass die Lehrkräfte und pädagogisch Handelnden künftig genau wissen, wie sich in ähnlichen Fällen verhalten müssen.
Auch die Vorsitzende des Philologenverbandes Rheinland-Pfalz, Cornelia Schwartz, sprach von einer großen Verunsicherung unter den Lehrerinnen und Lehrern. Wenn sich die Pädagogen zum Wohl der Schülerinnen und Schülern einsetzen wollen, dann aber eine Gefängnisstrafe drohe, sinke auch diese Bereitschaft zur Hilfe. Deshalb sei die Änderung des Gesetzes dringend erforderlich.
Das rheinland-pfälzische Bildungsministerium stellte an ebenfalls die Seite der Pädagogin: In dem konkreten Fall hätten intensive Gespräche zwischen der Schulaufsichtsbehörde ADD und der Schulleitung stattgefunden, sagte ein Ministeriumssprecher der dpa. "Diese Gespräche hatten zum Ziel, die Lehrkraft zu unterstützen, die zweifelsfrei in guter Absicht gehandelt hat."
Zugleich haben nach Angaben des Sprechers das Justiz-, Innen- und Bildungsministerium sowie die Schulaufsichtsbehörde den Fall zum Anlass genommen, ein Informationsblatt für den Umgang mit kinder- und jugendpornografischem Material zu erstellen, das allen Lehrkräften des Landes zur Verfügung gestellt worden ist. Ziel sei es zu verhindern, dass sich weitere Lehrkräfte ungewollt strafrechtlich angreifbar machen. (Birgit Reichert und Bernd Glebe, dpa/ank)
"So arbeitet die Redaktion" informiert Sie, wann und worüber wir berichten, wie wir mit Fehlern umgehen und woher unsere Inhalte stammen. Bei der Berichterstattung halten wir uns an die Richtlinien der Journalism Trust Initiative.