Abbiegeunfälle mit Radfahrern, Auffahrunfälle am Stauende: Die Serie tödlicher Unfällen mit Lastwagen reißt nicht ab. Warum das so ist, und was dagegen unternommen werden kann, erklärt Unfallforscher Siegfried Brockmann.

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Die Ampel zeigte Grün für den Lkw-Fahrer und trotzdem überfuhr er beim Rechtsabbiegen eine 33 Jahre alte Radfahrerin.

Tödliche Kollisionen wie jüngst diese in Hamburg drehen sich schnell um das Thema "toter Winkel". Denn Lkw-Fahrer können im Unterschied zu Autofahrern keinen Blick über die Schulter werfen. Die Sicht nach hinten ist nicht frei, sie müssen alles über Spiegel erkennen.

"Insgesamt sechs Spiegel müssen sie beim Abbiegen überwachen, zwei links außen und vier rechts außen. In statischen Situationen gibt es deshalb keinen toten Winkel mehr", erklärt Siegfried Brockmann, Leiter der Unfallforschung der Versicherer im Gespräch mit unserer Redaktion.

Das Problem sei, dass der Brummi-Fahrer seinen Blick beim Anfahren von den Spiegeln abwenden und nach vorne richten müsse. Wenn in diesem Moment ein Fahrradfahrer komme, habe er keine Chance diesen zu erkennen.

Abbiege-Assistenten können viele schwere Unfälle vermeiden

Das muss nicht passieren, denn es gibt verschiedene Sicherheitssysteme, die vor solchen Situationen im Stadtverkehr warnen. Abbiege-Assistent heißt eine Technik, die warnt, wenn der Lkw in Bewegung ist und ein kritisches Objekt in den Abbiegebereich kommt.

"Im Unterschied zum Parkpiepser kann das System zwischen gefährlichen und ungefährlichen Objekten unterscheiden", sagt Siegfried Brockmann. Er hält den Abbiege-Assistenten für das beste System, um Unfälle mit Radlern zu vermeiden.

Wenn alle Trucks damit ausgestattet wären, würde es pro Jahr 28 Tote und 160 Schwerverletzte weniger geben, lautet das Ergebnis einer aktuellen Hochrechnung seines Forschungsinstituts.

Die Bundesregierung arbeitet daran, eine gesetzliche Vorschrift zum Einbau des Abbiege-Assistenten zu erlassen.

Doch nach Einschätzung von Siegfried Brockman werde es noch zehn Jahre dauern bis jeder Lkw damit ausgestattet ist. "Momentan ist es freiwillig und nur neue Güterkraftfahrzeuge von Mercedes haben den Assistenten", erläutert der Experte.

Sicherheitsgewinn durch tiefere Position der Fahrersitze

Andere Techniken wie Trixi-Spiegel, die als Weitwinkel-Spiegel an Ampelmasten angebracht sind, oder Bike-Flashes, an Kreuzungen blinkende Pfosten mit Sensoren, bringen nach Siegfried Brockmann nichts. "Das mit Spiegeln und blinkenden Lichtern ist schon bis zum Exzess ausgereizt."

Von einer anderen Maßnahme verspricht er sich hingegen einen Sicherheitsgewinn: Lkw-Fahrer müssen tiefer sitzen, da wo jetzt der Motor ist, und große Scheiben an den Türen haben - wie in modernen Reisebussen.

Dazu müsse man aber die Fahrzeuge umkonstruieren, was zulasten des Frachtraumes und damit wieder zu Umsatzeinbußen führe. "Das muss der Gesetzgeber regeln, denn freiwillig wird das nicht kommen", meint der Berliner Verkehrsforscher.

Notbrems-Assistenten verhindern Aufprall auf Stauende

Auch auf Autobahnen könnten viele schwere Lkw-Auffahrunfälle vermieden werden, wenn die neueste Technik zum Einsatz käme. In Zahlen ausgedrückt gäbe es laut Hochrechnung der Unfallforscher 300 Tote und Schwerverletzte pro Jahr weniger.

Automatische Notbrems-Assistenten sind ab November 2018 Pflicht. "Sie warnen 1,5 bis 2 Sekunden vor dem Aufprall auf ein stehendes Hindernis. Reagiert der Fahrer nicht, macht das System erst eine Teilbremsung, dann eine Vollbremsung", erklärt Siegfried Brockmann.

Die Anforderungen an das Notbremssystem sind jedoch moderat: Es müssen 20 km/h aus den 80 km/h Fahrgeschwindigkeit abgebaut werden. Die neuesten Notbrems-Assistenten reagieren deutlich früher, sind nach Auskunft des Experten aber sehr teuer und wohl erst in einigen Jahren vorgeschrieben.

Monotonie am Arbeitsplatz - nach 15 Minuten droht Gefahr

Den Brummi-Fahrern kann man nach Meinung von Siegfried Brockmann keinen Vorwurf machen. "Der Arbeitsplatz ist hier das Problem.

Nach 15 Minuten monotoner Tätigkeit lässt bei jedem Menschen die Aufmerksamkeit nach." Nur von Lkw-Führern verlange man, dass sie stundenlang mit gleicher Geschwindigkeit hinter anderen herfahren, sich nicht ablenken lassen und hoch konzentriert sind.

Elektronische Aufmerksamkeits-Assistenten, wie man sie bereits aus Pkw kennt, könnten hier eine lebensrettenden Unterstützung sein.

So hat in diesem Jahr der schwedische Lkw-Hersteller Scania auf die Problematik reagiert und bietet ein Sicherheitssystem aus Spurhalteassistent und Kontrolle der Lenkradbewegungen als Standard in der Serienproduktion an.

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