Nach der Vorstellung einer Studie über sexuellen Missbrauch in der evangelischen Kirche hat Studienleiter Martin Wazlawik eine systematische Aufbereitung der einzelnen Fälle gefordert.
"Der schnellste Weg aus der Krise ist, der Wirklichkeit ins Auge zu sehen", sagte Wazlawik, der Leiter der Missbrauchsstudie zur EKD, der Beilage "Christ & Welt" der Wochenzeitung "Die Zeit". "Eine scheibchenweise Aufklärung führt nur dazu, dass die Krise zum Dauerzustand wird." Erst mit der Aufarbeitung der einzelnen Fälle könne es auch um individuelle Verantwortung gehen. "Das ist ein großes Anliegen der Betroffenen", so Wazlawik.
Mindestens 2225 Betroffene und 1259 mutmaßliche Täter hatte die in der vergangenen Woche vorgelegte Untersuchung zu sexualisierter Gewalt in der Evangelischen Kirche in Deutschland und der Diakonie für die vergangenen Jahrzehnte dokumentiert. Wazlawik sprach von der "Spitze der Spitze des Eisbergs". Die in der Studie ermittelten Fallzahlen basieren vor allem auf Disziplinarakten, nicht aber auf Personalakten aller Pfarrer und Diakone.
Eine 2018 veröffentlichte Studie zu sexualisierter Gewalt in der katholischen Kirche hatte nach der Auswertung von fast 40 000 Personalakten aus der Zeit zwischen 1945 und 2014 ergeben, dass 1670 katholische Priester und Diakone beschuldigt wurden, denen 3677 Kinder und Jugendliche als Betroffene zugeordnet werden konnten.
Dem Bericht zufolge forderte der Vorsitzende der Aufarbeitungskommission im Erzbistum Freiburg, Magnus Striet, die evangelische Kirche auf, dem katholischen Beispiel zu folgen. Aufarbeitungsprozesse könne es nur regional geben.
"Für die 20 Landeskirchen der EKD muss das bedeuten: Unabhängige Aufklärung ist notwendig, und wenn Amtsträger ihrer Verantwortung wissentlich nicht gerecht wurden, muss das benannt werden", sagte der Theologieprofessor der Universität Freiburg. Der Prozess sei schmerzhaft, aber man müsse "hinschauen, wo es wehtue. © dpa
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