Einen Tag nach dem Absturz des TransAsia-Flugs GE235 in Taipeh werden noch immer Passagiere vermisst. Mindestens 31 Menschen kamen bei dem Unglück ums Leben. Es ist bereits das fünfte Unglück einer TransAsia-Maschine – und das vierte mit dem Flugzeugtyp ATR-72. Der Absturz wirft viele Fragen auf: Handelt es sich um einen Systemfehler des Typs? Hat der Pilot absichtlich das Flussbett angesteuert? Unsere Autorin Mirjam Moll klärt die wichtigsten Punkte rund um den Absturz.

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Schon vergangenes Jahr kam es zu einem verheerenden Unglück mit einer TransAsia-Maschine des Typs ATR-72. Was war damals der Grund für den Absturz?

Am 23. Juli 2014 stürzte ein baugleiches Propellerflugzeug derselben Airline wie nun in Taipeh auf der Insel Penghu in einem Wohngebiet ab. 48 Menschen kamen damals ums Leben. Das Unglück ist noch nicht vollständig aufgeklärt, der Abschlussbericht der Untersuchung steht noch aus. Im vergangenen September veröffentlichten die Behörden einen vorläufigen Bericht. Darin werden extrem schlechtes Wetter und entsprechend eingeschränkte Sicht als Ursachen genannt. Dadurch sei das Propellerflugzeug, dessen Pilot noch ein "Durchstartmanöver" versuchte, zu tief geflogen und vom Kurs abgekommen.

Hat der Pilot der in Taipeh abgestürzten Maschine das auch versucht?

Die gestern verunglückte Maschine war unmittelbar zuvor vom Stadtflughafen Taipeh-Songshan gestartet und nur wenige Minuten geflogen. "Das Flugzeug war noch in der Steigphase", sagt Jan Richter, Leiter und Gründer des Flugunfallbüros Jacdec in Hamburg. Welche Manöver der Pilot möglicherweise noch unternommen hat, ist derzeit unklar. Dazu müssen erst die Blackboxen der ATR-72 ausgewertet werden. Klar ist, dass der Pilot von Flug GE235 unmittelbar vor dem Absturz noch einen Notruf absetzte, wonach ein Triebwerk ausgefallen sei.

Was kann ein Pilot in einer solchen Situation tun?

Das kommt ganz auf die Flugphase an. In diesem Fall befand sich die Maschine nach dem Start noch im Steigflug. Wenn dabei ein Triebwerk ausfällt, sollte "der Pilot dafür sorgen, dass die Maschine genug Geschwindigkeit hat, damit er die Steuerkontrolle nicht verliert", erklärt Luftsicherheitsexperte Richter. In der Flugschule werden solche Szenarien immer wieder geübt.

Der Ablauf in einer solchen Situation ist klar geregelt: "Normalerweise senkt der Pilot dann die Nase und hält einen stabilen Geradeausflug", führt Richter aus. Dazu müsse er den Schub auf dem anderen Triebwerk nutzen. Sobald die Maschine wieder unter Kontrolle ist, muss der nächstgelegene Flughafen angesteuert werden. Der dortige Fluglotse muss dem Flugzeug dann Priorität geben – andere Flüge werden in Warteschleifen geschickt, bis die beeinträchtige Maschine sicher gelandet ist.

Warum hat es die Maschine nicht mehr zurück zum Startflughafen geschafft?

Darüber kann man im Moment nur spekulieren. Flugsicherheitsexperte Richter geht aber davon aus, dass "mehrere Faktoren zusammengespielt" haben müssen: "Ein Triebwerkausfall allein führt noch nicht zum Absturz", sagt er. "So etwas passiert Dutzende, wenn nicht Hunderte Male im Jahr." Dennoch haben die Piloten noch "alle Möglichkeiten", das Flugzeug sicher zu landen.

War aus Sicht des Piloten eine Landung im Keelung-Fluss eine solche Option?

Auch das ist reine Spekulation. Gewissheit kann es darüber erst geben, wenn die Untersuchungen des Unglücks abgeschlossen sind. "Die Piloten werden schon mit Problemen zu kämpfen gehabt haben", sagt Richter. Es sei fragwürdig, inwieweit die Propellermaschine überhaupt noch steuerfähig gewesen sei. Ob er also bewusst Gebäuden ausgewichen oder mit Absicht in der Nähe des Ufers abstürzte, müssen die Ermittlungen zeigen.

Das war bereits der vierte Absturz einer Maschine dieses Typs. Sind Konstruktionsmängel für das Unglück verantwortlich?

Bei so vielen Abstürzen von Maschinen der gleichen Bauart liegt es nahe, einen generellen Systemfehler dafür verantwortlich zu machen. Verifizieren lässt sich diese Vermutung aber erst, wenn die Untersuchungen zum Absturz abgeschlossen sind.

Ist ein Flugzeugabsturz überhaupt restlos aufzuklären?

Das kommt auf den Einzelfall an: Sind mehrere Länder an der Untersuchung beteiligt? Wie kompliziert und umfangreich ist die Aufarbeitung? Konnten Wrackteile und Blackboxes geborgen werden? Im aktuellen Fall haben die Behörden die Boxen schon gestern sichergestellt. "Die Chance, dass das Unglück aufgeklärt werden kann, ist also groß", sagt Richter.

Welche Daten liefern Blackboxes und welche Schlussfolgerungen lassen diese zu?

In den Blackboxes befindet sich der FDR, der Flugschreiber der Maschine. Er sammelt alle wichtigen Daten eines Fluges, wie etwa die Geschwindigkeit, die Fluglage, die Flughöhe, den Kurs bis hin zur Stellung der Flugklappen. "Daraus kann man eine Menge Schlüsse ziehen", sagt Flugsicherheitsexperte Richter.

Hilfreich bei der Analyse sind auch die Aufnahmen des Stimmenrekorders, kurz CVR. "Er zeichnet alles auf, was im Flugzeug gesprochen wurde", erklärt Richter. Aus den Dialogen der Piloten ergeben sich meist weitere Hinweise für die Gründe eines Absturzes. Beide Geräte sind bereits seit den 1950er-Jahren im Einsatz. Vorher war man zur Aufklärung auf die Aussagen von Überlebenden angewiesen: "Das war alles sehr vage", so Richter.

Wann ist mit einem Abschlussbericht zu den Ursachen des Absturzes rechnen?

Das hängt von vielen Faktoren ab. Selbst wenn die Blackbox gefunden wurde, ist nicht sichergestellt, dass die Daten auch auswertbar sind. Je nach Komplexität des Falls können laut Richter in Einzelfällen "sieben bis neun Jahre" vergehen, bevor ein abschließender Bericht vorgelegt werden kann. In der Regel dauert eine solche Untersuchung aber ein bis zwei Jahre. "In diesem Fall ist das schwierig zu sagen", sagt Richter.

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