Ob Pestizide, Keime oder Schmutz: Obst sollten Verbraucher vor dem Essen waschen. Aber nützt es wirklich, Äpfel und Co. mit Backnatron zu reinigen, um mögliche Rückstände von Pestiziden zu entfernen? Und warum warnt der Bund derzeit vor "Schneewittchenäpfeln"?
Ich liebe Äpfel! Saftig, knackig, mit ausreichend Süße gewappnet und – je nach Sorte – mit leicht bis herb-säuerlichen Noten, schmecken Gravensteiner, Boskoop & Co. einfach herrlich. Die ersten Frühäpfel habe ich vor einigen Tagen schon probiert.
Viele Verbraucher teilen meine Leidenschaft und greifen gerne zu: Äpfel sind das Lieblingsobst der Menschen in Deutschland. Pro Jahr und Kopf aßen sie in der Saison 2022/23 rund 20 Kilogramm Äpfel. Kein Wunder, eignen sich Äpfel doch wunderbar direkt zum Naschen, für süßes Gebäck und auch in herzhaften Gerichten.
Für viele Haushalte gilt anscheinend: Äpfel müssen makellos sein. Klein und mit leichten "Trockenfältchen", das geht gar nicht. Dabei lässt sich aus schrumpeligen Äpfeln immer noch ein leckeres Mus zaubern!
Genauso tabu sind für den Handel und viele Käufer Schorf-Flecken auf der Schale. Durch das nasse Wetter sind etliche Früchte vor allem in der Bodensee-Region mit dem Schorfpilz befallen – Äpfel, die sich nach gängigen Maßstäben nicht mehr verkaufen lassen. Doch der Apfelschorf ist nicht nur ein rein optisches "Problem", er schränkt auch die Lagerfähigkeit der Früchte ein. Das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL) will hier Abhilfe schaffen.
Fungizid Folpet ist akut toxisch und wahrscheinlich krebserregend
Äpfel und weiteres Kernobst dürfen nach dem Willen des BVL nun stärker als bisher mit einem gefährlichen Pestizid behandelt werden. Noch für diese Obst-Anbausaison hat die Behörde ein Fungizid mit dem Wirkstoff Folpet erlaubt: Für den 18. Juli 2024 bis 14. November 2024 erteilte sie für Kernobstbetriebe in den baden-württembergischen Landkreisen Bodenseekreis, Ravensburg und dem bayerischen Landkreis Lindau eine sogenannte Notfallzulassung für das Mittel Folpan.
Was Verbraucher wissen sollten: Der stärkere Einsatz des Gifts führt zu Rückständen im Obst, die den EU-weiten Grenzwert deutlich übersteigen. Das BVL will deshalb diesen Grenzwert für Deutschland vorübergehend von 0,3 auf sechs Milligramm pro Kilo erhöhen, also auf das 20-Fache. Ich konnte den Referenten-Entwurf der Behörde lesen, mit einer Entscheidung wird Ende August gerechnet.
"Schneewittchenäpfel" in den Regalen?
Was genau würde das bedeuten, wenn die Grenzwerte angehoben werden? Solche gegen Schorf gespritzten Äpfel können dann in Deutschland verkauft werden – allerdings nur noch in Deutschland. Sobald die Äpfel den bisherigen Grenzwert überschreiten, dürfen sie eben nicht mehr in andere EU-Länder exportiert werden.
In Deutschland wären die Äpfel nach dem jetzigen Plan des BVL dagegen verkehrsfähig. Mir scheint, man will die Äpfel um jeden Preis verkaufen.
Ich finde die geplanten Grenzwerte jedoch mehr als bedenklich: Das Pilzmittel Folpet ist akut toxisch und gilt als wahrscheinlich krebserregend.
Die Einschätzung, dass das Pestizid wahrscheinlich krebserregend ist, wurde nicht nur von der US-amerikanischen Behörde Environmental Protection Agency (EPA) getroffen, sondern auch von einer UN-Behörde. Das "Global Harmonisierte System" (GHS) zur Einstufung und Kennzeichnung von Chemikalien" der Vereinten Nationen ist die Grundlage für die weltweite Harmonisierung der Vorschriften zur Einstufung und Kennzeichnung gefährlicher Stoffe.
Folpet ist zudem als erbgutverändernd eingestuft und hochgiftig für Fische und Wasserorganismen.
Der Umweltverband Bund kritisiert die geplanten Grenzwerte deutlich und warnt vor "Schneewittchenäpfeln" in den Regalen. Denn: Apfel-Schorf hat keinerlei Auswirkungen auf die Gesundheit – das Pestizid Folpet aber sehr wohl.
Äpfel mit Schorf können Sie bedenkenlos essen. Außerdem können Sie die betroffenen Stellen vor dem Verzehr einfach rausschneiden. Für das Pestizid gilt dies nicht.
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Apfel-Plantagen sind Pestizid-Spitzenreiter
Im Zusammenhang mit den neuesten Entwicklungen finde ich auch folgende Statistik beunruhigend: Jeder dritte Apfel, der in Deutschland verkauft wird, stammt vom Bodensee.
Wussten Sie, dass Äpfel in Deutschland so intensiv gespritzt werden wie keine andere Frucht? Auf den Plantagen wurde 2022 nach Daten des Julius Kühn-Instituts im Durchschnitt 29,5 Mal die zugelassene Pestizidmenge ausgebracht.
Ich bin – nicht nur aufgrund dieser Zahlen – gerne bereit, den Bio-Aufschlag für mein Obst zu zahlen. Ich kaufe meine Äpfel beim lokalen Bauernmarkt und in der Gärtnerei. Auch "unperfekte", günstige Supermarkt-Ware, also Bio-Äpfel mit Schönheitsfehlern, landet in meinem Einkaufskorb.
Allerdings ist mir bewusst, dass nicht jede/r diese Auswahl an Einkaufsmöglichkeiten hat. Bei konventioneller Ware befinden sich Rückstände hauptsächlich auf der Schale. Was also tun?
Obst und Gemüse mit Natron und Wasser waschen – was es bringt
Natürlich könnten Sie die Äpfel und viele andere Obst- und Gemüsesorten einfach schälen. Dadurch entfernen Sie wahrscheinlich einige Rückstände, aber nicht alle. Das liegt daran, dass einige Pestizide systemisch wirken, das heißt, sie werden von der Pflanze aufgenommen. Das Schälen kann zudem Nachteile haben, da die Schalen gesunde Ballaststoffe und andere Nährstoffe liefern.
Studien zeigen jedoch: Einen großen Teil der Pestizide können Sie schon durch gründliches Reinigen mit Wasser entfernen.
Den in den sozialen Medien oft geteilten Tipp, Obst und Gemüse mit Natron zu waschen, haben Forschende 2017 an Äpfeln getestet. Das Ergebnis: Natron hilft, noch einmal deutlich mehr Schadstoffe zu entfernen – allerdings nur, wenn Sie die Früchte 15 Minuten lang in einer schwachen Natronlösung baden. Dafür müssen Sie einen Esslöffel Natron in einem Liter Wasser auflösen, dann Äpfel & Co. in die Mischung legen. Nach einer Viertelstunde können Sie die Früchte unter klarem Wasser abwaschen und weiterverarbeiten.
Äpfel mit Schönheitsfehlern – na und?
Wichtig: Für diese Prozedur benötigen Sie reines Natron und kein Backpulver, obwohl beide als Treibmittel beim Backen austauschbar sind. Natron unterscheidet sich von Backpulver durch den fehlenden Säureanteil. Zum Reinigen von Obst ist es das Mittel der Wahl. Auch beim Natronbad gilt: Vollständig entfernt es Pestizidrückstände nicht, da ein kleiner Teil von Schadstoffen bis ins Innere der Äpfel gelangen kann.
Ich jedenfalls mag Äpfel mit Schönheitsfehlern und kaufe auch die mit Schorf! Die gute Nachricht zum Schluss: Jeder sechste heimische Apfel ist ein Bio-Apfel. Greifen Sie zu!
Tipp für Allergiker
- Für Allergiker habe ich einen Tipp: Weil neuere Apfelsorten weniger Polyphenole aufweisen, sind sie häufig schlechter verträglich. Wer auf dieses Problem stößt, sollte zu alten Apfelsorten wie zum Beispiel Grevensteiner, Roter Boskoop oder Rubinette greifen! In der Apfelsortenliste der Umweltschutzorganisation Bund finden Betroffene weitere Infos.
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Verwendete Quellen
- de.statista.com: Pro-Kopf-Konsum von Obst in Deutschland nach Art in den Jahren 2010/11 bis 2022/23
- Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit: Notfallzulassung nach Artikel 53 der Verordnung (EG) Nr. 1107/2009 für das Pflanzenschutzmittel: Folpan 80 WDG
- psm-zulassung.bvl.bund.de: Folpan 80 WDG
- Environmental Protection Agency (EPA): Folpet
- link.springer.com: Spectroscopic and Chemometrics Analysis of the Hydrolytic Process of Folpet and Its Interaction with DNA
- bund.net: Bundesamt für giftige Schneewittchen-Äpfel
- suedkurier.de: Bodensee-Äpfel: Jeder dritte Apfel in Deutschland kommt aus der Region
- Julius Kühn-Institut: Behandlungsindex
- National Library of Medicine: Comparison of Different Home/Commercial Washing Strategies for Ten Typical Pesticide Residue Removal Effects in Kumquat, Spinach and Cucumber
- ACS Publications: Effectiveness of Commercial and Homemade Washing Agents in Removing Pesticide Residues on and in Apples
- landwirtschaft.de: Jeder sechste heimische Apfel ist ein Bio-Apfel
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