Viele werfen beim Einkaufen einen schnellen Blick auf die Vorderseite der Verpackung, verbinden damit eine Erwartung - und legen das Produkt in ihren Einkaufswagen. Daheim dann die große Enttäuschung: Was Bilder und Design versprechen, trifft gar nicht zu. Ein Überblick, was hinter der Trickserei mit Alibizutaten steckt.
Im Supermarkt arbeiten viele Verbraucherinnen und Verbraucher möglichst schnell ihre Einkaufsliste ab. Zeit, sich Verpackungen und Zutatenlisten genauer anzuschauen, bleibt da kaum. Und genau das nutzen Hersteller zu ihrem Vorteil: Sie werben mit sogenannten Alibizutaten.
Stephanie Wetzel, Projektkoordinatorin von "Lebensmittelklarheit", klärt im Gespräch mit unserer Redaktion über die Verbrauchertäuschung auf, bei der ein verzerrtes Bild eines Produkts gezeichnet wird. "Eine Zutat ist prominent abgebildet, in der Zutatenliste sieht man aber, dass sie an vorletzter Stelle steht und Aroma beigefügt ist. Da wissen Verbraucher dann nicht mal, woher der Geschmack nach dieser Zutat stammt", erklärt sie. Allerdings erwarteten Verbraucher zu Recht, dass beworbene Zutaten in wesentlicher Menge im Produkt stecken, bemängelt "Lebensmittelklarheit".
Rosmarin, Trüffel und Co.: Typische Alibizutaten gelten als hochwertig
Sehr oft gehe es um Kräuter und Gewürze, allen voran Komponenten, die aus Verbrauchersicht sehr hochwertig seien, sagt Wetzel und nennt als Beispiele Trüffel und Rosmarin. Auf der Website informiert Lebensmittelklarheit.de über solche Fälle, die Verbraucher dem Portal gemeldet haben und die untersucht wurden.
Ein paar Beispiele:
- Blaubeertee, auf dessen Packung groß mit Blaubeeren geworben wird. Allerdings seien diese nur in minimaler Menge vorhanden und der Tee erhalte seinen Geschmack durch Zugabe von "natürlichem Aroma".
- Trüffelpulver, in dem gerade einmal ein Prozent Trüffel steckt. Der Rest des Produktes bestehe zu zirka 99 Prozent aus Aromen und Johannisbrotkernmehl.
- Rosmarin-Chips, die mit einem großen Rosmarinstrauch auf der Verpackung beworben werden. Allerdings gibt es keine Mengenangabe, "Rosmarin" und "natürliches Aroma" seien die letztgenannten Zutaten und entsprechend nur in geringen Mengen enthalten.
- Frischkäse "Räucherlachs", der eine größere Menge Fisch suggeriert. Tatsächlich steckten in dem Aufstrich aber gerade einmal 3,2 Gramm Räucherlachs pro 100 Gramm.
Dass auf einer Teepackung Zutaten abgebildet sind, die nur als natürliches Aroma aus der Zutat enthalten sind, sei "ein absoluter Dauerbrenner", sagt Wetzel. Typische Fallen seien zudem Pesto und Guacamole – bei denen weniger Pinienkerne, Olivenöl und Avocado erhalten sind, als es das Produktdesign vermuten lässt.
Ein weiteres klassisches Beispiel sind Säfte. "Da werden exotische, teure Früchte prominent abgebildet, aber hauptsächlich steckt Apfelsaft im Saft. Die Früchte sind also in einem völlig anderen Verhältnis im Getränk enthalten, als die Verpackung vorgibt", erklärt Wetzel.
Werbung mit Alibizutaten ist meist rechtskonform
Verboten ist es nicht, mit Zutaten zu werben, die nur in kleinen Mengen im Produkt enthalten sind. Eine vorgeschriebene Mindestmenge, wie viel einer beworbenen Zutat enthalten sein muss, gibt es für die meisten Lebensmittel laut Lebensmittelklarheit nicht.
Doch nicht nur die Vorderseite einer Verpackung stellt eine Schwierigkeit dar. "Auf der Rückseite sieht man oft nicht für alle Zutaten, welche Mengen enthalten sind. Man kann es nur ungefähr vermuten anhand der Position der Zutaten in der Zutatenliste, denn diese müssen in absteigender Menge aufgelistet werden. Die erste Zutat ist viel enthalten, die letzte Zutat am wenigsten. Das ist eine unbefriedigende Situation für Verbraucher", kritisiert die Projektkoordinatorin.
Laut Gesetz ist das allerdings ausreichend. Grundlage dieser Kennzeichnung sei die Lebensmittel-Informations-Verordnung, die EU-weit gültig ist, so Wetzel. Sie fordert deshalb: "Hier sollten Ausnahmen abgeschafft werden wie die, dass Zutaten, die als geringe Menge zur Geschmacksgebung eingesetzt werden, nicht mit Mengenprozenten versehen werden müssen. Produkte, die auf der Schauseite abgebildet oder genannt sind, sollten immer mit Mengenangaben versehen sein."
Wie Verbraucher die Trickserei mit den Minimengen erkennen
Wie schafft man es nun aber beim Einkaufen, nicht auf verzerrte Produktversprechungen hereinzufallen? Das ist in der Tat schwierig – vor allem, weil viele in Eile einkaufen. Wetzel hat allerdings einige grundsätzliche Tipps parat. "Wenn man ein schönes Bild mit Früchten auf der Produktvorderseite sieht, sollte man immer sicherheitshalber in die Zutatenliste schauen. Das macht bei Tees und Säften Sinn", sagt sie.
Immer genauer hinschauen sollten Verbraucher auch, wenn besonders teure Zutaten abgebildet sind. "Es kann nämlich sein, dass die teure Zutat, mit der geworben wird, im Lebensmittel nur als Aroma oder in einer Minimenge vorkommt", erklärt Wetzel. Bei Pesto und Guacamole zum Beispiel könnte man vor dem Kauf einmal checken, wie viel Prozent Pinienkerne im Pesto enthalten sind und wie hoch der Avocado-Anteil in der Guacamole ist. "Dann macht es Sinn, zu vergleichen", rät sie. "Wenn ich zwei ähnlich teure Guacamoles habe, in der einen sind 50 Prozent Avocado, in der anderen nur 20 Prozent, dann kann ich zu der greifen, die mir mehr Avocado bietet."
Was ist das Portal Lebensmittelklarheit?
- Das Portal Lebenmittelklarheit.de informiert rund um das Thema Kennzeichnung und Aufmachung von Lebensmitteln. Ziel ist, aus Verbrauchersicht missverständliche oder irreführende Lebensmittelkennzeichnung aufzudecken und abzustellen. Sehen sie sich durch deren Kennzeichnung, Aufmachung oder Bewerbung getäuscht, können Verbraucherinnen und Verbraucher Produkte melden. Das Projekt wird vom Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft gefördert.
Außerdem empfiehlt Wetzel, bei Produkten, die man häufiger kauft, anhand der Zutatenliste einmal zu checken, ob die Zutaten in der Menge im Produkt vorkommen, wie man es erwartet. Einzelne Inhaltsstoffe, die man nicht versteht, können Verbraucher online nachschlagen. Informationen zu einzelnen Zutaten und zum Lebensmitteletikett gibt es etwa auf der Website der Verbraucherzentrale.
Beschwerde einreichen – und dann?
Wer ein Produkt kauft und sich danach getäuscht fühlt, kann sich an Lebensmittelklarheit wenden – ganz gleich, ob online geshoppt oder in einem Geschäft gekauft. "Man erreicht auf jeden Fall etwas, wenn man sich beschwert", bekräftigt Wetzel. "Immerhin jeder vierte Anbieter ändert innerhalb eines Jahres das Etikett im Sinne der Kritik. Das haben wir in einem Marktcheck 2023 festgestellt."
Wird ein Produkt gemeldet, wird die Beschwerde durch eine Fachredaktion geprüft. "Ist die Kennzeichnung aus unserer Sicht irreführend, geben wir das an die Rechtsabteilungen des Verbraucherzentrale Bundesverbandes oder einer Verbraucherzentrale zur weiteren Prüfung weiter", erklärt sie. In einigen Fällen würden die Verbände die Anbieter dann abmahnen und auffordern, die irreführende Kennzeichnung zu unterlassen.
Im Anschluss stellt die Redaktion das Produkt zusammen mit der Beschwerde, einer Stellungnahme des Anbieters und der fachlichen Sicht der Verbraucherzentrale ins Portal ein. Das führt laut der Verbraucherzentrale in vielen Fällen dazu, dass die Anbieter ihr Produktetikett verändern.
Wer genau hinsieht und bei einer vermuteten Täuschung an das Portal schreibt, schützt im besten Fall nicht nur sich selbst vor der Masche mit Alibizutaten, sondern auch andere Verbraucher.
Über die Gesprächspartnerin
- Stephanie Wetzel ist Diplom-Ökotrophologin und seit 2014 Koordinatorin des Projekts Lebensmittelklarheit. Seit 2016 ist sie Mitglied in der Deutschen Lebensmittelbuch-Kommission und seit 2022 zusätzlich Mitglied im Präsidium. Ihre Leidenschaften: die Perspektive der Verbraucherinnen und Verbraucher zu vermitteln und energisch für eine klare, wahre Kennzeichnung der Lebensmittel einzutreten.
Verwendete Quellen
- Gespräch mit Stephanie Wetzel
- lebensmittelklarheit.de
- Verbraucherzentrale Bundesverband: Projekt Lebensmittelklarheit
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