Seinen Job als Arzt hat Aljosha Muttardi vorerst an den Nagel gehängt, um sich für Tiere stark zu machen. Zuerst mit dem YouTube-Channel "Vegan ist ungesund”, inzwischen mit seinem Solo-Kanal, auf dem ihm 100.000 Abonnenten zuschauen. Neben Veganismus liegen ihm Themen wie Gleichberechtigung und mentale Gesundheit am Herzen. Mit uns sprach Aljosha Muttardi im Podcast "Tierschutz-Update” über seine Erlebnisse in einer Pelzfarm und einer Schweinezucht.
Achtung: In diesem Text geht es um Themen wie Tierquälerei, Tötung von Tieren und Tierleid im Detail. Auch die Fotos können verstörend sein. Wir zeigen keine Fotos von toten Tieren. Sollten Dir diese Themen zu nahe gehen, empfehlen wir Dir, diesen Text gar nicht oder nicht alleine zu lesen.
Reihenweise Käfige stehen dicht an dicht auf weiter Flur in Polen, umhüllt von Dunkelheit. In jedem davon sitzt mindestens ein Polarfuchs. Und mittendrin zwischen all diesen Käfigen: Tierschützer und YouTuber Aljosha Muttardi zusammen mit dem Team von "Aninova” (ehemals "Deutsches Tierschutzbüro”). Sie sind in diese Pelzfarm eingestiegen, um der Öffentlichkeit zu zeigen, wie sehr die Tiere für die Pelzindustrie leiden, bevor sie grausam getötet werden – um dann als Pelzbommel an einer Mütze zu enden. Ohne wärmende Funktion, nur als Dekoration.
7,7 Millionen Tiere sterben EU-weit für Pelz
Für Pelzmode sterben weltweit jährlich mehr als 100 Millionen Tiere. In der EU werden in schätzungsweise 1.000 aktiven Pelzfarmen für Nerze, Füchse und Waschbären circa 7,7 Millionen Tiere gehalten.
Ziel des Einsatzes war auch, die Zustände der Farm zu dokumentieren und eine Fuchsfamilie zu retten – mit Erfolg. Warum sich Aljosha Muttardi für die Pelztiere einsetzt? Angestoßen habe sein Engagement vor allem die provokante Pelzträgerin und Rapperin
Immer noch salonfähig: Viel Echtpelz an Mützen und Jacken
"Wir sind weit davon entfernt, dass Pelz gesellschaftlich verpönt sind. Was im Winter nonstop zu sehen ist, sind Pelz-Jackenkrägen und Pelzbommel an Mützen”, sagt der Tierrechtsaktivist aus Hamburg im Interview mit DeineTierwelt. "Solange Pelz nicht verpönt ist, sollten wir gar nicht mit Pelz herumlaufen – egal, ob er fake ist oder nicht – weil es falsche Signale sendet.” Auch Secondhand-Pelz sende ein Signal nach außen, dass es okay sei, das Fell von getöten Tiere zu tragen, erklärt Muttardi gegenüber DeineTierwelt. Was vielen nicht bewusst ist: Selbst vermeintlicher Kunstpelz an günstiger Mode kann echt sein.
Dennoch, appelliert er in seinem Video: Einfach nur keinen Pelz zu tragen, reiche nicht mehr. "Sprecht die Leute darauf an, klärt auf.” Es müsse sich aber auch auf politischer Ebene etwas verändern, sagt der 36-jährige "Sinnfluencer", der zuvor als Facharzt in für Anästhesie arbeitete, im Podcast-Interview.
Was wurde aus der Petition gegen Pelz in der EU?
Die Bürgerinitiative "Fur Free Europe” (Pelzfreies Europa) hatte das Quorum mit mehr als 1,5 Millionen Unterschriften erreicht und die Petition im vergangenen Jahr der EU-Kommission vorgelegt. Ihre Forderung: Dass das Halten und Töten von Tieren ausschließlich oder hauptsächlich zur Pelzgewinnung in der EU verboten wird. Und: Ein ein Pelzhandel-Verbot auf dem EU-Markt.
Die Antwort der EU-Kommission im Dezember: "Die Kommission hat die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) beauftragt, bis März 2025 ein wissenschaftliches Gutachten zum Wohlergehen von Pelztieren vorzulegen.” Bis März 2026 wolle die EU-Kommission basierend auf diesem Gutachten eine Entscheidung treffen, ob sie Pelzfarmen sowie Pelzhandel nach einer Übergangsfrist verbieten werde oder ob sie andere Maßnahmen wie verbesserte Haltungsstandards vorzieht.
Auf Grundlage dieses wissenschaftlichen Inputs und einer Bewertung der wirtschaftlichen und sozialen Auswirkungen werde sich die Kommission anschließend dazu äußern, welche Maßnahmen sie für angebracht hält. Wie in der Strategie "Vom Hof auf den Tisch" angekündigt, bereite die Kommission außerdem weitere Vorschläge zum Tierschutz vor. Es bleibt also weiterhin ungewiss, ob ein solches Pelzverbot kommen wird. Bis dahin werden noch Millionen Tiere ihr Leben lassen.
Tiere mehr wertschätzen
Die Kritik an Pelz sei natürlich auch Kapitalismuskritik, so Aljosha Muttardi. "Grundsätzlich müssen wir gesellschaftlich erstmal an einen Punkt kommen, an dem wir Tiere mehr wertschätzen.” Das System müsse sich graduell ändern. Solange die Nachfrage da sei, solange wir "Tierprodukte” wie Pelz weiterhin kaufen, erhalte sich dieses System der Ausbeutung aufrecht. "Wir sehen den Wert in Tieren nicht, wir sehen nur den Wert von Tieren, wir sehen Geldscheine – große Konzerne, die Geld damit verdienen”, sagt er.
Während es für eine Fuchsmutter mit ihren Jungen ein Happy End gab, weil die Tierschützer sie wie die traurige Füchsin Ronja aus dieser Hölle befreiten, bleiben Hunderte, Tausende Tiere in ihren Käfigen zurück. Ihnen droht ein brutaler Tod: meist durch anale Elektroschocks oder durch Vergasen. Weil Auspuffgase aber oft sehr langsam und unzuverlässig töten, kommen manche von ihnen wieder zu Bewusstsein, während man ihnen die Haut vom Körper abzieht. In China wird ihr Schädel häufig bei vollem Bewusstsein mit einem Knüppel zertrümmert. Neben Füchsen werden auch Nerze, Marderhunde, Chinchillas und Waschbären für Pelz gezüchtet und getötet.
Pelz- und Schweineindustrie: "Wie in einem Horrorfilm”
"Es ist wie in einem Horrorfilm”, beschreibt Muttardi das, was er in der Pelzfarm gesehen hat. Es sei vergleichbar mit dem, was er bei seinem legalen Besuch in einem Vorzeigeschweinebetrieb erlebte. Wie YouTube-Kollege Robert Marc Lehmann war Muttardi zusammen mit der Tierschutz-Aktivistin Samara Eckardt in einer Schweinezucht. Bereits 2019 deckte Muttardi zusammen mit seinem damaligen Kollegen Gordon Prox auf ihrem alten YouTube-Channel "Vegan ist ungesund” die grausamen Zustände in einer Ferkelzucht im Münsterland auf.
"Das schlimmste, was ich bisher erlebt habe”, lautet der Titel seines Videos. Dass Muttardi früher selbst Fleisch gegessen hat, bevor er Videoausschnitte aus dem Dokumentarfilm "Dominion” sah, wird er nicht müde zu betonen. Denn er wolle nicht von oben herab verurteilen und mit dem Zeigefinger belehren, sondern verständnisvoll zum Umdenken bewegen.
Was hat toxische Männlichkeit mit Fleischkonsum zu tun?
Damals vor seinem eigenen Sinneswandel habe er seinen Fleischkonsum vehement verteidigt, reflektiert er: "Ich wollte mich früher als queere Person schützen, um männlicher zu wirken, weil das Männlichkeitsbild gesellschaftlich gesehen auch oft mit Fleischkonsum verbunden wird: eine Form von Machtausübung, keine Emotionen zeigen, keine Schwäche zeigen.” Jegliche Form von Empathie mit Tieren habe er mit Schwäche, Weiblichkeit, etwas Schlechtem gleichgesetzt. Seine Angst: Dass andere herausfinden, dass er homosexuell ist und er selbst dadurch Ablehnung erfahren würde.
Dass 75 Prozent der vegan lebenden Menschen weiblich und 25 Prozent männlich sind, spreche Bände. "Am Ende ist das auch ganz viel Patriarchat und Misogynie, also internalisierter Frauenhass”, sagt der Aktivist. Da müsse noch viel passieren. Auch Männer leiden unter Mysogynie, verdängen ihre Gefühle, begehen häufiger Suizid.
Intersektionale Brille aufsetzen
Aljosha Muttardi weist darauf hin, dass verschiedene Formen der Diskriminierung oft Schnittstellen haben (Intersektionalität) und nicht jede Person dieselben Kapazitäten hat, gleichermaßen ihre Energie in aktivistische Tätigkeiten zu stecken. Eine mehrfach diskriminierte Person, die beispielsweise behindert, Trans und schwarz ist, hat vielleicht weniger Kraft, sich auch noch sehr intensiv mit Veganismus zu beschäftigen. Da das Veganwerden ohnehin ein Prozess sei, wünscht sich der Tierschützer auch generell mehr Mitgefühl unter Veganern.
Zudem lassen sich auch Parallelen zur Tierindustrie ziehen. Auch da wird abhängig vom jeweiligen Geschlecht diskriminiert. Denn die weiblichen Tiere wie Muttersauen und Fuchsmütter werden so lange als Gebärmaschinen ausgenutzt, bis sie daran kaputt gehen und getötet werden. Gleichzeitig werden die meisten der männlichen Ferkel für die Zucht nicht gebraucht und landen daher schnell beim Schlachter. Unterm Strich leiden also alle.
Was können wir tun?
Trotz der Machtlosigkeit, die Tierschützer Muttardi bei all der Ignoranz gegenüber dem Leid oft verspürt, lautet seine Message: Wir müssen weitermachen, weiter laut sein für die Unterdrückten ohne Stimme. © Deine Tierwelt
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