Mit dem Pferd durch Deutschland wandern – davon träumt so mancher Reiter. Für die meisten bleibt es eine Sehnsucht, einige wagen das Abenteuer. So auch Sarah Pruß. Vier lebte sie mit ihrem Pferd auf Wanderschaft. pferde.de sprach mit ihr über ein Leben mit der Natur, warum Vertrauen die wichtigste Grundlage ist und auf welches Abenteuer sich die 26-Jährige jetzt freut…

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Schon als Kind hat sie davon geträumt, mit einer Tierherde im Wald zu leben. Und natürlich sollten Pferde dabei sein. "Denn ich war schon immer pferdebegeistert", sagt Sarah Pruß lachend. "Ich wollte immer eine tiefe Beziehung zu den Pferden haben, habe mir lange ein eigenes Pferd gewünscht."

Mit 15 Jahren ging ihr Wunsch endlich in Erfüllung: "Wir sind damals in die Nähe von Hamburg gezogen und dort kam dann Cordelleo zu uns", erinnert sich Pruß. Zu ihm wollte sie eine vertrauensvolle Beziehung aufbauen. "Doch genau das Vertrauen war eine Herausforderung", gibt sie zu. "Cordelleo braucht Führung und einen sicheren Rahmen. Das konnte ich ihm damals nicht geben."

Studium? Das Pferd ist wichtiger…

Die Folge: "Ich bin ihn damals nicht geritten, weil er es nicht wollte. Er mochte den Sattel nicht." Doch aufgeben kam für sie auch nicht in Frage. "Ich wusste, dass ich sein Vertrauen bekommen kann. Ich kannte damals nur den Weg dahin nicht." Als sie dann fürs Studium wegzog, nahm sie ihn mit. Und stand plötzlich vor zwei Problemen. "Cordelleo kam in seinem neuen Stall nicht an. Und ich auch nicht. Ich wusste nicht, was ich da soll. Denn ich fühlte mich schon immer der Natur verbunden und nun saß ich plötzlich ständig drinnen."

Sarah Pruß und Cordelleo.
Sarah Pruß und Cordelleo. © Foto: Privat

Pruß spürte: Das ist nicht ihr Leben. "Die Verbindung zu meinem Pferd zu finden war mir wichtiger", erklärt sie. Und so brach sie ihr Studium ab, zog mit Cordelleo auf einen Pferdehof im Schwarzwald. "Das war eine wichtige Zeit für mich", sagt sie heute. "Ich habe dort gearbeitet, Seminare gegeben." Und endlich auch den Weg zu Cordelleo gefunden. "Ich habe damals entdeckt, dass wir uns mit den Tieren auch über die Atmung verbinden. Und das wollte ich versuchen." Sie schlief jede Nacht im Offenstall bei ihm. "Er kam dann und hat sich neben mich gelegt." Das war der Moment, in dem sie wusste: Das Vertrauen, das sie sich immer gewünscht hatte, ist da.

Eine Wanderschaft ohne Zeitlimit

Je tiefer ihre Beziehung wurde, umso mehr sehnte sich Sarah Pruß nach einer Lebensweise, die sie unabhängig macht – und wo sie in der Natur leben kann. "Und das hatte ich dort nicht", sagt sie. "Aber es musste eine Lösung geben, das wusste ich. Da ist mir das nomadische Leben eingefallen." Pruß lacht. "Ich wollte eigentlich mit einer Gruppe losziehen, aber ich habe niemanden gefunden. Also hab‘ ich gesagt: Okay Cordelleo, dann machen wir eben den ersten Schritt."

Ihr war dabei klar, dass es kein Urlaub werden sollte – sondern eine Wanderschaft ohne Zeitlimit. Am 2. März 2020 ging sie mit Cordelleo los. Ihr erstes Ziel: der Bodensee. "Aber es ging gleich richtig böse los, wir landeten in einem Schneesturm." Pruß schüttelt über sich selbst den Kopf. "Ich hatte damals eher so eine naive Vorstellung von der Wanderschaft. Aber ich hatte keine Erfahrung im Wanderreiten, wusste nichts über die Berge und wie man die Natur richtig einschätzt."

Am 2. März 2020 ging sie mit Cordelleo los.
Am 2. März 2020 ging sie mit Cordelleo los. © Foto: Privat

Wunschtraum Wanderschaft – und die harte Realität

Die ersten Tage ging es für sie vor allem um eins – ums Überleben. "Ich habe damals gedacht: Das habe ich mir ausgesucht, jetzt muss ich auch den Schnee aushalten." So zog sie immer weiter. "Ich habe in meinem ersten Jahr viel gelernt, bin oft an meine Grenzen gekommen." Zum Beispiel als ein Baumstamm quer über dem Weg lag. Sie selbst konnte darunter durch krabbeln, aber für Cordelleo war an dem Punkt Schluss. "Ich musste aber am Abend im Tal sein, damit ich dort einen Schlafplatz suchen konnte", erinnert sie sich. Also nahm sie ihre Handsäge und zerlegte den Baum. Nach vier Stunden ging es endlich weiter. "Das war so ein Moment, wo ich verstand: Auch wenn es erst einmal aussichtslos erscheint – es gibt eine Lösung."

Dieser Überlebenskampf hat ihr erstes Jahr bestimmt, sagt Pruß. Den ersten Winter verbrachte sie in der Sächsischen Schweiz, bei ihrem Freund Alexander. Doch kaum kam der Frühling, zog sie weiter. "Wenn im März morgens die Vögel singen, dann zieht es mich weiter", sagt Pruß. Diesmal ging es Richtung Norden. Wo sie schlief? "In einem Zelt, im Wald", sagt sie. Cordelleo trug das Gepäck, auch ein transportabler Pferdezaun war dabei. Das Geld, das sie brauchte, bekam sie durch Spenden. "Ich selbst brauchte ganz wenig. Das meiste Geld ging für die Tiere drauf", sagt sie.

Begleitung für Wallach Cordelleo gesucht

Wenn sie einen Pferdehof sah, fragte sie nach, ob sie dort schlafen kann. In Schwaben landete sie auf einem Ziegenhof. "Da regnete es ziemlich und ich wollte dort nur die nächste Regenpause abwarten", erinnert sich Pruß. Doch die Ziegen brachten sie auf eine Idee. "Ich suchte damals eine Begleitung für Cordelleo. Er war noch nervös und hat manchmal von O auf 100 auf Angst umgeschaltet", so Pruß. "Ein zweites Pferd habe ich mir da aber noch nicht zugetraut. Auf dem Hof dachte ich: Vielleicht würde eine Ziege passen…"

Eine Ziege begleitet Sarah und Cordello.
Eine Ziege begleitet Sarah und Cordello. © Foto: Privat

Sie sprach mit den Besitzern des Hofes. "Sie fanden die Idee gut. Und sagten mir, dass sie in den nächsten Tagen ein paar Tiere schlachten würden. Ich könnte mir doch ein Zicklein davon aussuchen." Doch konnte sie in wenigen Tagen eine junge Ziege zähmen? Versuchen wollte sie es. "Ich habe nachts neben ihr geschlafen. Nach drei Nächten war ich ihre Herde und sie lief sofort hinter mir her." So nahm sie Alisha mit. "Ich wusste nicht, ob es wirklich klappt. Aber ich beruhigte mich und sagte mir: Jeden Tag, den sie mehr lebt, ist ein Geschenk…"

Ziege Alisha schläft nachts auf dem Kopfkissen

Und so ging es weiter mit Cordelleo und Alisha. "Sie hat nachts bei mir im Schlafsack auf dem Kopfkissen geschlafen. Und wenn sie Angst hatte, hat sie sich unter meinem Rock versteckt." Alisha gab ihr damals Nähe. Und die brauchte Pruß. "Das zweite Jahr war geprägt von einem Gefühl der Einsamkeit", gibt sie ehrlich zu. Zwar traf sie viele Menschen, aber "die wollten alle nur wissen, wie toll ich alles mache. Dabei fragte ich mich, wie mein Leben weiter gehen soll." Doch auch wenn sie die Einsamkeit manchmal zerriss – sie spürte, dass sie noch nicht angekommen war. Und so wanderte sie weiter.

Im Winter tankte sie bei ihrem Freund neue Kraft und Zuversicht. Und beschloss, weiter zu wandern – in ihre alte Heimat. Auf einem Hof nahe Hamburg blieb sie länger als geplant. "Bei Ilka habe ich viel gelernt. Sie holt Pferde aus Spanien, die schlechte Erfahrungen gemacht haben. Bei ihr lernen sie den Menschen zu vertrauen. Bei ihr habe ich mitgearbeitet – gegen Reitunterricht." Dass dort ihre kleine Herde noch weiter wachsen würde, hätte sie nicht geahnt.

Alisha schläft bei Sarah.
Alisha schläft bei Sarah. © Foto: Privat

Cataluna sorgt für den schönsten Moment der Wanderung

"Es kamen zwei Einjährige an und Ilka hat mich zu ihnen in die Halle geschickt. Da sah ich Cataluna. Sie ließ sich nicht anfassen, hat mich aber die ganze Zeit angeguckt. Und ich habe mich auch total in sie verliebt." Doch könnte sie Cataluna auf ihre Wanderschaft mitnehmen? "Ilka fand die Idee sehr gut. Sie sagte, dass wäre für die ängstliche Stute die Chance." Und so legte sich Pruß in der nächsten Nacht zum Schlafen zu Cataluna. "Ich habe eine Woche vor ihrer Box geschlafen. Erst danach konnte ich in der Box übernachten", so Pruß. "So hat sie sich an mich gewöhnt. Der Zauber der Nacht macht so viel…"

Cataluna schenkte ihr auch den schönsten Moment auf ihrer Wanderschaft: "Ich schlief auf der Weide im Schlafsack und bin aufgewacht, weil ihr Kopf auf meiner Brust lag. Vier Stunden haben wir so zusammen gelegen, das war ein großer Glücksmoment." Doch sie erlebte auch akute Angst um ihre Tiere. "Ich hatte meine Pferde beim Kloster Heiligenkreuz untergebracht. Erst standen sie auf der vorderen Weide, auf der hinteren Weide waren Schafe untergebracht." Dann sollte getauscht werden. "Ich dachte, dass die Pferde auch auf der hinteren Weide sicher sind. Aber das waren sie nicht…"

"Die Angst war schrecklich"

Denn: Auf der Seite der Bundesstraße gab es zwar dichtes Gebüsch – aber keinen Zaun. "Die Schafe akzeptierten das Gebüsch als Grenze. Die Pferde waren aber neugieriger – und dann plötzlich weg." Die Pferde galoppierten über die Bundesstraße, verschwanden in einem Industriegebiet. "Die Angst war schrecklich. Ich hatte Angst um die Pferde – und davor, dass sie durch ihren Ausbruch Menschen verletzten würden."

Sarah hatte auch Angst um ihre Tiere.
Sarah hatte auch Angst um ihre Tiere. © Foto: Privat

Zum Glück hatte der "Ausflug" ein Happy End. Und Pruß denkt viel lieber an die schönen Momente zurück. Ihre Lieblingszeit? "Die blaue Stunde, wenn der Tag oder die Nacht noch nicht begonnen hat. Das ist eine magische Zeit." In dieser Zeit fühlt sie sich der Natur und ihren Tieren, zu denen mittlerweile auch Ziege Flora gehört, besonders verbunden.

"Ich habe immer noch Träume"

Den dritten Winter verbrachte Pruß mit ihren Tieren im Süden. Im Frühjahr wanderte sie wieder los, Richtung Dresden. Es war der letzte Teil ihrer Reise. "Ich wünsche mir jetzt einen festen Platz in der Natur", sagt sie. Mit ihren Tieren lebt sie jetzt bei Alexander, mit dem sie mittlerweile auch verheiratet ist. Und mit ihm startet sie in ein neues Abenteuer. "Wir erwarten ein Kind", sagt Pruß. Sie genießt es anzukommen. "Im September möchte ich eine Jurte aufbauen und mit den Tieren dann dort leben." Und sie will über ihre Wanderjahre ein Buch schreiben.

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Wie die Zeit sie verändert hat? "Die Wanderschaft hat mich geerdet", sagt Pruß. "Früher war ich eine Träumerin, die viele romantische Bilder hatte. Heute bin ich realistischer. Aber ich habe noch immer Träume. Sie gehören für mich zum Leben dazu. Wie meine Tiere…"  © Pferde.de

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