Italienische und britische Forscher bewiesen jetzt, dass Herz und Gehirn beim Pferd zusammenhängen. Das hat Folgen: Guckt ein Pferd sich etwas Unbekanntes mit dem linken Auge an, reagieren die Herzströme – ein Zeichen für Stress und Emotionen.

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Reiter kennen es: Sieht Dein Pferd zum Beispiel in der Halle auf der rechten Seite einen Stuhl, der sonst nie da steht, kann es sich schon mal erschrecken. Dann akzeptiert es, dass der Stuhl harmlos ist und geht ohne Zögern an ihm vorbei. Aber kaum wechselst Du die Hand, scheut es wieder. Für Dich völlig unverständlich – für Dein Pferd aber total normal. Denn: Bei dem Pferd sieht, einfach gesagt, jedes Auge für sich selbst. Und jedes Auge hat seine eigene Gehirnhälfte: Das linke Pferdeauge ist mit der rechten Gehirnhälfte verbunden, das rechte Pferdeauge mit der linken Gehirnhälfte. Das Problem: Die beiden Gehirnhälften kommunizieren nicht immer perfekt miteinander. Das heißt: Die zuständige Gehirnhälfte gibt die Information "Gegenstand auf der rechten Seite ist harmlos" nicht an die andere Hälfte weiter.

Aber wie ist es, wenn Pferde wählen können, mit welchem Auge sie etwas ansehen? Dann betrachten einige Pferde neue Dinge mit ihrem rechten Auge, andere mit ihrem linken Auge. Doch was hat das für Folgen? Dieser Frage gingen italienische und britische Forscher auf den Grund. Das Ergebnis: Je nachdem, mit welchem Auge hingesehen wird, reagiert das Herz. Das, so die Forscher, wirft die interessante Frage auf, ob damit auch bestimmte Emotionen verbunden sind.

Denn: Die beiden Gehirnhälften weisen wichtige funktionelle Unterschiede auf, insbesondere bei den sensorischen Systemen, so Martina Felici von der Universität Pisa. Ihre Studie veröffentliche sie mit ihren Kollegen jetzt in der Fachzeitschrift "PLOS ONE". "Dieses Merkmal hat verhaltensbezogene und physiologische Konsequenzen und mögliche praktische Auswirkungen", so die Forscher.

Durch die Augen kann Stress erkannt werden

Die Aktivität der beiden Gehirnhälften kann je nach Situation, in der sich ein Tier befindet, unterschiedlich sein. Die linke Seite scheint an der Verarbeitung von Reizen beteiligt zu sein. Dagegen herrscht die rechte Seite bei der Reaktion auf Bedrohung, der Erkennung von Raubtieren, der Flucht und der Verarbeitung negativer Reize vor. "Daher scheint die rechte Gehirnhälfte zu dominieren, wenn eine starke Reaktion durch einen Reiz ausgelöst werden kann, der die Aufmerksamkeit des Tieres auf sich gezogen hat – zum Beispiel eine Stressreaktion."

Als Testobjekt wurde ein orangener Ball genutzt.
Als Testobjekt wurde ein orangener Ball genutzt. © Foto: unsplash.coM/Henry Chuy (Symbolfoto)

Die mögliche Folge: Die Augen – und die Neigung für eine bestimmte Seite – können nützlich sein, um Stress bei Haustieren auf nicht-invasive Weise zu erkennen. Deshalb wollten die Forscher mehr über das Zusammenspiel von Physiologie und Lateralisation (die Aufteilung von Prozessen auf die rechte und linke Gehirnhälfte) beim Pferd erfahren.

Sie versuchten, die Nutzung der Augen während eines standardisierten neuartigen Objekttests mit Veränderungen der Herzreaktion in Verbindung zu bringen. So testeten sie ihre Hypothese, dass eine emotionale Reaktion auf den Reiz mit der jeweiligen Augenseite zusammenhänge. Dafür verglichen sie die sogenannte Probenentropie jedes Pferdes, die aus Elektrokardiogrammen gewonnen wurde. Ein stärkerer Abfall der Probenentropie würde auf eine Störung der Schwankungen der Herzwellen hinweisen. Das heißt: auf eine stärkere emotionale beziehungsweise mit Stress verbundene physiologische Reaktion.

Ein orangefarbener Ballon als Testobjekt

Die Forscher sagten voraus, dass Pferde, die ihr linkes Auge (und damit die rechte Gehirnhälfte) benutzen, einen stärkeren Abfall der Probenentropie aufweisen würden. Das würde auf einen stärker gestressten oder aktivierten emotionalen Zustand hindeuten als Pferde, die hauptsächlich ihr rechtes Auge (und damit ihre linke Gehirnhälfte) benutzen.

Für die Studie wurden zwanzig Pferde, elf Stuten und neun Wallache, aus zwei Ställen als "Testpferde" eingesetzt. Bei dem Test standen sie in einer Box und plötzlich wurde dort ein orangefarbener Ballon aufgeblasen. Bei jedem Pferd wurden fünf Minuten Elektrokardiogramme aufgezeichnet. Mithilfe einer Videoanalyse wurde festgestellt, mit welchem Auge jedes der Pferde den Ballon betrachtete.

Links oder rechts? 40 Prozent haben kein "Lieblingsauge"

Das Ergebnis: Pferde, die den Ballon länger mit dem linken Auge und somit mit der rechten Gehirnhälfte betrachteten, hatten eine stärkere Verringerung der Probenentropie – also eine deutliche physiologische Reaktion. Pferde, die den Ballon mit dem rechten Auge betrachten, zeigten dagegen keine Veränderung der Probenentropie.

Die Forscher sagen, dass diese Ergebnisse ihre Hypothese stützen. Denn: Die Pferde, die ihr linkes Auge bevorzugten, um den Ballon zu sehen, neigten dazu, ihre rechte Gehirnhälfte mehr zu benutzen. Und das könnte bei emotionalen Reaktionen Vorrang haben. "Pferde mit dominantem linkem Auge haben möglicherweise eine höhere Wahrscheinlichkeit, Angst oder Stress zu empfinden, weil die rechte Gehirnhälfte den ungewohnten Reiz verarbeitet", so die Forscher. "Diese Ergebnisse könnten dazu beitragen, die bei Pferden beobachteten Unterschiede in der Lateralisierung zu erklären", so das Team.

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Die meisten Pferde zogen es vor, den Reiz bevorzugt mit dem einen oder anderen Auge zu untersuchen, stellten sie fest. Die Richtung dieser Präferenzen war bei allen Pferden nicht gleich – und 40 Prozent der Pferde zeigten auch keine klare Präferenz. "Unseres Wissens nach ist unsere Studie die erste, die ein mögliches Herz-Hirn-Zusammenspiel während einer emotionalen Reaktion bei Pferden findet", so das Team. Weiter Forschungen seien wünschenswert.  © Pferde.de

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