Seit vier Wochen hofft Anne Saß aus Mecklenburg-Vorpommern auf ein Lebenszeichen ihrer Stute Lenke. Doch bislang gibt es nur Hinweise – und viele Fragezeichen. pferde.de sprach mit der 38-Jährigen über ihre verzweifelte Suche.

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Als Anne Saß aus Bad Doberan von Lenkes Schicksal erfuhr, war ihr sofort klar: Sie wollte der Stute helfen. "Meine Freundin hatte die Stute aus Ungarn gekauft. Dann hatte sie mit ihr einen heftigen Unfall und Lenke sollte eigentlich zum Schlachter. Aber ich war sicher, dass sie eine Chance verdient hat."

Pferde hatten schon immer einen hohen Stellenwert in Saß‘ Leben, mit neun Jahren bekam sie ihr erstes Pony. Und so zögerte sie auch bei Lenke nicht lange und kaufte der Freundin die Stute ab. "Am Anfang war es nicht leicht", erinnert sie sich. "Lenke war sehr misstrauisch, hat wohl einiges in ihrem Leben erlebt. Ich habe ihr viel Zeit gelassen, ihr gezeigt, dass ich ganz ohne Forderungen bei ihr bin. So sind wir zusammengewachsen."

Alles schien perfekt – bis Saß im vergangenen Jahr einen Kreuzbandriss erlitt. "Da ich keinen Führerschein habe, konnte ich nicht mehr täglich zu Lenke. Ich wollte aber, dass es ihr gut geht."

Ein Bekannter nimmt Lenke auf seine Weide
Ein Bekannter nimmt Lenke auf seine Weide © Foto: Privat

"Ich dachte, ich hätte den Hauptgewinn…"

Die Lösung: "Ein Bekannter bot mir an, sie auf seine Weide zu nehmen. Er hat zwei Ponys und Lenke könnte bei ihm bleiben." Sie überlegt kurz. "Ich dachte, dass Lenke dort den Sommer verbringen kann." Sie lacht kurz auf. "Ich dachte wirklich, ich hätte den Hauptgewinn. Mein Bekannter wollte nicht einmal Geld haben. Ein Pferd mehr würde ja nicht auffallen, meine er…"

Heute kann sie darüber nur den Kopf schütteln. "Ich war zu gutgläubig", sagt sie. Doch damals schien es die ideale Lösung. Auch, als sie nicht so schnell wieder fit wurde, wie gehofft. "Lenke blieb auch im Herbst bei ihm und als es kälter wurde, hat er sie mit auf den Hof genommen. ‚Mach Dir keine Gedanken‘, hat er immer zu mir gesagt." Im Winter wollte sie Lenke dann holen. "Aber an dem Tag fiel so viel Schnee, dass wir nicht fahren konnten. Und mein Bekannter sagte: ‚Lenke kann gerne den ganzen Winter bei mir bleiben‘."

"Ich sagte, dass ich Lenke nicht verkaufen will!"

Auch als er Saß später fragte, ob sie Lenke nicht verkaufen wolle, machte sie sich noch keine Gedanken. "Er meinte, ich käme sowieso nicht wieder aufs Pferd", so Saß. "Doch ich sagte, dass ich sie nicht verkaufen will." Als dann plötzlich bei ihr jemand anrief, der Lenke kaufen wollte, war sie überrascht. "Es gab eine Verkaufsanzeige im Internet. Ich habe dann noch einmal mit meinem Bekannten gesprochen und ihm gesagt, dass ich Lenke auf keinen Fall verkaufen möchte." Saß überlegt kurz. "Ich dachte, er hätte es nur gut gemeint und nun verstanden."

Anne Saß möchte Lenke nicht verkaufen
Anne Saß möchte Lenke nicht verkaufen © Foto: Privat

Bis sie Anfang Juli einen Brief im Briefkasten fand. "Es war ein Überlassungsvertrag für Lenke, den ich unterschreiben sollte", sagt sie. "Daraufhin habe ich ihn angerufen und ihm gesagt, dass ich Ende Juli Lenke abholen werde. Doch als ich kam, war Lenke nach seiner Aussage seit dem 25. Juli verschwunden. Mein Bekannter meinte, er wüsste auch nicht, wo sie ist…"

Verband stellte Ersatz-Pass für Lenke aus

Saß erstattete Anzeige bei der Polizei. Und war sofort überzeugt: "Er hat sie verkauft." Sie erfuhr, dass er beim Verband der Pferdezüchter Mecklenburg-Vorpommern e.V. einen Ersatz-Pass für Lenke beantragt und auch bekommen hatte. "In dem Pass steht ihre Chip-Nummer, aber ein falsches Alter. Danach ist sie 2010 geboren statt 2007." Dass der Verband den Ersatz-Pass ausgestellt hat, kann Saß nicht verstehen. "Er musste nicht einmal eine eidesstattliche Erklärung abgeben, dass er den Pass braucht", sagt sie.

pferde.de fragte bei dem Verband nach. Man könne "in dem laufenden Verfahren keine Auskünfte geben", so die Antwort. Und überhaupt: "Hier liegt ein Zivilstreit zwischen Halter und Eigentümer vor." Auf Nachfragen von pferde.de, welche grundsätzlichen rechtliche Voraussetzungen Stallbesitzer erfüllen müssen, damit sie vom Verband einen Ersatz-Pass bekommen, reagierten die Verantwortlichen gar nicht mehr.

Die Polizei ermittelt im "Fall Lenke"

Dass es für einen Ersatz-Pass durchaus hohe Anforderungen gibt, bestätigt dagegen die Deutsche Reiterliche Vereinigung (FN) gegenüber pferde.de So hätte die FN bei einem Pferd wie Lenke zuerst beim ungarischen Verband nachgefragt, ob überhaupt ein Ersatz-Pass ausgestellt werden darf. Denn: "Nur das Land, das den Original-Pass ausgestellt hat, kann auch einen Ersatz-Pass genehmigen." Wird als Grund für den Ersatz-Pass der Verlust des Originals angegeben, muss der Antragsteller eine eidesstattliche Versicherung abgeben. Und: Wenn ein Stallbetreiber sagt, dass er den Pass braucht, weil der Besitzer sich nicht ums Pferd kümmert und nicht zahlt, muss er einen Vertrag mit Pfandrecht vorlegen…

Lenke wurde beim Verband und bei der FN gesperrt
Lenke wurde beim Verband und bei der FN gesperrt © Screenshot: Privat

Das alles aber gab es Saß zufolge nicht. Sie hat den Original-Pass von Lenke und den Kaufvertrag. Alles habe sie dem Verband der Pferdezüchter Mecklenburg-Vorpommern e.V. geschickt. Dazu habe sie Lenke beim Verband und bei der FN gesperrt, so dass der rechtlich geforderte Besitzerwechsel innerhalb von vier Wochen nicht vollzogen werden kann. Und sie hat alle Unterlagen bei der Polizei vorgezeigt. Die Ermittlungen laufen noch, bestätigt die Polizei gegenüber pferde.de.

"Ich möchte nur ein Lebenszeichen von ihr"

Mittlerweile gibt es neue Hinweise: eine Verkaufsanzeigen für Lenke im Internet. Auf einem der Bilder ist auch der Bekannte von Saß zu sehen. "Dazu hat sich eine Frau gemeldet, die am 24. Juli dort war und sich Lenke angesehen hat. Sie hat mit dem Bekannten von mir das Verkaufsgespräch geführt. Aber sie hat Lenke nicht gekauft, weil ihr das alles komisch vorgekommen ist", so Saß. Am 25. Juli, dem Tag von Lenkes Verschwinden, wurde dort laut einer anderen Zeugin ein Hängergespann gesehen.

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Für Saß sind das alles Zeichen dafür, dass Lenke wirklich verkauft wurde. Ihre große Bitte: "Wer Lenke vielleicht gutgläubig erworben hat: Bitte meldet Euch bei dem Verein "Equitrans e.V." oder natürlich bei der Polizeidienststelle Bad Doberan unter 03820 3560." Sie fragt auch, wer sich vielleicht ebenfalls auf die Anzeige gemeldet und Kontakt hatte. "Es gibt für alles Lösungen, wenn wir nur ein Lebenszeichen von Lenke bekommen."  © Pferde.de

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