Die Preise steigen und steigen: Die Inflation treibt immer mehr Menschen in die Pleite – und mit ihnen ihre Pferde. Die Folge: Beim Verein Komet e.V. klingelt ständig das Telefon. 118 Pferde hat der Verein aktuell in seiner Obhut. pferde.de sprach mit der zweiten Vorsitzenden Conny Zur Mühlen über die letzte Chance für Pferde und die Not der Helfer.
Wann sie den Pferdevirus bekam? Da muss Zur Mühlen mit dem Kopf schütteln. "Ich habe sie wohl schon immer geliebt", sagt sie lachend. "Als Kind gab es bei uns in der Nähe ein Rheinländer-Gestüt, da habe ich mich immer rumgetummelt." Doch Reiten stand selten auf dem Programm. "Wir hatten wenig Geld und Reiten war damals noch ein Sport für die Reichen. Aber ich habe auf dem Hof schon richtig mitangepackt – da war ich acht", erinnert sie sich.
Dafür durfte sie dann die Pferde zur Weide reiten. "Für eine Minute auf dem Pferderücken bin ich 15 Kilometer hin – und wieder zurückgeradelt." Mit elf war sie fast nur noch im Stall. "Meine Eltern haben mich selten gesehen. Der Betreiber des Gestüts hatte 60 Zuchtstuten, ein bis zwei Hengste und die Fohlen. Es gab keine Mitarbeiter, nur seine vier Töchter und mich. Wir haben die ganze Arbeit gemacht. Aber es war eine superschöne Zeit", sagt Zur Mühlen.
Ihre ausschließliche Liebe wurde der Stute zum Verhängnis
Doch im Laufe der Jahre änderte sich die Situation. "Von seinen Töchtern stiegen drei aus, nur eine und ich sind geblieben. Und dann ging der Betreiber pleite und verschwand. Da standen seine Tochter und ich dann da." Nach und nach wurden die Pferde verkauft. "Das war schrecklich. Jeden Tag waren es ein paar weniger. Am Ende blieben sechs Pferde übrig."
Darunter auch eine Stute, um die sie sich besonders gekümmert hatte. "Ich habe mich schon damals vor allem um Pferde, die schwierig oder krank waren, gekümmert. Und diese Stute war sehr zickig, ging mit jedem durch – nur mit mir nicht." Zur Mühlen wird nachdenklich. "Damals fand ich das toll, dass sie alles nur für mich machte. Dass ihr genau diese ausschließliche Liebe zu mir einmal zum Verhängnis werden würde – das habe ich nicht geahnt."
Unreitbar? Diese Pferde finden selten einen neuen Stall
Dann kam der Tag, an dem auch die letzten sechs Pferde nicht mehr auf dem Hof waren. "Die Tochter erzählte mir, dass ein Händler sie gekauft hat. Später erzählte sie mir, ein Arzt-Ehepaar hätte die Stute gekauft und es ginge ihr gut. Ich habe ihr das zuerst geglaubt. Ich wollte wohl einfach, dass es ‚meiner’ Stute gut geht." Später wurde ihr klar, dass der Weg für Pferde, die als unreitbar gelten, selten in einen neuen Stall führt und stattdessen der Schlachter auf sie wartet.
"Danach wollte ich erst einmal nichts mehr mit Pferden zu tun haben", erinnert sich Zur Mühlen. Doch so ganz konnte sie Pferde nicht aus ihrem Herzen streichen. "Ich habe aus der Ferne ein Tierschutzprojekt für Pferde gesehen und gedacht: 'Wenn ich mal Zeit habe, dann fahre ich da hin.' Naja – und dann hatte ich Zeit. Das war toll, aber ich habe auch festgestellt, dass ich andere Vorstellungen von Tierschutz für Pferde habe."
Viele Pferde sind alt – und heruntergehungert
Ihr Glück: Bei dem Projekt lernt sie Wiebke Hoffmann kennen. Sie ist heute die erste Vorsitzende des Vereins. "Wir waren einer Meinung – und haben gesagt, dann machen wir es eben selbst. 2004 haben wir den Verein KoMeT e.V. gegründet." Zur Mühlen erinnert sich: "Wir haben damals auch gleich eine Seite im Internet gehabt. Dadurch und durch Mund-zu-Mund-Propaganda wurden wir schnell bekannt und sind schnell gewachsen."
Dazu gab es schnell auch immer mehr Pferde, die bei ihnen landeten. "Wir haben ja kein Tierheim für Pferde, wo alle untergebracht werden. Wir haben in Köln unsere größte KoMeT-Pflegestelle, einen privaten Stall einer wunderbaren Kollegin, wo wir auch die heruntergekommensten Pferde erst einmal aufnehmen können. Hier werden sie dann erst einmal genau durchgecheckt", erklärt sie.
"Viele sind alt, haben zum Beispiel Arthrose, EMS oder Cushing, oft sind sie völlig verwurmt und abgewirtschaftet, heruntergehungert und haben viele Mitbewohner im Fell… Dazu haben viele schlechte Zähne, oft auch völlig vergammelte Hufe und selten haben sie einen Pass. Also werden sie bei uns geimpft, entwurmt, die Zähne werden gemacht, sie werden aufgepäppelt und bekommen einen Pass."
Alte Pferde sollen noch einmal Liebe spüren
Um wieder Plätze in der "Notaufnahme" freizustellen, geht es nach dem Aufpäppeln meist weiter in eine der Dauer-Pflegestellen des Vereins. "Das sind meist kleine Privatställe, wo die Stallbesitzer anbieten, dass sie ein oder zwei Rentnerpferde aufnehmen und für uns mitversorgen können. Die Pferde bleiben Eigentum des Vereins, wir zahlen die Kosten vor allem für Tierarzt, Hufschmied und Futter wie Heucobs", sagt die Pferdenarrin und führt fort: "Mit etwas Glück übernimmt die Pflegestelle neben der ehrenamtlichen Versorgung auch die Kosten für Einstreu und Heu oder stellt dies zumindest für Selbstkosten zur Verfügung. Oder es sind Menschen, die für ihr eigenes Pferd ein Beistell-Pferd suchen. In den Pflegestellen werden die Pferde weiter gut versorgt und gepäppelt und vor allem auch geliebt."
Genau das haben die Pferde verdient, so Zur Mühlen: "Unser Ziel ist es, den alten, verdienten Pferden eine Chance zu geben, dass sie zum Ende ihres Lebens die vielleicht sogar allerschönste Zeit erleben." Denn nur zu oft werden die Pferde einfach abgeschoben. "Manchmal rufen uns Leute an, weil sie sich um ihr altes Pferd angeblich nicht mehr kümmern können. Und kaum haben wir es abgeholt, haben sie ein neues im Stall stehen…"
Jeden Tag klingelt mehrfach das Telefon
Und noch etwas ärgert sie. "Es gibt immer wieder Menschen, die sich einfach keine Gedanken machen, was es bedeutet, ein Pferd zu haben. Eine Frau war in der Ausbildung, will mit ihrem Partner eine Familie gründen – und kauft sich ein 25-jähriges Pferd. Es wurde ihr als Reitpferd verkauft, hatte aber einen schlimmen Senkrücken und Cushing. Dann kommt das Kind – und das Pferd fällt hintenüber." Dafür klingelt bei ihr das Telefon.
Rund 700 Pferde hat der Verein seit seiner Gründung übernommen. Im Schnitt sind sie zwischen 22 und 25 Jahre alt, sagt die zweite Vorsitzende. "Dazu retten wir jedes Jahr auch ein paar Schlachtfohlen, die wir dann in gute Hände verkaufen." Die meisten Pferde kommen zwischen Dezember und Februar zum Verein. "Aber so schlimm wie jetzt war es noch nie. Die Menschen haben kein Geld mehr – und jeden Tag klingelt mehrfach unser Telefon." Zu sehen ist das auch in diesem WDR-Beitrag.
Zwei Pferde-Opas sollen zusammenbleiben
Darunter sind Schicksale, die sie sehr berühren – wie das von Contino, ein 28-jähriger Wallach und seinem tierischen Kumpel Lanthano. "Sein Besitzer erzählte mir mit einem dicken Schlucken in der Stimme, dass er seinen Rappen schon als drei Monate junges Fohlen beim Züchter damals kennengelernt hat und sich sofort verliebt hatte", so Zur Mühlen. Ein paar Jahre später holte sich der Mann dann noch einen Fuchs dazu. "Die beiden Wallache wurden beste Freunde."
Für ihren Besitzer waren sie mehr als Partner auf vier Hufen – sie waren Familie. Als er vor fast 15 Jahren einen Reitunfall hatte und danach nicht mehr reiten konnte, stand für ihn fest: Contino und Lanthano bleiben bei ihm. "Es gab für beide Pferde bereits je eine feste Reitbeteiligung, diese haben die Pferde weiter bewegt und sich gekümmert. Der Besitzer hat weiterhin die Kosten getragen. Seine Freunde verkaufen – das kam nicht infrage für ihn."
Plötzlich ist kein Geld für die Pferde da
Vor zwei Jahren hatte Contino Sehnenprobleme und der Tierarzt riet damals zur Einschläferung. "Doch der Besitzer wollte für seinen alten Freund kämpfen. Er fuhr mit ihm in die Klinik und siehe da: nach einigen Tagen Behandlung vor Ort – und einer dicken Rechnung – ging es dem großen sanften Rappen besser." Er konnte wieder nach Hause! "Dort wurde er von seinem Kumpel Lanthano schon schmerzlich vermisst."
Inzwischen sind die "Jungs" fast 28 und 25 Jahre alt. Noch rüstig, aber schon eine Weile nicht mehr reitbar. Trotzdem sind die ehemaligen Reitbeteiligungen für sie da, kommen täglich zum Kuscheln, Putzen und Spazierengehen vorbei. "Der Plan war, den Pferden diese Zweisamkeit bis ans Ende ihrer Leben zu ermöglichen", berichtet Zur Mühlen. "Doch von einem auf den anderen Tag hat sich die finanzielle Grundlage des Besitzers entscheidend verändert. Es wird viel Geld für einen Krankheitsfall in der Familie dringend benötigt."
Sie sollen weiter Seite an Seite futtern können
Die Pferde jetzt im Stich lassen? "Der Besitzer ist einfach verzweifelt und wir können seine Panik gut verstehen! Er hat die Pferde weit mehr als 20 Jahre getragen, immer zu ihnen gestanden, er hat Contino schon ein zweites Leben geschenkt. Jetzt braucht er jemanden, der hilft." Und ein bisschen Glück gab es schon: Die Pflegebeteiligung von Lanthano übernimmt den Fuchs. "Er kann weiter in dem gewohnten Stall leben." Doch Contino braucht noch seine Chance. "Seine Pflegerin ist in Rente und kann die Kosten für ein altes Pferd nicht tragen. Deshalb suchen wir Paten – damit Contino und Lanthano weiterhin Seite an Seite aus einem Topf futtern können."
Aber nicht nur die beiden Wallache sind Neuzugänge für den Verein. "Wir haben auch zwei Quarter Horses übernommen, 27 und 28 Jahre alt", sagt die Pferdeliebhaberin. Ihr Besitzer sei schwerkrank, seine Frau kümmere sich um ihn und hat versucht, die Pferde auch zu versorgen. Aber jetzt sei sie selbst alt und schaffe es nicht mehr. So kam das Duo zum Verein. "Ein Bein der Stute war von oben bis unten offen und vereitert. Sie ließ uns nicht ran vor lauter Schmerzen. Also mussten wir sie in den ersten Wochen für die Behandlungen sedieren, um das Bein zu versorgen. Inzwischen geht es ihr besser", sagt Zur Mühlen.
Der Verein macht kleine Wunder wahr
Selbst kleine Wunder schafft der Verein: "Ein 90-Jähriger rief an, weil er sich schweren Herzens von seinen beiden alten Haflingern trennen musste. Er konnte sich nicht mehr um sie kümmern. Das Problem: Nimbus, 31 Jahre alt, ist ein Hengst. Dazu sollten beide gemeinsam einen Platz finden." Andere hätten da den Kopf geschüttelt. "Aber wir haben uns getraut – und eine Pflegestelle für die beiden gefunden und so wurden auch die beiden alten Herren noch KoMeTen!", freut sich die Vereinsgründerin.
Wie es weitergeht? Zur Mühlen zuckt die Schultern. "Natürlich haben wir auch Ängste. Wir müssen ja selbst für alles immer mehr zahlen. Für einen Sack Müsli, der vor einem Jahr noch 13 Euro gekostet hat, zahlen wir jetzt 20 Euro." Der Verein lebt von Spenden, aktuell muss er an seine Rücklagen. "Leider sind uns im letzten Jahr auch Paten abgesprungen, die jeden Monat 5 oder 10 Euro oder sogar mehr gespendet haben. Jetzt haben wir große Angst, dass noch mehr abspringen könnten. Wir können jedoch morgen nur wieder dem nächsten Notfall helfen, wenn wir Unterstützer finden – ohne Spenden geht sonst gar nichts mehr." Und die Pferde, sagt sie, brauchen Hilfe: "Sie haben uns Menschen so viel gegeben, sind so, so dankbar. Da haben sie es doch verdient, dass sie in ihren letzten Jahren noch sanfte Hände spüren, gutes Futter genießen dürfen und auch in ihrem letzten Moment eine liebe Stimme im Ohr haben." © Pferde.de
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