"Das Schlimmste ist das Gefühl, dass es kein Ablaufdatum für die Coronakrise gibt", meint Anouk. Sie arbeitet als Ausstattungsassistentin beim Film. Vor drei Wochen hat sie aufgrund der aktuellen Lage die Kündigung erhalten, wann sie wieder einen Job bekommt, ist derzeit völlig unklar. Eine positive Nachricht gibt es für sie dennoch.
Die Coronakrise trifft viele Menschen nicht nur gesundheitlich, sondern stellt sie auch beruflich vor ganz neue Herausforderungen. Manche stehen vor dem Nichts, andere haben die Möglichkeit, die Krise auch als Chance für etwas Neues zu nutzen. Wir haben die Geschichten unterschiedlicher Menschen gesammelt und präsentieren sie Ihnen an dieser Stelle als Artikelserie - alle Berichte im Überblick finden Sie hier.
Gerade jetzt, wenn man zu Hause bleiben soll und wenig unternehmen kann, sind Filme und Serien eine gute Abwechslung, um sich abzulenken und zu unterhalten. Einfach per Knopfdruck in eine Geschichte oder fremde Welt eintauchen. Das ist das Verdienst von zahlreichen Filmschaffenden, wie auch Anouk S. aus München. Sie arbeitet als Ausstattungsassistentin, dekoriert und baut Sets für Film- und Fernsehproduktionen. Auch ihr Freund ist in der Filmbranche tätig.
Die Coronakrise hat beide getroffen: Die Produktionen wurden bis auf Weiteres eingestellt, beide haben keine Aufträge mehr. Das bedeutet vor allem, dass sie momentan kein Geld verdienen. Ein Gedanke beschäftigt Anouk S. besonders: "Es ist überhaupt nicht absehbar, wann wieder produziert wird und die Coronakrise vorbei ist. Normalerweise entscheide ich selbst, wann ich den nächsten Job antrete, jetzt kann ich das überhaupt nicht beeinflussen."
Coronakrise: Erst wurden noch Scherze gemacht
"Die Produktion für den Kinofilm hat im Februar begonnen. Auch zu dem Zeitpunkt war Corona schon ein Thema, aber noch lange nicht so präsent wie jetzt", erinnert sich Anouk S.
"Wir haben noch Scherze darüber gemacht, ob wir überhaupt drehen werden. Wirklich ernst gemeint waren sie alle nicht. Die Produktionsfirma hat schon am Anfang eine Mail herumgeschickt mit Verhaltensregeln, das klang aber noch harmlos und vor allem machbar. Wir hätten alle nie gedacht, dass die Produktion unterbrochen wird.
"Bis zu dem Freitag, als die Schulschließungen bekannt gegeben wurden, haben wir normal gearbeitet. Dann hat sich die Stimmung gedreht und es ging sehr schnell. An diesem Freitag erhielten wir erneut einige Mails zum Verhaltenskodex und der Drehplan wurde umdisponiert, schließlich hätten wir in einer Schule und in einem Altersheim Szenen aufgenommen.
"Sonntag bekamen wir die Anweisung, vorerst im Homeoffice zu bleiben. Als Ausstattungsassistentin war das zu dem Zeitpunkt gar nicht möglich, wir hätten vor Ort am Set weiterbauen müssen. Kurz darauf war klar: Der Dreh wird unterbrochen. Die Produktionsfirma hat uns darauf vorbereitet, dass sie uns kündigen muss, trotzdem war es ein bedrückendes Gefühl.
"Wir waren kurz vor Drehbeginn, ein Zeitpunkt, an dem es einem richtig in den Fingern kribbelt. Die Vorbereitungen sind abgeschlossen und man möchte unbedingt loslegen. Ich hatte riesige Lust auf dieses Projekt und ein tolles Team um mich herum. Wenn man dann die Kündigung bekommt, ist die Enttäuschung sehr groß."
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"Vielleicht bin ich einen Monat arbeitslos, vielleicht aber auch ein Jahr"
Seit besagtem Wochenende ist Anouk S. zu Hause, bis vier Wochen nach der Kündigung bekommt sie noch ihr Gehalt. Dann muss sie sich beim Arbeitsamt melden und Arbeitslosengeld beantragen. So "einfach" ist es aber nicht für alle in der Branche.
"Ich weiß, dass es andere härter getroffen hat", meint Anouk. "Da ich immer projektbezogen angestellt bin, bekomme ich wenigstens sofort finanzielle Hilfe vom Staat. Außerdem ist man sich einer gewissen Unsicherheit in der Branche bewusst, man legt also immer ein wenig Geld zur Seite. Auf eine so große Krise hat sich aber wohl kaum jemand vorbereitet.
"Noch bin ich relativ ruhig. Das liegt einerseits daran, dass es im regulären Drehbetrieb nicht ungewöhnlich ist, dass es zu einer Pause von ein bis zwei Monaten zwischen zwei Engagements kommt. Andererseits hoffe ich sehr, dass der aktuelle Zustand nicht länger als zwei Monate andauert. Immerhin wollen die Produktionsfirmen so schnell wie möglich wieder Filme auf die Leinwand und ins Fernsehen bringen. Das heißt, sobald Dreharbeiten wieder möglich sind, wird es auch wieder Jobs geben.
"Normalerweise wird in den Wintermonaten weniger produziert, nach der Drehpause ist es dieses Jahr vielleicht anders und es gibt dann auch in den Wintermonaten mehr Jobs. Aber das ist momentan natürlich nur eine Annahme und Hoffnung von mir.
"Das ist das Unangenehme daran: Man kann einfach nicht absehen, wann sich die Situation ändert. Vielleicht bin ich einen Monat arbeitslos, vielleicht aber auch ein Jahr. Bei letzterem Szenario habe ich ein großes Problem. Dann wird man sich auch nach anderen Jobs umschauen müssen – ob man will oder nicht."
"Ich liebe meinen Job, aber er ist nicht systemrelevant"
Der Ausnahmezustand aufgrund des Coronavirus bedeutet eine finanzielle Lücke. "Fast alle Freischaffenden sind sich bewusst, wie schnell es zu einem Ausfall kommen kann. Viele haben bereits ein zweites Standbein, das sie absichert. Ich persönlich habe mir vor der Krise noch wenige Gedanken darüber gemacht, jetzt ist mir das Thema sehr viel bewusster geworden.
"Ich liebe meinen Job, aber er ist nicht systemrelevant, wie man so schön sagt, und ich habe jetzt selbst erfahren, wie schnell man gekündigt werden kann. Gerade wenn man in die Zukunft schaut, vielleicht eine Familie gründen möchte, dann muss man eine verlässliche Einkommensquelle haben."
Ihre Jobwahl bereut sie auch in der Krise nicht. "Aber plötzlich widmet man anderen Gedanken noch mehr Aufmerksamkeit, schaut vielleicht mit einem etwas wachsameren Blick in die Zukunft."
Aktualisierung: Die Firma entscheidet sich um
Drei Wochen, nachdem Anouk S. ihre Kündigung erhalten hat, gibt es gute Nachrichten: Die Produktionsfirma zieht die Kündigung zurück und bietet den Beschäftigten Kurzarbeit an – obwohl der Drehstopp bestehen bleibt und fast keiner daher weiterarbeiten kann.
"Die Firma hat mit den Kündigungen wohl etwas voreilig gehandelt und jetzt einen Weg gefunden, wie sie den Mitarbeitern sehr entgegenkommen kann." Anouk S. bekommt nun bis zum regulären Ende ihrer Vertragslaufzeit ein Gehalt - wie es danach weiter geht, ist weiterhin unklar.
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