- Kinder und Jugendliche bewegen sich seit der Coronakrise deutlich weniger.
- Felix Neureuther hält das für höchst alarmierend - und will Familien und Kinder zum Sport motivieren.
- Dabei setzt der Ex-Skirennläufer auf ein besonderes Konzept.
Es ist eine wahre Brandrede kürzlich in der "ARD-Sportschau" gewesen, die entsprechend für Aufsehen sorgte: Felix Neureuther machte seiner Wut über die Corona-Regelungen zum Vereinssport gehörig Luft und forderte mit Nachdruck: "Wir müssen es schaffen, dass wir die Kinder wieder mehr in die Bewegung bringen." Es ist sein Herzensthema: Seit Jahren verfolgt der Ex-Skirennläufer mit dem Projekt "Beweg dich schlau!" das Ziel, Kindern die Freude an Bewegung zu vermitteln – wobei der Schwerpunkt auf der Verknüpfung von Denken und Bewegung liegt.
Im Interview mit unserer Redaktion erklärt er, wie er mit gezielten Übungen Kindern den Sport spielerisch näher bringt und was Eltern tun können.
Herr Neureuther, Sie beklagen schon seit Jahren den Bewegungsmangel bei Kindern – und nun: Corona schickt den Vereinssport in eine tiefe Krise, Millionen von Kindern sind betroffen. Was richtet das aus Ihrer Sicht an und was müsste getan werden?
Diesen krassen Entwicklungen müssen wir durch coole Konzepte entgegenwirken. Gerade wir Sportler müssen die Kinder motivieren und als Vorbilder zum Träumen und Nacheifern bringen. Mit meinen Projekten, wie "Beweg dich schlau!" möchte ich meinen Beitrag dazu leisten.
Ihre Tochter Matilda ist drei Jahre alt – wie viel bewegt sie sich am Tag? Und wie viel Bildschirm?
Matilda ist ständig in Bewegung. Sie ist ein wahres Energiebündel und hat einfach Spaß am Toben, Klettern und Rennen. Ich glaub das hat sie von mir, ich war als Kind genauso und bin es immer noch. Meine Frau und ich ermutigen sie aber auch dazu und da wir uns selbst viel und gerne bewegen, leben wir ihr das auch vor. Natürlich gibt es auch Bildschirmzeiten, die aber ganz gezielt abgestimmt sind, zum Beispiel Tierfilme und mit uns automatisch Sportübertragungen. Ansonsten versuchen wir keinen unkontrollierten TV-Konsum zu ermöglichen.
Was würden Sie Eltern in der derzeitigen Situation raten?
Seid's kreativ und verbringt's möglichst viel Zeit mit euren Kindern draußen in die Natur. Mir ist klar, dass nicht jeder so ein tolles Naturparadies wie Garmisch-Partenkirchen vor der Haustüre hat, aber auch im nahegelegenen Wald oder Stadtpark können die Kinder toben, Pfade erkunden oder mit euch auf Schnitzeljagd gehen. Versucht's auch bei schlechtem Wetter die Kinder mit kreativen Ideen zu fördern und stellts klare Regeln auf, wie viel Zeit vorm Fernseher oder Tablet okay sind. Gerne schauts auf meiner Beweg-dich-schlau!-Homepage nach und nutzt meine Videos, um euch zu inspirieren und mit euren Kindern auszuprobieren.
Mit dem Projekt "Beweg dich schlau!" (kurz: BDS) machen Sie sich für körperliche Bewegung von Kindern stark und haben auch Bücher zum Thema geschrieben. Haben ihre Eltern dabei eine Rolle gespielt, dass dieses Thema solch eine Herzensangelegenheit für Sie wurde?
Ich war schon immer wahnsinnig aktiv und konnte nie still sitzen - schon als kleiner Bub. Meinen Eltern habe ich es zu verdanken, dass sie mir von klein auf den Spaß an der Bewegung vermittelt und mich immer gefördert haben. Mit einfachen spielerischen Bewegungsübungen und kreativen Ansätzen lassen sich Kinder schnell begeistern und gezielt fördern. Genau das will ich durch meine Stiftungsarbeit und meine Projekte möglichst vielen Kindern ermöglichen und sie bei ihrer gesunden Entwicklung unterstützen.
Sie haben Ihre eigene Stiftung ins Leben gerufen mit dem Ziel, Bewegung und Gesundheit bei Kindern und Jugendlichen zu fördern. Worum geht es Ihnen mit der Stiftungsarbeit genau und was kann man sich unter dem Projekt "Beweg dich schlau!" vorstellen?
Mit meiner Stiftung will ich einen aktiven Beitrag für eine gesündere Welt leisten und ein Bewusstsein für Bewegung, Natur und Menschlichkeit vermitteln. Das Herzensprojekt meiner Stiftung, "Beweg dich schlau!", ist ein in der Form einmaliges Trainings- und Aktionsangebot, das spielerische Bewegungsübungen umfasst, die Kopf und Körper gleichzeitig aktivieren.
Ich habe das Projekt 2014 gemeinsam mit der Technischen Universität München für Kinder im Grundschulalter entwickelt. Gerade erweitern wir die Umsetzung in Kindertagesstätten, um auch die ganz Kleinen mit spielerischen Ansätzen von Anfang an in Ihrer Entwicklung zu fördern.
Über Ihre Stiftung bieten Sie die Möglichkeit, Kinder mit speziellen BDS-Paketen zu fördern. Was genau beinhalten diese Pakete?
Zusammen mit der TU München und meinem Team habe ich Lösungen entwickelt, mit denen wir Kinder im Rahmen der Familie, in der Kita oder Schule und auch in der Freizeit gezielt fördern. Ob mit tollen Sport- und Spielgeräten oder einfachen alltäglichen Utensilien – für jede Situation gibt es passende kreative Übungen.
So soll jeder die Möglichkeit erhalten, von BDS zu profitieren, egal aus welcher sozialen Schicht oder in welcher Situation er oder sie gerade ist. Auch digitale Elemente haben wir integriert, um unabhängig von der aktuellen Situation und möglichen Einschränkungen zu sein.
Die Übungen von "Beweg dich schlau!" verknüpfen Bewegung mit Denken. Warum ist das so wichtig?
Durch gezielte Übungen, die Bewegung mit Gehirntraining verknüpfen, habe ich es während meiner aktiven Karriere geschafft, mich besser zu konzentrieren, war weniger gestresst und viel aufnahmefähiger. Und genau das will ich an die Kinder weitergeben: Schon durch kleine Übungen, die Gehirnaktivität und Bewegung verbinden, wird die geistige und körperliche Leistungsfähigkeit gefördert, das Konzentrationsvermögen verbessert, zusätzliche Denk- und Gedächtnisprozesse initiiert.
Mit "Beweg dich schlau!" will ich meine Erfahrungen und Erkenntnisse teilen, um Kinder zu mehr Sport zu animieren und ihre Lebensgewohnheiten sowie ihren Lebensstil auf spielerische Weise nachhaltig positiv zu beeinflussen.
Welche Rolle spielt die sogenannte Life-Kinetik im Profisport? Wächst die Bedeutung?
Meiner Meinung nach sollte sie eine viel größere Rolle spielen. Im Laufe meiner Karriere habe ich mit Elementen der Life-Kinetik trainiert, was mir im Wettkampf den ein oder anderen Vorteil verschafft hat. Aber nicht nur im Profisport bringt die Verknüpfung von Kopf und Körper extreme Vorteile. Mein Wunsch und Ziel ist es, diesen Ansatz schon in der frühen kindlichen Entwicklung aufzugreifen und bekannter zu machen.
Kleine Übungen wie auf einem Bein balancieren und gleichzeitig Zahlen in die Luft malen fördern die Kinder enorm und machen zudem richtig Spaß. Und genau das macht die BDS-Übungen so effektiv und nachhaltig.
Sie bemängeln, dass es im Profisport an Vorbildern für Kinder fehlt. Wie meinen Sie das genau?
Ich glaube, vielen Sportlern ist gar nicht bewusst, wie groß ihr Einfluss auf die Kinder ist und wie sehr sie durch ihr Verhalten die Kinder begeistern können, selbst den Hang runter zu düsen oder in der Fußballmannschaft aktiv zu werden.
Sie selbst düsten bei der WM in Cortina nicht mehr den Hang runter, es war Ihre erste WM als ARD-Experte. Wie fällt Ihr ganz persönliches Fazit aus?
Für den DSV war es mit vier Medaillen eine außergewöhnlich erfolgreiche WM. Das freut mich natürlich riesig. Was ich mir wünschen würde ist, dass wir die Rennen nachhaltiger gestalten und uns stärker auf die klassischen Disziplinen Abfahrt, Riesenslalom und Slalom, konzentrieren. Sport sollte in seiner Einfachheit begeistern.
Die Anzahl der Rennen gehört reduziert, genauso wie die Rennorte. Das würde den Aufwand für die Streckenpräparierung, die Reisetätigkeit und die Überbelastung der Athleten reduzieren. Gleichzeitig würde es aber mehr mediale Aufmerksamkeit und höhere Attraktivität bedeuten.
Wir sehen doch gerade bei der WM in Cortina, dass die Anzahl der Disziplinen unbedingt reduziert werden muss. Kombinationswettbewerbe und Parallelrennen haben dort nichts verloren und sollten als Showelemente außerhalb des Weltcupkalenders stattfinden.
Sie sagten einmal, dass es größere Werte sind als Pokale und Medaillen, die Sie im Leben bewegen ...
Definitiv. Werte wie familiärer Zusammenhalt und Respekt für seine Mitmenschen und die Natur sind mir extrem wichtig. Keine Medaille, kein Sieg, nichts auf der Welt ist so wichtig wie Familie. Damit bin ich aufgewachsen und diese Werte wollen meine Frau und ich auch an unsere Kinder weitergeben.
(af)
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