Überlastete Mediziner:innen, lange Wartezeiten für Patient:innen, schwierige Arztsuche: In Deutschlands Hausarztpraxen knirscht es. Der Gesundheitsminister verspricht Verbesserungen. Doch manche aus der Ärzteschaft bleiben skeptisch.

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Überfüllte Wartezimmer und Aufnahmestopps für Patient:innen sollen in Hausarztpraxen künftig seltener werden. Entsprechende Verbesserungen kündigte Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) vor einem Krisentreffen mit Ärzteschaft und Krankenkassen in Berlin an. "Wir werden dafür sorgen, dass viel weniger Menschen in die Praxen kommen müssen, dass entbürokratisiert wird und dass die Praxis auch attraktiver werden wird als Arbeitsort", sagte Lauterbach am Dienstag im ZDF-Morgenmagazin.

Wegfall von Honorar-Obergrenzen: Das soll sich für die Ärzteschaft ändern

Bisher ist das Geld, das Ärzt:innen für die Behandlung gesetzlich Versicherter erhalten, nach oben begrenzt. Diese Budgets sollen verhindern, dass die Kosten aus dem Ruder laufen. Der Vorsitzende des Hausärztinnen- und Hausärzteverbandes, Markus Beier, kritisierte, heute würden Hausarztpraxen nicht immer für alle erbrachten Leistungen bezahlt. Ärzteverbände wie der Virchowbund beklagen, dass es wegen der Budgets wirtschaftlich oft keinen Sinn mache, neue Patient:innen aufzunehmen. "Weitere Patienten lösen in der Praxis Kosten aus, die der Arzt aus eigener Tasche finanzieren muss."

Lauterbach kündigte an: "Wir werden die Entbudgetierung machen, um das jetzt mal klarzumachen, bei den Hausärzten." Die Ampel-Koalition hatte den Schritt bereits im Koalitionsvertrag angekündigt. Der auch bei anderen Arztgruppen existierende Deckel bei der Bezahlung war im vergangenen Jahr bereits bei den Kinderärzt:innen aufgehoben worden.

Telefonisch zu Rezept und Krankschreibung

Lauterbach sagte: "Bisher sind die Praxen überfüllt, weil viele Patienten in die Praxis kommen, um ein Rezept verlängern zu lassen oder eine Krankschreibung zu bekommen." Das gehe bei der Praxis bekannten Personen demnächst telefonisch. "Dann sind viel weniger Patienten in der Praxis."

Rezepte und Bescheinigungen in Papierform müssen dann nicht verschickt werden. Denn seit Jahresbeginn müssen niedergelassene Ärzt:innen für verschreibungspflichtige Arzneimittel Rezepte elektronisch ausstellen – das E-Rezept wird auf einem zentralen Server gespeichert, und die Apotheke wird beim Einstecken der Gesundheitskarte in ein Lesegerät autorisiert, es von dort abzurufen. Lauterbach räumte zwar einige Startschwierigkeiten ein, sagte aber: "Es wird ein paar Wochen dauern, bis es sich eingeruckelt hat."

Bei Krankschreibungen sind bereits seit Anfang 2023 Ausdrucke auch für Arbeitgeber nicht mehr nötig – die Bescheinigungen werden elektronisch direkt bei den Krankenkassen der Beschäftigten abgerufen. Laut Krankenkassen-Spitzenverband haben Arbeitgebende 2023 insgesamt knapp 82 Millionen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen elektronisch abgerufen.

Weitere Verbesserungen für die Praxen

Versicherte sollen laut Lauterbach auch deshalb weniger häufig in die Praxis müssen, weil nicht mehr unbedingt für jedes Quartal neu abgerechnet werden müsse. "Diese Logik, dass es einen Quartalsschein gibt, so dass die Leute in die Praxis kommen können, damit der Arzt sein Geld bekommt, damit die Gesundheitskarte durchgezogen werden kann, das werden wir abschaffen, werden eine jährliche Pauschale machen", sagte der Politiker.

"Wir werden auch viel mehr Telemedizin zulassen", kündigte Lauterbach an. Grundsätzlich reicht Telemedizin vom Video-Telefonat bis zu Messgeräten bei den Patient:innen, auf die ein:e Ärzt:in Zugriff hat.

"Eine Qual für viele Praxen" sind laut Lauterbach auch drohende Regresse bei zu viel verschriebenen Medikamente. Denn die Mediziner:innen werden hierbei kontrolliert und müssen sich vor den Krankenkassen und der Kassenärztlichen Vereinigung rechtfertigen, wenn sie mehr Medikamente verschrieben haben als vorgesehen – es drohen Strafen in Höhe von Tausenden Euro. Lauterbach kündigte an, diese Arzneimittel-Regresse würden deutlich zurückgefahren.

Ende der Proteste?

Allen Ärzteforderungen will Lauterbach nicht nachkommen. So verlangte der Virchowbund der niedergelassenen Ärzt:innen erneut die generelle Aufhebung der Honorardeckel – auch wenn die Beiträge dadurch steigen. "Die Grundversorgung ist mehr als das, was Hausärzte tun", sagte Verbandschef Dirk Heinrich im Deutschlandfunk. Anderenfalls würden viele ältere Ärzte mit 62 oder 63 Jahren vorzeitig aufhören. "Natürlich werden die Kassenbeiträge dann leicht ansteigen müssen", räumte der Mediziner ein. Lauterbach erwiderte auf die bereits mehrfach erhobene Forderung, viele Leistungen der Fachärzt:innen seien gar nicht im Budget – also stimme es nicht, dass diese ab einem bestimmten Tag im Quartal umsonst arbeiteten.

Es bleibt also offen, ob der Minister die Ärzteschaft mit seinen Maßnahmen generell befrieden kann. Zwischen den Jahren hatten Tausende Praxen geschlossen, nachdem Ärzteverbände dazu aufgerufen hatten, so ihren Protest gegen die Gesundheitspolitik auszudrücken. Bereits an einem Brückentag im Oktober waren viele Arztpraxen aus Protest geschlossen geblieben.

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Der Chef des Hausärztinnen- und Hausärzteverbandes, Beier, mahnte, nun dürfe es nicht bei Absichtserklärungen bleiben. Ohne konkrete gesetzgeberische Schritte in den kommenden Wochen und Monaten drohe sich die Situation zuzuspitzen, sagte er der Deutschen Presse-Agentur. "Konkret bedeutet das, dass immer mehr Patientinnen und Patienten keine Hausarztpraxis mehr finden, die sie noch aufnehmen kann, und gleichzeitig die Wartezeiten immer länger werden".

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