Klimakrise first, Plastikkrise second? So dürfen wir nicht denken. Wie bedrohlich das globale Plastikproblem ist, wer die Verantwortung trägt und was wir jetzt tun müssen, um es zu lösen.
Rethink Plastic: Um die weltweite Vermüllung aufzuhalten, brauchen wir einen anderen Umgang mit Kunststoffen. Deshalb schauen wir in den Utopia-Themenwochen genauer hin: Wie können wir Plastik nicht nur vermeiden, sondern nachhaltiger herstellen, nutzen, wiederverwenden und entsorgen?
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Vom Mount Everest bis zum Marianengraben: Plastik erreicht heute die höchsten und tiefsten Punkte der Erde. Es dringt in unser Blut und sogar in die Muttermilch. Unsere Meere sind voller Plastik, und wir atmen es über die Luft ein. Wir stehen vor einem globalen Plastikproblem – und dennoch haben wir angesichts anderer Krisen zuletzt wenig darüber gesprochen.
Die Plastikkrise ist nicht die kleine Schwester der Klimakrise
Die Klimakrise gilt als die größte Bedrohung für die Zukunft unseres Planeten. Beide Krisen, Klimakrise und Plastikkrise, haben gemeinsame Ursachen. Allgemein gesprochen: mangelnde Nachhaltigkeit in Produktion und Konsum. Der größte gemeinsame Nenner ist die Nutzung fossiler Brennstoffe. Auch bei der Plastikherstellung dienen Erdöl und Erdgas als Rohstoffe und Energiequellen. Im Jahr 2019 verursachte die globale Plastikproduktion CO2-Emissionen, die schätzungsweise dem Ausstoß von rund 600 Kohlekraftwerken entsprechen. Das sind etwa 5,4 Prozent der weltweiten CO2-Emissionen.
Also zuerst die Erderwärmung auf ein zukunftsfähiges Maß begrenzen und später den Planeten vom Plastik befreien? Das klingt nicht nach einer echten Lösung, und ist es auch nicht. Expert:innen warnen, dass sich die Kunststoffproduktion bis 2050 verdoppeln oder verdreifachen wird, vor allem wegen des steigenden Plastikkonsums in Asien, Afrika und Lateinamerika. Es wäre fatal, Plastikverschmutzung als isoliertes Problem, als kleine Schwester der Klimakrise zu betrachten.
Das Umweltprogramm der Vereinten Nationen (UNEP) schreibt: "Jedes Jahr gelangen 19-23 Millionen Tonnen Plastikmüll in Seen, Flüsse und Meere. Plastikverschmutzung verändert Lebensräume und natürliche Prozesse und beeinträchtigt die Anpassungsfähigkeit der Ökosysteme an den Klimawandel. Dies hat direkte Auswirkungen auf den Lebensunterhalt von Millionen Menschen, die Nahrungsmittelproduktion und das soziale Wohlergehen. (…) Es ist notwendig, die ökologischen, sozialen, wirtschaftlichen und gesundheitlichen Risiken von Kunststoffen zusammen mit anderen Stressfaktoren wie Klimawandel, Ökosystemzerstörung und Ressourcennutzung zu bewerten."
Globaler Plastikvertrag: Klimaabkommen 2.0?
Inzwischen wird immerhin versucht, die Plastikkrise als globales Problem zu behandeln. Ein geplantes UN-Abkommen soll die Umweltverschmutzung durch Plastik bis 2040 beenden und wird von 175 Nationen unterstützt. Es reguliert den gesamten Lebenszyklus von Plastikprodukten – von der Herstellung bis zur Entsorgung – und umfasst Maßnahmen zur Begrenzung der Neuplastikproduktion, zur Förderung der Kreislaufwirtschaft und zur Reduzierung von Einwegplastik.
Die zentrale Streitfrage lautet: Soll man die Plastikproduktion radikal beschränken oder den Fokus auf besseres Recycling legen? Ölstaaten, die chemische Industrie sowie die Öl- und Gasbranche wollen die Plastikproduktion ungebremst fortsetzen, während Umweltorganisationen die Neuplastikproduktion einschränken wollen.
Wird das Abkommen ein großer Schritt zur Eindämmung der Plastikkrise sein? Allein die Tatsache, dass so viele Staaten ein gemeinsames, rechtsverbindliches Abkommen unterschreiben, lässt hoffen. Doch da die Interessen so unterschiedlich sind, darf man auch davon ausgehen, dass "beschlossene Maßnahmen nicht ausreichen werden, um …" Ja, solche Sätze kennen wir von Verhandlungen zum Klimaabkommen.
Aber bei uns tut sich doch ganz viel
Die EU hat eine Richtlinie erlassen, die Einwegplastikprodukte wie Besteck, Teller, Strohhalme und Wattestäbchen verbietet. Ab 2030 soll jede Verpackung recycelbar sein. In Deutschland schreibt das Verpackungsgesetz seit 2019 eine Mehrwegquote, insbesondere für Getränke vor. Klassische Plastiktüten sind längst verschwunden. Viele Unternehmen wie Lebensmittelproduzenten und -händler recyceln Plastikverpackungen nun mehr und effektiver. In vielen Städten gibt es Unverpacktläden. Man kann mikroplastikfreie Kosmetik und Bambuszahnbürsten kaufen. Letztere sind im Hinblick auf die Plastikkrise übrigens relevanter als für die Klimakrise. Auch die Deckel von PET-Flaschen sind jetzt fest an der Flasche angebracht.
Das ist alles gut, scheint uns aber nicht entscheidend aus der Plastikkrise zu helfen. Ein wesentliches Problem, an den Zahlen für die EU festgemacht: Wir recyceln zwar mehr Plastikabfälle, aber wir produzieren auch mehr davon.
Plastik-Riesen tun zu wenig
Ein großes Problem sind Unternehmen, die extrem viel Plastikmüll verursachen. In Deutschland haben wir ein ausgereiftes Pfandsystem und eine hohe Mehrwegquote. Dadurch sind Plastikflaschen von Coca-Cola hier ein kleineres Umweltproblem als in anderen Ländern:
Eine großangelegte Untersuchung analysierte über fünf Jahre hinweg in 84 Ländern mehr als 1,8 Millionen Plastikabfälle. Der Großteil des Mülls bestand aus Einwegverpackungen für Lebensmittel, Getränke und Tabakwaren. Weniger als die Hälfte dieses Plastikmülls trug ein erkennbares Branding; die andere Hälfte war markenlos. Das Ergebnis: Nur wenige Großkonzerne sind für die Hälfte der weltweiten Plastikverschmutzung verantwortlich. Mit einem Anteil von 11 Prozent gilt der Coca-Cola-Konzern als der größte Plastikverschmutzer der Welt.
Aus Sicht von Umweltschutzverbänden ist klar, was Coca-Cola tun müsste, um seiner Verantwortung gerecht zu werden, sofern das Unternehmen seine Umweltschutzbekundungen ernst meint: Hilfreich wäre es, der Konzern würde aufhören, im großen Stil gegen Gesetzesvorhaben zur Plastikmüllvermeidung zu lobbyieren – und Einwegplastikflaschen besser und effektiver recyceln.
Vor allem aber solle sich Coca Cola global für Mehrwegsysteme einsetzen. Flaschen zu waschen und wieder zu befüllen ist in regionalen Mehrwegsystemen deutlich umwelt- und klimafreundlicher, als sie neu zu produzieren.
Ein weniger in Plastik verpacktes Leben
Wie lösen wir die Plastikkrise? Wir brauchen das entstehende internationale Plastikabkommen, das Konzerne wie Coca-Cola zwingt, weltweit auf Mehrwegstrategien zu setzen. Unternehmen müssen in der Kreislaufwirtschaft innovativ vorangehen. Und – ohne die Verantwortung abzuwälzen – wir brauchen auch mehr Bereitschaft von Konsument:innen.
60 Prozent der Kunststoffabfälle in Deutschland sind Verpackungen, die größtenteils von privaten Endverbraucher:innen stammen. Anders gesagt: Wir pflegen einen verpackungsintensiven Lebensstil. Ohne die Bereitschaft, diesen zu verändern, können sich nachhaltige Lösungen nur schwer etablieren. Darum braucht es Menschen, die vorleben, dass es anders geht.
Das sind die Menschen, die Wasser aus der Leitung statt aus Plastikflaschen trinken. Die, die Mehrweg-, statt Einwegflaschen kaufen, wenn sie die Wahl haben. Und ihre Verpackungen ordnungsgemäß ins Recycling geben. Diejenigen, die Wasch- und Putzmittel nachfüllen, wenn Drogeriemärkte Abfüllstationen anbieten. Die, die ihren Kaffee gemütlich in der Tasse oder im Mehrweg-Becher trinken statt im Wegwerfbecher. Die, die beim Bäcker "auf die Hand" kaufen. Die, die unverpacktes Gemüse kaufen. Die, die weniger Fertiggerichte kaufen und ihre To-Go-Mittagsgerichte in mitgebrachte Boxen füllen lassen.
Manchmal ist das eine simple Entscheidung für das Eine oder das Andere, manchmal aber auch eine etwas unbequeme Verhaltensänderung. Eines ist dabei sicher: Ein weniger in Plastik verpacktes Leben ist nicht nur nachhaltiger, sondern hat auch mehr Stil.
Rethink Plastic: Um die weltweite Vermüllung aufzuhalten, brauchen wir einen anderen Umgang mit Kunststoffen. Deshalb schauen wir in den Utopia-Themenwochen genauer hin: Wie können wir Plastik nicht nur vermeiden, sondern nachhaltiger herstellen, nutzen, wiederverwenden und entsorgen?
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