Wenn Japans Kirschbäume blühen, hält das Land inne und feiert die Pracht der zarten Blüten. Als Tourist kann man dann einen Einblick in die japanische Seele erhaschen und sich beim Hanami selbst verzaubern lassen.
Ende März, abends im Ueno Park in Tokio: Eine Allee von Kirschbäumen mit Blüten in zartrosa. Noch tragen nicht alle Bäume ihre volle Blüte, doch Jung und Alt strömen schon jetzt zum Hanami, dem japanischen "Blüten betrachten". Japaner wie Touristen posieren unter den Bäumen oder versuchen einzelne Blüten mit der Kamera einzufangen, begleitet von verzückten "Ohhhhh" und "Ahhhhh"-Rufen.
Seitlich sitzen die Menschen in Socken im Schneidersitz auf blauen Plastikplanen, essen, lachen und trinken reichlich Sake, den traditionellen Reiswein. Das sonst so ordnungsliebende und zurückhaltende Volk lockert zum Hanami merklich die Krawatte. Viele sind direkt nach der Arbeit gekommen und noch in Anzug oder Kostüm. Alles wegen der Blüten, die von einer Kette aus Lampions angeleuchtet werden und sich sanft gegen den Abendhimmel abheben.
Japan und die Kirschblüte
Japan und die Kirschblüten. Das ist eine lange Liebesgeschichte in zartrosa, die alljährlich aufblüht. Bereits seit dem siebten Jahrhundert verehren die Japaner die Kirschblüte. Fast die Hälfte aller Laubbäume in Japans Städten sind Zierkirschen. Früchte tragen die Bäume nicht. Die Sakura, die japanische Kirschblüte, ist sogar auf der 100-Yen-Münze des Landes verewigt.
In Japan steht sie für viel mehr als den Frühlingsbeginn. Sie ist ein Symbol für Schönheit, Zartheit und Vergänglichkeit, denn sie zeigt sich, je nach Sorte, nur circa zehn Tage lang in voller Blüte. Die sogenannte Kirschblütenfront verläuft dabei von Südwest nach Nordost des Inselstaates. Der aktuelle Blütenstand wird in Nippons Nachrichten alljährlich genauestens dokumentiert.
Kimono in Kyoto
In Kyoto, der alten Kaiserstadt im Westen der Hauptinsel Honshū, ist der Höhepunkt in diesem Jahr Anfang April erreicht. An jeden Ast hängt die zarte Blütenpracht, Kirschbaumalleen ziehen sich entlang der Flussufer. In den übervollen Parks finden Hanami-Partys statt, in den Gassen werden pinke japanische Süßigkeiten mit Kirschblütengeschmack verkauft, wie beispielsweise Yatsuhashi, einer Süßigkeit aus Reispulver, Zucker und Zimt mit einer Füllung aus Bohnenpaste. Was überall in Japan, besonders aber in Kyoto auffällt: Viele junge Japanerinnen tragen zum Hanami bedruckte Kimonos und werden für Touristen so selbst zum beliebten Fotomotiv. Die Geishas von Kyoto mischen sich dagegen nicht in den bunten Trubel.
Hochzeitspaare unter Kirschblüten
Neben dem Trubel mit Volksfestcharakter lassen sich auf der Reise durchs Kirschblütenland auch immer wieder stille, kontemplative Hanami-Momente einfangen. In Nara, das für seine zahlreichen buddhistischen Tempel und Shintō-Schreine bekannt ist, sitzt ein Mann auf einem Klappstuhl im Park. Auf den Knien hält er seinen Zeichenblock, auf dem langsam das Bild eines Kirschblütenzweiges, der sich im Seewasser spiegelt, entsteht. An die zehn Hochzeitspaare posieren an verschiedenen Stellen im Park für ihre Fotografen unter den Bäumen, während die zahmen Sikahirschen Naras um sie herumlaufen.
Hoffnung in Hiroshima
Auch Hiroshima, die Stadt, die am 6. August 1945 vom ersten Atombombenabwurf der Geschichte, so fatal getroffen wurde, scheint in diesen Tage in Weiß, Rosa und Pink gehüllt. Selbst beim Blick auf das Friedensdenkmal von der gegenüberliegenden Uferseite schieben sich die zarten Blüten der Kirschbaumallee unweigerlich in den Blick. Das Leben ist, auch durch die Kirschblüte versinnbildlicht, ganz eindeutig in die einst so geschundene Stadt zurückgekehrt.
Mitte April haben die Blüten hier ihren Höhepunkt erreicht. Auf der Insel Miyajima südwestlich vor Hiroshima weht der Wind die ersten Blütenblätter bereits sanft zum Boden. Bald werden die Blüten der Bäume in sich zusammenfallen, lautlos zum Boden schweben und dort einen Blütenteppich bilden. Ein leiser Tod, der das Ende der Kirschblütenzeit markiert. In Hokkaidō, Japans Norden, wird die rosa Pracht noch bis Anfang oder Mitte Mai blühen. Dann wird Japan seinen rosa Kimono für dieses Jahr ablegen, bis er im kommenden Frühjahr wieder zum Einsatz kommt und Japan erneut mit einer zarten Blütenpracht überzieht.
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