Rosengarten - Dicke, rostrote Mettwürste hängen an den bis zur Decke gekachelten Wänden der Schlachterei Rötting. Rund 250 Jahre haben sechs Generationen in Bremervörde selbst geschlachtet, Wurst gemacht - und waren auch ein Ort für einen Klönschnack unter Nachbarn.
"Heiligabend ist meine Mutter um 4.00 Uhr aufgestanden, hat die Vorbestellungen gepackt und ab 7.00 an die Kunden verteilt", erzählt Christine Plehn, die im Laden groß geworden ist, ihn aber nicht übernehmen wollte. "Bis 18.00 Uhr, als die anderen aus der Kirche kamen, wurde geputzt und geschrubbt."
Originaltreue Einrichtungen einer Ladenzeile von 1961
All das wird im Freilichtmuseum in Rosengarten im Landkreis Harburg erzählt. Das Projekt trägt den Namen "Königsberger Straße". Dort sind etwa originaltreue Einrichtungen nach den Plänen von 1961 für eine Ladenzeile konzipiert worden, die in Meckelfeld, einem damals stark angewachsenen Ort nahe der Hamburger Stadtgrenze, entstehen sollte. Dazu gehört auch eine Zahnarztpraxis mit Bohrer, Narkoseapparat, Wartebank und Bonbonglas.
Besucher bekommen dort Einblicke, wie die Bundesrepublik nach den Kriegsjahren wieder auf die Beine kam. Die Konsumkultur entwickelte sich ab Mitte der 50er Jahre. "Man hatte großen Nachholbedarf und wollte sich was gönnen", sagt Stefan Zimmermann, Direktor des Freilichtmuseums bei Hamburg.
Der neue Wohlstand machte sich im Lebensmittelbereich fest. Der Sonntagsbraten wurde zum Symbol. "1951 wurden 20 Kilogramm Schweinefleisch jährlich pro Kopf gegessen, 1957 waren es schon 29", erklärt Zimmermann. In den 60er Jahren stieg der Konsum auf etwa 60 Kilo pro Kopf und habe sich auf dem Niveau eingependelt.
"Bei uns wurden vier Schweine pro Woche geschlachtet", berichtet die 69 Jahre alte Plehn. Am Wochenende seien sie angeliefert worden, sollten zur Ruhe kommen, montags seien sie dann geschlachtet worden. "Bloß kein Stress. Man sagte uns, für das Fleisch ist das besser", erzählt sie. Das Quieken der Tiere sei ihr heute noch unangenehm, als Kind wollte sie das Fleisch gar nicht essen. Die Familie mit ihrem Haus direkt am Laden war stets verfügbar, sogar sonntags klingelte es manchmal. "Ich habe immer gestaunt, dass es praktisch kein Privatleben gab", meint Ehemann Siegfried Plehn.
Blütezeit der Einzelhändler dauerte bis in die 70er Jahre
Nach dem Zweiten Weltkrieg erlebten die Einzelhändler ihre Blütezeit bis in die 70er Jahre, danach kamen Supermärkte und Tankstellen mit Selbstbedienung auf. "Viele kleine Geschäfte mussten nach und nach aufgeben. Das waren enorme Verluste, weil es soziale Treffpunkte waren", erzählt Zimmermann. "Ganz wichtig bei allen Geschäften war die Beratung."
So gab es in der kleinen, gut sortierten Adler-Drogerie nebenan vom Eau de Cologne über Waschpulver, Tapeten, Kräuter und Salben auch Dünger für den Garten. Nostalgische Gefühle kommen bei vielen Besuchern auf. "Während der Blütezeit der Drogerien waren Drogisten dank ihrer fundierten Kenntnisse wichtige Ansprechpartner für viele Fragen zu Haus und Hof: kleine Wehwehchen, Hygiene und Schädlingsbekämpfung. Und die Drogisten hatten fast immer eine Lösung parat", sagt Martina Redemund, Tochter der letzten Inhaberin des Ladens in Trittau.
Anziehungspunkt als einer von sechs Läden in der Geschäftszeile ist auch Foto Böhmer aus Winsen/Luhe. Große Transistorradios, Schwarz-Weiß-Fernseher und kleine Dias begeistern die technikaffinen Besucher. In der Zeit von 1949 bis 1979 veränderten Dörfer bundesweit ihr Aussehen - insbesondere in der Nähe von Großstädten wie Hamburg wurde die Infrastruktur ausgebaut. Lange Wege zum Arzt fielen weg, Gemeinschaftskühlhäuser und ein eigener Viehbestand wurden zunehmend unwichtiger. Immer mehr Elektrogeräte zogen in die Haushalte ein - von Kühlschrank und Fernseher bis zum Waffeleisen.
In dem Museum soll ein original erhaltenes Flüchtlingshaus von 1955 aus der Aufbauzeit nach dem Zweiten Weltkrieg im nächsten Jahr eröffnet werden. Der Bund, das Land Niedersachsen, die Metropolregion Hamburg und andere haben das Ausstellungsprojekt gefördert. © dpa
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