Sieben Monate auf hoher See – ohne Handy, ohne Privatsphäre, aber mit jeder Menge Abenteuer. Moritz hat genau das gewagt und tauschte das Klassenzimmer gegen ein Segelschiff: Mit der High Seas High School überquerte der damals 17-Jährige zwei Mal den Atlantik, entdeckte 13 neue Länder und hatte dabei Unterricht nach gymnasialem Lehrplan der 11. Klasse.

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Moritz kommt aus Bremen und geht seit vier Jahren auf das Hermann Lietz-Gymnasium auf der Nordseeinsel Spiekeroog . Der damalige Leiter des Internats rief die High Seas High School 1993 ins Leben. Im Interview mit unserer Redaktion spricht der Schüler über Höhen und Tiefen der Reise und erzählt, warum er am Ende als anderer Mensch zurückkehrte.

Über die High Seas High School

  • Zum ersten Mal stach die High Seas High School 1993 in See. Initiator und Ideengeber war Dr. Hartwig Henke, der damalige Leiter des Internats Hermann Lietz-Schule Spiekeroog. Seither haben über 900 Schülerinnen und Schüler an dem großen Törn teilgenommen.
  • An Bord haben die Schülerinnen und Schüler Unterricht nach dem Lehrplan des 11. Jahrgangs des Landes Niedersachsen. Zusätzlich lernen sie das Schiff zu steuern und zu navigieren – bei jedem Wetter und rund um die Uhr.
  • Der Beitrag für die aktuelle, siebenmonatige Reise der High Seas High School beläuft sich auf 29.290 Euro pro Kopf. Dazu kommt ein Taschengeld in Höhe von 700 Euro, das den Schülerinnen und Schülern monatlich ausbezahlt wird.

Moritz, wusstest du direkt, als du auf das Hermann Lietz-Gymnasium gekommen bist, dass du gerne sieben Monate auf dem Segelschiff verbringen möchtest?

Moritz Szczepanek: Nein, damals dachte ich noch, ich mache das auf keinen Fall. Ich hatte viel zu viel Angst davor. Meine Familie meinte aber, sie würden alles für diese Erfahrung geben. Das hat mich zum Nachdenken gebracht. In der 10. Klasse habe ich mich beworben – aber auch als ich die Zusage hatte, war ich mir nicht sicher, ob ich es wirklich durchziehen will. In den Sommerferien ging es auf einen Probetörn: eine Woche segeln und die Crew kennenlernen. Danach war ich vollkommen überzeugt. Es war eine ganz neue und coole Erfahrung. Also habe ich zugesagt, obwohl ich keine Ahnung vom Segeln hatte. Aber das ist auch keine Voraussetzung für das Projekt.

Was war deine größte Motivation, daran teilzunehmen?

Die Welt zu sehen. Ich war bis dato noch nicht viel gereist. Außerdem fand ich es einfach spannend und aufregend, sieben Monate auf einem Segelboot zu verbringen.

Segelboot High Seas High School Gulden Leeuw
Mit dem Segler "Gulden Leeuw" stach Moritz am 7. Oktober 2023 in See.

Und dann ging die Reise Anfang Oktober 2023 in Bremerhaven los …

Ja, wir waren alle schon ein paar Tage vorher dort, haben das Schiff vorbereitet und alle kennengelernt. Am 7. Oktober war die große Verabschiedung von allen Familien am Kai. Dann hat das Segelschiff mit 44 Schülerinnen und Schülern plus Crew, Lehrer- und Pädagogen-Team abgelegt. Es war ein Wechselbad der Gefühle. Einerseits war der Abschied sehr traurig. Andererseits habe ich mich extrem gefreut, war aufgeregt und konnte nicht glauben, dass es wirklich losgeht.

"Fast alle wurden seekrank und hingen schon am ersten Tag über der Reling. Ich habe mich allein an diesem Tag 20 Mal übergeben."

Moritz über die erste Zeit an Bord

Wie waren die ersten Tage auf dem Segelschiff?

Der Anfang war hart, weil es sehr stürmisch war. Fast alle wurden seekrank und hingen schon am ersten Tag über der Reling. Ich habe mich allein an diesem Tag 20 Mal übergeben und dann nur noch geschlafen. Da haben viele – auch ich – an ihrer Entscheidung gezweifelt. Aber mit der Zeit wurde es besser, ich habe mich an die Seekrankheit gewöhnt oder konnte zumindest besser damit umgehen. Vor allem, wenn ich mich beschäftigt gehalten und die Aufgaben auf dem Schiff erledigt habe.

Hohe Wellen Segelboot Meer
Bei hohem Wellengang wurden viele Schülerinnen und Schüler seekrank.

Welche Aufgaben waren das typischerweise?

Wir hatten rund um die Uhr unterschiedliche Schichten und Dienste. Jeden Tag hatten wir mindestens vier Stunden Wache oder Küchendienst. Das sah dann zum Beispiel so aus: Wache von null bis vier Uhr, im Idealfall nochmal etwas schlafen bis zum Frühstück um acht Uhr. Bis zum Mittagessen um 13 Uhr konnten wir nochmal Schlaf nachholen oder lernen. Nachmittags hatten wir zweieinhalb Stunden Unterricht, abends wurde gemeinsam gegessen. Danach hatten wir manchmal Besprechungen oder haben Karten gespielt. Dann ging es früh ins Bett, weil um null Uhr die nächste Wachschicht losging.

Was macht man beim Wachdienst?

Je nach Wetterverhältnissen mussten wir Segel setzen, sie wieder runternehmen oder Aufgaben an Deck erlegen, wie etwas zu entrosten, schleifen oder reparieren. Manchmal gab es ruhige Schichten, in denen wir aber trotzdem wach bleiben mussten, falls etwas passiert. Wenn aber zum Beispiel ein Unwetter aufzog, sind wir manchmal vier Stunden lang nur hin und her gerannt.

Und zusätzlich hattet ihr Schulunterricht.

Genau, wir hatten ganz normalen Schulunterricht nach dem Lehrplan der 11. Klasse, haben auch Klausuren geschrieben und Präsentationen gehalten, die benotet wurden. Am Ende habe ich ein Halbjahreszeugnis bekommen. Die Stunden waren im Vergleich zum normalen Unterricht zwar reduziert, aber ich habe nicht das Gefühl, viel verpasst zu haben oder nachholen zu müssen.

Konntest du dich gut auf das Lernen konzentrieren?

Grundsätzlich schon, manchmal war es aber eine Herausforderung. Man befindet sich nun mal auf einem Segelschiff, das sich in den Wellen bewegt. Bei hohem Wellengang fliegt dir auch mal die Tafel ins Gesicht. Oder Leute hängen über der Reling, weil sie seekrank sind. Oder jemand entdeckt Delfine im Meer und alle rennen raus, um sie zu sehen. Im Großen und Ganzen hat es aber gut funktioniert.

Delfine Segelboot
Einige Male wurden die Schülerinnen und Schüler von Delfinen begleitet.

Mit 44 Schülerinnen und Schülern plus Crew gab es sicherlich nicht allzu viel Platz auf dem Schiff. Wie sah eure Schlafsituation aus?

Wir haben unter Deck in einem großen Raum in kleinen Kojen geschlafen. Die Kojen sind aneinandergereiht, nicht viel breiter als man selbst und etwa 1,90 Meter lang. Es war also klein, eng und oftmals voll. Du hast keine Privatsphäre an Bord. An den Kojen hatten die meisten einen Vorhang, das kam Privatsphäre noch am nächsten. Man musste einfach schauen, dass man damit zurechtkommt. Es war aber eine riesige Herausforderung.

Gab es deswegen auch mal Auseinandersetzungen an Bord?

Natürlich gab es immer wieder kleinere Kabbeleien. Es ist schwierig, sich auf dem Schiff aus dem Weg zu gehen, wenn man sich mit jemandem nicht gut versteht. Große Probleme gab es aber nicht. Wir waren wie eine große Familie. Alle kannten einander in- und auswendig. Wir haben gelernt, wie wichtig Teamwork ist. Auf einem Schiff machst du nichts allein. Du brauchst deine Crew. Ich habe sehr enge Freunde gefunden, mit denen ich auch jetzt noch viel in Kontakt bin.

Hat dir das dabei geholfen, mit Heimweh umzugehen?

Definitiv. Zu Beginn der Reise war ich überrascht davon, wie sehr ich mein Zuhause vermisst habe. Später war Heimweh für mich aber weniger ein Thema. Ich denke, zum einen deshalb, weil ich vor Ort gute Freunde gefunden habe und zum anderen, weil ich es auch durch das Internat schon gewöhnt war, länger von zu Hause weg zu sein. Man hatte auch immer etwas zu tun und damit gar keine Zeit, seine Familie zu vermissen.

"Natürlich bin ich sonst auch viel am Handy, aber wenn es weg ist, ist es eben weg. Dann finde ich eine andere Beschäftigung."

Moritz über das Schiff als handyfreie Zone

Gab es sonst noch etwas, das du während der Reise vermisst hast?

Ich bin großer Werder-Bremen-Fan. Die Spiele zu verfolgen, habe ich sehr vermisst. Ein Crew-Mitglied war aber auch Werder-Fan, er hat immer montags die Fußballergebnisse vom Wochenende an unser Informationsboard gepinnt. Es war anders, aber es war auch schön und cool so. Ansonsten hatte ich oftmals Gelüste auf unterschiedlichste Gerichte. Auf dem Schiff war das Essen rationiert. Vor allem, wenn wir länger auf See waren, gab es nur begrenzte Auswahl.

Die High Seas High School ist ein handyfreies Projekt. Hat dir dein Smartphone gefehlt?

Das hat mich weniger beeinflusst. Natürlich bin ich sonst auch viel am Handy, aber wenn es weg ist, ist es eben weg. Dann finde ich eine andere Beschäftigung. Für mich war der Handy-Entzug eine Chance: Auf der Reise habe ich richtig Gefallen am Lesen gefunden. Trotzdem war es schön, in den Handy-Zeiten mit Familie, Freundinnen und Freunden zu telefonieren, Updates von zu Hause zu bekommen und Storys von der Reise zu erzählen.

Was war dein Highlight auf der Reise?

Nach den Azoren, kurz bevor es wieder zurück nach Deutschland ging, gab es sogenannte "Handover": Schülerinnen und Schüler konnten sich für Positionen auf dem Schiff bewerben, als Kapitän, Offizier oder Ingenieur zum Beispiel, und eine Woche lang in diesen Rollen agieren. Ich habe die Position als Zweiter Offizier bekommen. Das war echt viel Verantwortung. Das macht etwas mit einem.

Strand Camp Schüler
In Costa Rica baute sich Moritz' Gruppe ein Camp am Strand.

Und von unseren Landaufenthalten war Costa Rica mein absolutes Highlight. Dort waren wir einen Monat. Zuerst hat die Hälfte der Gruppe ein Projekt im Regenwald unterstützt, bei dem ein Schiff aus CO2-neutralen Materialien gebaut wurde. Die andere Hälfte hat an einem Aufforstungsprojekt teilgenommen. Danach sind wir in Gastfamilien in einem kleinen Bergdorf untergekommen. Wir hatten Unterricht und Freizeit, in der wir mit einheimischen Kindern Fußball spielen waren. Anschließend haben wir uns in Kleingruppen eigenständig von Lango Mai in Costa Rica auf den Weg nach Panama zu unserem Schiff begeben, mit einem gesetzten Budget. Meine Gruppe und ich haben die ersten Tage sparsam gelebt: Wir haben an der Küste in Zelten geschlafen. Die letzten zwei Tage haben wir uns eine Unterkunft gegönnt und das "normale" Leben mit Fernsehen und viel Essen genossen.

Und was war deine größte Herausforderung?

Am Anfang war es die Seekrankheit. Später war es vor allem die Mischung aus allem: wenig Schlaf, Privatsphäre und Essen, viel Arbeit, manchmal Heimweh. Wenn all das zusammengekommen ist, hatte ich schon manchmal den Gedanken: Ich will nicht mehr. Sieben Monate sind aber die perfekte Länge. Es waren die schönsten sieben Monate meines Lebens. Ich würde es jedem, der die Möglichkeit dazu hat, empfehlen, das zu machen. Aber ich war dann auch wieder bereit dazu, nach Hause zu kommen.

Wie war die Ankunft zu Hause?

Es war sehr emotional. Bei der Ankunft am Hafen habe ich nicht geweint, was mich überrascht hat. Aber in dem Moment, als ich nach Hause gekommen bin, bin ich sofort in Tränen ausgebrochen. Ich glaube, erst da habe ich so richtig realisiert, wieder zurück zu sein. Das war schon krass.

Segelboot High Seas High School Gulden Leeuw
Nach sieben Monaten kehrte die "Gulden Leeuw" wieder nach Deutschland zurück.

War es für dich schwierig, wieder in den Alltag zurückzufinden?

Viele meiner Freunde haben lange dafür gebraucht. Manche sind in ein Loch gefallen, wollten nicht allein sein. Eine Klassenkameradin hat ihr Bett zu Hause verkleinert, weil sie nicht mit so viel Platz klargekommen ist. Ich hatte aber das Gefühl, schnell wieder in den gewohnten Alltag zurückzufinden.

Was hast du aus diesem Abenteuer mitgenommen?

Ich bin auf der Reise selbstbewusster geworden. Das habe ich auch an anderen beobachtet: Viele waren am Anfang noch schüchtern und später total offen und extrovertiert. Außerdem habe ich gelernt, mit den unterschiedlichsten Menschen umgehen zu können und zu merken, wann sie Probleme haben oder jemanden zum Reden brauchen. Grundsätzlich wächst man in diesen Monaten sehr an seinen Aufgaben. Ich bin als Jugendlicher losgefahren und als junger Erwachsener wiedergekommen. Es sind Skills fürs Leben, die man auf dem Schiff lernt.

Über den Gesprächspartner

  • Moritz Szczepanek kommt aus Bremen und wohnt seit vier Jahren auf der Nordseeinsel Spiekeroog, wo er das Hermann Lietz-Gymnasium besucht. Die 11. Klasse verbrachte der damals 17-Jährige auf dem Segelboot der High Seas High School.

Segeln mit Rollstuhl - Inklusion auf dem Wasser

Acht Frauen mit körperlichen Einschränkungen lernen Segeln. Die Mehrheit von ihnen hat eine Krebstherapie hinter sich, eine ist sehbehindert, zwei sitzen im Rollstuhl. Aufhalten lassen sie sich von ihren Handicaps nicht. Der Verein "Wir sind Wir - Inclusion in Sailing" und der Norddeutsche Regattaverein organisieren den Segelunterricht auf der Hamburger Außenalster. Das Ziel: Möglichst vielen Menschen die gleichberechtigte Teilhabe am Segelsport zu ermöglichen. Die Freiheit auf dem Wasser soll erlebbar werden.
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