Unsere Autorin ist im Chiemgau unterwegs, eine Region, die nah an München liegt und zu jeder Jahreszeit Überraschungen bereithält. Eine Geschichte über Gipfelglück, Heimatliebe und den perfekten Sonnenuntergang am Chiemsee.

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Auf der Fahrt mit der Kampenwandbahn fühle ich mich in die 1950er Jahre versetzt. Der Panoramablick aus meinem Fenster gleicht dem Fahrerlebnis in einer Ente, dem Kultauto von Citroën. Das Interior der Gondel ist zitronengelb, die Fenster mit schwarzer Gummirahmung eingefasst und an den Ecken abgerundet, zu allen Seiten eröffnet sich mir der Blick in die Tiefe. Was ich da zu sehen bekomme, ist der Chiemgau, der sich bis an den Rand der Chiemgauer Alpen noch als Ebene präsentiert. Prominent platziert liegt der Chiemsee wie ein Meer vor der Kampenwand (1.669 Meter), zu der ich gerade hochfahre.

Wer in München wohnt, kommt am Chiemgau nicht vorbei. Je nach Verkehrslage benötigt man via Autobahn A8 ans Südufer des Chiemsees eine gute Stunde. Der See ist das Herzstück der Region, an allen Uferseiten finden sich viele Stellplätze, Campingplätze, Badestrände, Häfen und Biergärten.

Die Region Chiemgau erstreckt sich von allen Uferseiten etwa 50 Kilometer ins Land und umfasst Gebiete der Landkreise Traunstein und Rosenheim. Schon oft war ich im Chiemgau, zum Segeln, zum Klettern, Wandern und Radfahren.

Rauf auf die Kampenwand

Zugegeben, heute bin ich etwas (wander-)faul, aber die Fahrt mit der Ente ist einmalig schön. Vielleicht lasse ich mich heute auch von einem besonderen Motto der Region leiten: "I gang so gern auf d’ Kampenwand, wenn i mit meiner Wampn kannt." 800 Höhenmeter überwinde ich von der Talstation in Aschau auf diese Weise.

Oben angekommen, zieht mir Pommesgeruch von der Kampenwandhütte in die Nase. Auf dem weitläufigen Almplateau geht es recht ruhig zu. Wo die ganzen Menschen sind, finde ich erst später heraus, und auch der Grund für die Abwesenheit wird sich mir bald erschließen.

Unterhalb der Kampenwand bleibe ich kurz stehen. Zwei Kletterer erklimmen gerade eine der markanten Felsnadeln, auf die man in der Mitte des langen Gipfelkamms trifft. Die Kampenwandüberschreitung ist Gratkletterei bis in den vierten Schwierigkeitsgrad, also nur für Alpinkletterer zu empfehlen.

Vor einigen Jahren bin ich die Tour mit Freunden gegangen. Vom Chiemgaukreuz oben am felsigen Gipfel der Kampenwand, dem mit zwölf Metern größten Gipfelkreuz in den bayerischen Alpen, genießt man bei guten Sichtverhältnissen eine sensationelle Aussicht: aufs Chiemgau, die Berchtesgadener Alpen, das Kaisergebirge, die Loferer Steinberge, die Hohen Tauern bis zum Großglockner und Großvenediger. An besonders klaren Tagen reicht die Sicht bis nach München und auf den Fernsehturm. Heute ist es diesig, nur den See erkenne ich unter der Dunstglocke geradeso in seiner Gänze.

Ich wandere hinüber zur Steinlingsalm und bestelle mir eine Holunderschorle. An der Wand lehnen Ski und Stöcke, am Tisch daneben sitzen zwei Skitourengeher. Gerade kommt Hüttenwirt Josef Stein dazu, der gemeinsam mit seinem Bruder Michael Stein die Alm schon in dritter Generation betreibt. Vor der Hüttenöffnung heut morgen seien sie noch eine kurze Frühjahrsskitour an der Kampenwand gegangen. "Das machen wir jedes Jahr", sagt er. Heuer war der Winter teils sehr trocken, kurz vorm Saisonstart auf der Hütte Ende April hatte es aber noch mal kräftig geschneit. "Wir hatten die Tische und Bänke schon hergerichtet und mussten dann wieder alles freischaufeln", sagt Josef Stein.

Er trägt Lederhose und T-Shirt, sein Gesicht glüht noch von der morgendlichen Tour in der Höhe. Ihr Betrieb hier oben sei sehr familiengeprägt, manchmal funktioniere es auch nur so, weil sie wie auch viele Gastronomiebetriebe im Tal personell eingeschränkt seien. "Aber wir haben gutes Stammpersonal", fügt er hinzu. Die schönsten Momente seien morgens, wenn er vor den ersten Gästen noch einen Kaffee auf der Terrasse trinkt, oder am ruhigen Abend, wenn er sich ein Feierabendbier genehmigt.

Der Chiemsee: Das Bayrische Meer

Nach dem Ausflug auf die Kampenwand fahre ich mit meinem Campervan zum Chiemsee. Gestern Abend sprach ich noch mit Julia Siglreitmeier, der Betreiberin des Campingplatzes Kupferschmiede am Nordostufer, auf dem ich meine Nächte verbringe. Sie hat mich zum traditionellen Maifest im Biergarten bei Feinkost Kunz eingeladen, einem Delikatessladen in Prien, den ihr Freund betreibt.

Meinen Bus lasse ich auf dem großen Parkplatz am Hafen stehen und steige auf das Gravelbike um. Jetzt weiß ich, wo all die Leute sind. An die hundert von ihnen tummeln sich im Biergarten unter riesigen Kastanienbäumen, sitzen entweder an Bierbänken oder stehen in langen Schlangen am Grill oder dem Ausschank an.

Julia gibt Essen aus, Schweinshaxe, Kartoffelsalat, Weißwürste, Brezn, Pommes, was man halt so in einem zünftigen Biergarten erwartet. Als ich endlich an der Reihe bin, strahlt mir die junge Frau entgegen, sie trägt ein sportliches Dirndl bedruckt mit kleinen Herzen, dazu einen handgeflochtenen Gürtel mit buntem Muster. Nachdem der große Mittagsansturm vorüber ist, sitzen Julia und ich gemeinsam auf einer Bank.

Nachdem ich perfekt gewürzte (unbayerische) Pommes zum Mittag gegessen habe, verlasse ich das Fest und gehe zu meinem Fahrrad hinüber auf die andere Straßenseite. Als ich das Fahrradschloss aufschließe, wird mir schlagartig bewusst, wie ruhig es wieder um mich herum ist. Es fühlt sich so an, als ob mich ein Tornado ausgespuckt hätte. Nach dem Trubel freue ich mich über die zurückgewonnene Chiemseeidylle. Auf dem Weg zurück zum Campingplatz lege ich noch einen Stopp in Gstadt etwas weiter nördlich am Westufer ein.

Mit dem Rad unterwegs im Chiemgau

Wieder erkunde ich die Gegend mit dem Fahrrad, fahre vorbei an saftgrünen Wiesen, den See und die Berge immer im Hintergrund. Im Ort gönne ich mir einen Kaffee und Erdbeerkuchen in einem Café direkt am Ufer. Die Szenerie erinnert mich an eins meiner Lieblingsbücher aus meiner Schulzeit, Effi Briest, obwohl ich hier nicht in einem Ostseebad bin, sondern am größten See Bayerns.

Am Hafen legt eben der einzige Schaufelraddampfer auf dem See ab, ein großes Schiff, auf dem sich viele Menschen tummeln. Sie lassen sich auf die Herren- und Fraueninsel fahren, die sich in Sichtweite vom Ufer befinden. Auf die Inseln fahre ich heute nicht, aber ich kenne diese beliebten Ausflugsziele. Auf der Herreninsel kann man wandern und Schloss Herrenchiemsee besichtigen, auf der Fraueninsel übernachten und frischen Fisch essen. In einer langen Schleife fahre ich am teils bewaldeten Ufer des Chiemsees zurück zu meinem Auto. Schön war’s!

Entspannen auf dem Campingplatz

Als ich am frühen Abend auf den Campingplatz zurückkehre, scheint goldenes Licht durch die Baumkronen. Ich parke mein Auto wieder da, wo ich die Nacht zuvor schon gestanden habe. Gegenüber stehen noch die Dauercamper mit den zwei alten Hunden, die ruhig in ihren Bettchen liegen. Auch die Campinggäste weiter vorn, die ihr Wohnmobil mit einem stabilen Hundezaun abgegrenzt haben, sind noch da.

Ihr riesiger Hund schaut mich durch ein Guckloch im Zaun an. Sofort breitet sich ein Gefühl des Ankommens in mir aus, noch mehr, ich fühle mich zu Hause. Kurz muss ich über das schmunzeln, was mir Julia heute noch über ihren Campingplatz erzählte. Eine Gästin meinte einmal, dass sie sich hier überhaupt nicht wohlfühle, weil der Campingplatz "zu hippiemäßig" sei. Ja, denke ich, genau das ist er, und das ist auch gut so.

In der warmen Abendsonne baue ich meinen Grill auf. Obwohl ich auch im Gasthof gegenüber essen könnte, genieße ich meine Camper-Autarkie. Ich schnibble Gurken, grünen Salat, Tomaten und Paprika für einen Salat, als Hauptspeise gibt es Bratkartoffeln und Grillgemüse. Ich trinke ein alkoholfreies Radler und fühle mich leicht beschwipst von dem Glücksgefühl, das sich in mir breitmacht. Nach dem Abendessen fahre ich noch mit dem Fahrrad runter ans Chiemseeufer. Der Campingplatz befindet sich nicht wie andere direkt am Ufer, sondern auf einer Wiese hinter der tagsüber viel befahrenen Uferstraße. Ich persönlich finde das angenehmer, weil es ruhiger ist und man den Verkehr nicht so unmittelbar mitbekommt.

Die Uferzone ist teils dicht mit Schilf bewachsen, einige Enten fischen mit ihren Schnäbeln im Wasser nach Futter. Zwischendrin finden sich immer wieder Buchten mit Kieselstrand. Meine Ankunft war eine Punktlandung. Gerade schiebt sich die orangeleuchtende Sonne dem Horizont entgegen. Was jetzt folgt, ist einer der wohl kitschigsten Anblicke meines Lebens.

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Am Horizont gegenüber zeichnet sich die Skyline des kleinen Ortes Seebruck ab. Von meinem Sitzplatz aus betrachtet, geht die Sonne doch tatsächlich direkt hinter der Kirche unter. Als die Sonne die Kirchturmspitze trifft, gesellt sich noch ein einzelner Schwan im Wasser zu uns. Mit dieser skurril schönen Szenerie vor Augen spaziere ich wenig später zu meinem Campervan zurück. Ich knipse meine Lichterkette an, kuschle mich in meinen Schlafsack und freue mich darüber, dass ich das perfekte Campingglück vor meiner Haustür gefunden habe.

Campingplatz-Tipps

Stellplatz-Tipps

Chiemgau – Tipps & Info

  • Mobilität: Den Chiemgau erreicht man bequem mit dem Auto über die A8 aus Richtung München kommend, Ausfahrten Bernau, Übersee, Grabenstätt, Bergen, Siegsdorf Ost und Siegsdorf West. Wer seinen Van auf dem Campingplatz stehen lassen will, während er oder sie den Chiemgau erkundet, nutzt entweder Busse oder die Nahverkehrszüge der Südostbayernbahn und der Bayerischen Regiobahn. Für die Planung empfiehlt Chiemgau Tourismus die Wohin-Du-Willst-App. Spaß macht es auch, die Gegend mit dem Rad zu erkunden. Tipp: einmal rund um den Chiemsee radeln.
  • Reisezeit: Grundsätzlich kann man das ganze Jahr über in den Chiemgau reisen, weil jede Jahreszeit etwas Besonderes bereithält. Zudem bieten einige Campingplätze auch Wintercamping an. Gängige Wandersaison ist von Mai bis Oktober, die Skigebiete (zum Beispiel Kampenwand und Steinplatte-Winklmoosalm) öffnen ab Dezember. Rund um Weihnachten bietet sich auch ein Besuch des Christkindlmarktes auf der Fraueninsel an. Wie überall gilt auch im Chiemgau: In den Nebensaisons im Frühjahr und Herbst ist weniger los.
  • Vor Ort: Im Text geht es vor allem um die Gegend rund um den Chiemsee, aber der Chiemgau hat noch mehr zu bieten. Wichtigste Ortschaften fernab des Sees sind Inzell, Ruhpolding, Nußdorf, Petting, Schleching, Siegsdorf, Traunstein und Unterwössen. Neben der Wanderung auf die Kampenwand empfehlen sich Touren auf den Hochfelln (1674 Meter), Hochgern (1.748 Meter), Geigelstein (1.808 Meter) und Hochries (1.569 Meter). Gute Fischrestaurants gibt es rund um den Chiemsee. Wer einfach nur die Aussicht und eine zünftige Brotzeit genießen möchte, findet tolle Einkehrmöglichkeiten auf den zahlreichen Berghütten in den Chiemgauer Alpen.
  • Spaß auf dem Wasser: Der Chiemsee ist der größte See Bayerns und gleichzeitig der drittgrößte See Deutschlands. Dank seines maritimen Flairs und des je nach Lichtverhältnissen tief türkisfarbenen Wassers trägt er auch den Beinamen "Bayerisches Meer". Lust auf einen Segeltörn auf dem Chiemsee, eine Fahrt mit dem Ruderboot, Windsurfen, Stand-up-Paddling oder eine aussichtsreiche Fahrt mit dem Schaufelraddampfer? Sehr gute Ausgangspunkte dafür sind Stock/Prien und Gstadt.
  • Chiemseeinseln: In der Nähe des Westufers des Chiemsees befinden sich drei Inseln: die bewohnte, 240 Hektar große Herreninsel, die 12 Hektar große Fraueninsel und die unbewohnte Krautinsel. Allein die Überfahrt von Stock/Prien oder Gstadt stellt schon ein Erlebnis dar. Die Herreninsel erkundet man auf herrlichen Wanderwegen durch den alten Wald. Highlights: Schloss Herrenchiemsee und das Augustiner-Chorherrenstift. Die Fraueninsel ist bekannt für ihr Kloster Frauenwörth (das älteste Nonnenkloster Deutschlands) und ein malerisches Fischerdorf. Hier sind auch die meisten Chiemseefischer ansässig.
  • Bei Regenwetter: Wir Deutschen kennen zwar kein schlechtes Wetter, weil unsere Regenbekleidung immer mitreist. Die Region Chiemgau hat trotzdem auch bei Regenwetter etwas zu bieten. Zum Bummeln lohnt sich ein Ausflug nach Rosenheim oder München. Interessant kann auch ein Besuch des Ausstellungszentrums Lokschuppen in Rosenheim sein. In wechselnden, multimedialen Ausstellungen tauchen Besucher und Besucherinnen in eine andere Erlebniswelt ein. Für maximale Entspannung bietet sich ein Besuch der Chiemgau Thermen in Bad Endorf an.

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