• Nach wochenlangen Auseinandersetzungen gibt es eine Einigung im Tarifkonflikt zwischen Deutscher Bahn und der Lokführergewerkschaft GDL.
  • Im Interview erklärt GDL-Chef Claus Weselsky, was die wichtigsten Ergebnisse der Streiks sind und wie er mit Anfeindungen umgeht.
Ein Interview

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Herr Weselsky, nach hartem Kampf haben Sie nun eine Einigung im Tarifkonflikt mit der Bahn erzielt. Wie fühlt man sich in so einem Moment? Stolz? Erleichtert?

Claus Weselsky: Ich denke es ist in allerster Linie Erleichterung, dass der Konflikt beendet ist. Die Frage, ob ich stolz bin, würde ich verneinen. Stolz bin ich auf unsere Mitglieder. Der Abschluss kann sich sehen lassen. Aber die Erleichterung ist vor allen Dingen deswegen da, weil Lokführer, Zugbegleiter und auch Fahrdienstleiter und Werkstattmitarbeiter jetzt einen Tarifvertrag haben und eine geschützte Rente für ihr ganzes Berufsleben. Es war das eigentliche Kernziel, dafür zu sorgen, dass alle Eisenbahner und Eisenbahnerinnen von uns tarifiert werden können.

Woran lag es eigentlich, dass so schwer war eine Einigung zu erzielen?

Der Kern des gesamten Konflikts war die Frage, ob wir tatsächlich Tarifverträge für unsere Mitglieder bekommen – in der Verwaltung, in der Werkstatt, in allen Berufen, die im direkten Bereich tätig sind. Das wollte uns die Bahn nicht zugestehen. Als wir diesen Kern gelöst hatten, als das Zugeständnis da war, dass wir für alle unsere Mitglieder Tarifverträge abschließen und damit Sicherheit gewährleisten, war der Einstieg in den Kompromiss vorhanden. Nachdem das gelöst war, waren wir auch in der Lage, uns über die einzelnen Elemente zu einigen – über 1,5 Prozent im Dezember 2021, über die Corona-Beihilfe in Höhe von 600 Euro im Dezember 2021 und 400 Euro im März 2022 und dann 1,8 Prozent im März 2023.

Weselsky: "Ich denke auch an die Bahnkunden"

Die Streiks legten halb Deutschland lahm. Kämpfen Sie da manchmal mit Ihrem Gewissen?

Wenn wir streiken, haben wir Betroffene. Das können wir nicht verhindern. Aber deswegen darf man uns doch das Streikrecht nicht absprechen. Das höchste Gut, das Arbeitnehmer haben, wenn sie auf dem Verhandlungswege kein Ergebnis erzielen können, ist, sich des Arbeitskampfes zu bedienen. Das steht doch nicht zur Disposition! Man hat 1993/94 die Bahn privatisiert und den Beamtenstatus für Lokomotivführer abgeschafft. Damit müssen wir umgehen. Damit können wir auch leben. Aber es ist doch so: Wenn wir jetzt im Arbeitnehmerstatus sind, wieso sollten wir vom Streikrecht nie Gebrauch machen dürfen?

Aber denken Sie auch an die Menschen, die Probleme haben, ihren Arbeitsweg zurückzulegen?

Ich denke auch an die Bahnkunden. Wir sind sehr sorgsam und verantwortungsbewusst damit umgegangen, weil wir wissen, dass diejenigen, denen wir die Züge entziehen, auch Arbeitnehmer sind. Und die wünschen sich vielleicht auch manchmal, dass sie eine gute Gewerkschaft hätten. Aber wir dürfen uns doch nicht entschuldigen, dass wir einen Arbeitskampf machen. Eigenartigerweise wird das immer wieder neu diskutiert, liebend gerne auch von Politikern. Das sind dann dieselben, die vorher entschieden haben, die Bahn zu privatisieren

Für Außenstehende ist es oft schwer zu verstehen, warum es zwei große Bahn-Gewerkschaften gibt. Was unterscheidet eigentlich die GDL von der EVG?

Der Unterschied ist, dass wir 1867 als Berufsgewerkschaft für Lokomotivführer gegründet worden sind und über Jahrzehnte als Verbeamtete tätig waren. Als Lokomotivführer hatten wir gar keine Gewerkschaftseigenschaft im Sinne von Tarifmächtigkeit. Als 1990 die neuen Bundesländer dazukamen, wollten wir den Beamtenstatus für unsere Kollegen und Kolleginnen erreichen. Doch 1993 hat die Politik beschlossen, die Bahn zu privatisieren. Damit ist die Beamtenlaufbahn geschlossen und wir als Tarifkräfte in die Welt gesetzt worden. Die GDL ist also als Berufsgewerkschaft gestartet, wurde in den letzten Jahren weiterentwickelt, und jetzt sind wir stolz darauf, Verantwortung für alle Eisenbahner und Eisenbahnerinnen übernehmen zu können

Weselsky: "Wir versenken Steuermilliarden in ein ineffizientes System"

Für lange Zeit hat Corona unsere Mobilität beschränkt, jetzt streikte auch noch die GDL. Haben Sie keine Angst, dass Sie dem Bahnfahren an sich – und damit auch sich selbst – schaden?

Dem System Bahn schaden wir definitiv nicht. Wir haben dem Land oft gezeigt, dass hier einiges schief läuft. Wenn ein Bahnvorstand Umverteilungsprozesse anstrebt, und zwar von unten nach oben, dann ist das nicht in Ordnung. Deshalb haben wir das nicht zugelassen. Jetzt erfolgt die Verteilung ein Stück weit anders. Auch die Frage, was wir am Ende des Tages mit dem Bahnsystem machen, ist noch nicht abschließend beantwortet. Die neue Bundesregierung muss sich Gedanken machen, wie die Bahn aufgestellt ist. Wir haben es hier mit einer Aktiengesellschaft zu tun, die gegründet wurde, um an die Börse zu gehen. Wenn man bedenkt, dass die Bahn ein sicheres und vor allen Dingen umweltfreundliches Verkehrsmittel ist, möchten wir darum bitten, dass sie so aufgestellt wird, dass sie dieser Aufgabe am besten nachkommen kann. Denn dafür ist sie nicht richtig aufgestellt. Wenn dieses Unternehmen mit seiner Infrastruktur als Aktiengesellschaft weitergeführt wird, dann versenken wir Steuermilliarden in ein ineffizientes System.

Sie sind der wahrscheinlich bekannteste Gewerkschaftsvertreter der Bundesrepublik ...

... und der meistgescholtene!

Richtig. Nach einer Umfrage haben 53 Prozent der Deutschen kein Verständnis für den jüngsten Streik. Wie reagieren Sie auf solche Zahlen?

Wir erwarten keine Zustimmung der Betroffenen. Es wird nie so sein, dass diejenigen, die nicht Zug fahren können, uns auch noch Beifall klatschen. Aber bei 53 Prozent bleibt doch immer noch die Hälfte, die weiß, dass man nur im Arbeitskampf zu solchen Ergebnissen kommen kann. Ich bin kein Berufsoptimist, aber ich bin schon optimistisch. Und deshalb sage ich, dass die veröffentlichte Meinung nicht mit der öffentlichen Meinung übereinstimmt.

Unsere Kollegen und Kolleginnen lassen sich auch lieber loben für pünktliche Züge. Aber die wissen auch, dass diese Eisenbahn genau das nicht mehr ist. Und wenn jetzt über die nächsten 24 Monate Tariffrieden ist, dann ist diese Eisenbahn trotzdem nicht pünktlich und zufriedenstellend unterwegs. Das hat Ursachen. Und dafür sind nicht die Lokführer, Zugbegleiter und Fahrdienstleiter verantwortlich.

Erhalten Sie Hass-Botschaften?

Ja die ganze Bandbreite. Aber es ist meine Aufgabe, unsere Mitglieder zu vertreten. Da kann ich nicht, weil der Wind etwas stärker weht, einfach hinwerfen. Wenn man eine Führungsfunktion hat, dann muss man die auch leben.

24 Monate Tariffrieden. Wird es danach wieder Streiks geben?

Bis 31. Oktober 2023 gilt unser Tarifvertrag, und da ist Friedenspflicht. Die Frage, ob es dann einen Arbeitskampf gibt – vor allem wegen der Frage, wen wir tarifvertraglich erfassen dürfen – die würde ich eher mit Nein beantworten. Wir haben von 2007 an in drei großen Streikaktionen den sichtbaren Beweis angetreten, dass Freiheitsrechte sich nicht abbedingen lassen, dass Koalitionsfreiheit ein unabdingbares Gut ist. Deshalb glaube ich nicht, dass im Jahre 2023 nochmal jemand auf die wahnwitzige Idee kommt, Steuermillionen zu verbrennen, um zu behaupten, dass wir nicht Tarifverträge für alle unsere Mitglieder abschließen dürfen.

Sie sind Gewerkschaftsführer und CDU-Mitglied. Schlagen da zwei Herzen in Ihrer Brust?

Nein. Überhaupt nicht. Ich bin in der CDU, weil ich sehr konservativ bin. Das ist mein Naturell. Aber ich verankere diese Gewerkschaft nie an einer Partei. Ich halte das für den größten Fehler überhaupt. In meiner Gewerkschaft ist die Bandbreite des gesamten politischen demokratischen Lebens in unserem Land verankert. Und die kann ich nur auf gewerkschaftspolitische Ziele fokussieren. Nicht auf die Frage, ob diese Gewerkschaft in Richtung grün, gelb, blau, schwarz oder rot geht. Die Neutralität im inneren Kern ist von entscheidender Bedeutung. Sonst fängt man an, die eigene Mitgliedschaft zu spalten.

Herr Weselsky, vielen Dank für das Gespräch.

Über den Gesprächspartner:
Claus Weselsky ist Bundesvorsitzender der Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL). In dieser Funktion erzielte er nach mehreren Streiks eine Tarifeinigung mit der Deutschen Bahn AG.
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