• Postangestellte haben in den letzten Jahren unterdurchschnittliche Lohnerhöhungen erhalten.
  • Verbraucher und Unternehmen leiden unter der hohen Inflation.
  • Auch im öffentlichen Dienst und bei der Bahn könnten schwierige Verhandlungen anstehen.

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Die letzte Lohnerhöhung für Postangestellte habe im Januar 2022 bei 2 Prozent gelegen, sagt die Gewerkschaft Verdi. Daher sieht die Arbeitnehmervertretung nun Handlungsbedarf. Zahlen des Statistischen Bundesamtes zeigen: Im Jahr 2021 verdienten die Mitarbeitenden in der Zustellbranche laut Statistischem Bundesamt 6 Prozent mehr als noch vor zehn Jahren. Die Verbraucherpreise stiegen im selben Zeitraum um 14,6 Prozent.

Knapp ein Drittel der Beschäftigten in der Zustellbranche arbeiten in sogenannter "atypischer" Beschäftigung, erklärt die oberste Statistikbehörde des Bundes. Das bedeutet entweder befristete Arbeit, Teilzeit mit weniger als 21 Wochenstunden, geringfügige Beschäftigung oder Zeitarbeit.

Dem gegenüber steht innerhalb der Branche der Post-, Kurier- und Expressdienste eine deutliche Umsatzsteigerung. Innerhalb von zehn Jahren hat sich dieser von 27,5 auf 54,4 Milliarden Euro im Jahr 2020 erhöht. Die Post erwartet laut Verdi für das Jahr 2022 einen Gewinn von 8,4 Milliarden Euro vor Zinsen und Steuern. Die Auseinandersetzungen im Arbeitskampf werden daher nun härter. Nach den gescheiterten Gesprächen drohen jetzt längere Streiks bei der Post.

Druck auf Verbraucher steigt

Doch an der Haltung der Gewerkschaft gibt es auch Kritik. Die Forderungen von Verdi liegen zum Teil deutlich über denen anderer Gewerkschaften und oberhalb der Inflation. Dies erklärt Hagen Lesch, Arbeitsmarktexperte am Kölner Institut der deutschen Wirtschaft. Diese Forderung "missachtet, dass die hohen Energiepreise Unternehmen und Arbeitnehmer gleichermaßen belasten", sagt Lesch.

Der Experte weist darauf hin, dass in diesem Jahr 136 Milliarden Euro mehr für importierte Energie bezahlt werden müsste. Dies treffe Verbrauchende, Unternehmen und Kommunen. Lesch fordert vielmehr, dass die bisherigen Entlastungspakete der Bundesregierung auch in die Tarifverhandlungen mit eingehen sollten.

Solche Lohnzuwächse habe es zuletzt in Ostdeutschland zu Zeiten der Wiedervereinigung gegeben, "mit dem Effekt sinkender Beschäftigung", sagt Karl Brenke vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) in Berlin mit Blick auf die Forderungen. Auch wenn die Post zuletzt Gewinne eingefahren habe, müsste die Produktivität in gleichem Maße wie die Lohnforderungen wachsen, sagt Brenke.

Da dies unwahrscheinlich sei, hätte dies wohl steigende Portogebühren zur Folge. Dies heize die Inflation weiter an und könne auch zu Jobverlusten führen. Letztlich dürfte dies die Post über die dadurch zurückgehende Nachfrage im Versandhandel zu spüren bekommen, glaubt der Experte.

Reallöhne sind gesunken

Viele Verbraucher haben in den letzten Monaten ohnehin schon deutlich die Folgen der Inflation zu spüren bekommen. Die Reallöhne seien 2022 im Vergleich zum Vorjahr um 4,6 Prozent gesunken, sagt Enzo Weber. Er ist Wirtschaftsforscher am Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung der Bundesagentur für Arbeit in Nürnberg. Denn obwohl die Löhne vieler Menschen in letzter Zeit gestiegen sind, seien diese Zuwächse durch die höheren Lebenshaltungskosten wieder aufgefressen worden, erklärt der Forscher.

Warnstreik

Warnstreiks bei der Post: Jedes fünfte Paket bleibt liegen

Verdi pocht weiterhin auf 15 Prozent mehr Geld für die Beschäftigten, das Management schüttelt bei so einer hohen Zahl den Kopf.

Während also Verbraucher aktuell schon unter größerem Druck stehen, befinden sich Arbeitnehmer gegenwärtig in einer besseren Ausgangslage für Tarifverhandlungen: Dies liegt daran, dass es wenige verfügbare Arbeitskräfte gibt. "Heute sind sie so knapp wie seit dem Wirtschaftswunder nicht mehr", sagt Weber. Dies gelte auch für den Bereich, in dem keine hohe Qualifikation erforderlich sei. Die Arbeitnehmenden haben dadurch eine entsprechend höhere Verhandlungsmacht.

So nehmen die Spannungen immer weiter zu zwischen Angestellten, die Inflationsverluste ausgeglichen haben wollen, und Unternehmen, die ihre gestiegenen Kosten decken müssen. Dem gegenüber stehen die Verbraucher, die bisher schon unter der Inflation leiden und die durch höhere Lohnabschlüsse im Alltag noch mehr zahlen könnten.

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Auch andere Branchen drohen mit Streiks

Derweil weiten sich die Streiks auf immer mehr Branchen aus. In letzter Zeit gab es im öffentlichen Dienst immer wieder Streiks und auch für die Zukunft ist dies weiterhin möglich. In die dortigen Verhandlungen sind Verdi und der Beamtenbund dbb mit einer Forderung von 10,5 Prozent eingestiegen.

Zudem kündigte Verdi an, am Freitag an Flughäfen streiken zu wollen. Auch andere Gewerkschaften haben sich bereits zu Wort gemeldet. Die Eisenbahnergewerkschaft EVG hat diese Woche bekannt gegeben, dass sie mit einer Gehaltsforderung von 12 Prozent in die diesjährigen Tarifverhandlungen einsteigt. Es könnten daher auch bei der Bahn Streiks drohen.

Damit haben die aktuellen Arbeitskämpfe schon erkennbar eine Signalwirkung auf andere Branchen gehabt, sagt Arbeitsmarktforscher Weber: "Eine Tarifrunde mit Forderungen deutlich über 10 Prozent und in einem Bereich mit starker Arbeitskräfteknappheit erregt sicherlich Aufmerksamkeit."

Über die Experten:
Prof. Dr. Enzo Weber ist Leiter des Forschungsbereichs “Prognosen und gesamtwirtschaftliche Analysen” und Inhaber des Lehrstuhls für Empirische Wirtschaftsforschung am Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung der Bundesagentur für Arbeit in Nürnberg.
Dr. Hagen Lesch ist Leiter des Themenclusters Arbeitswelt & Tarifpolitik am Institut der deutschen Wirtschaft Köln.
Karl Brenke ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Abteilung Makroökonomie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung Berlin.

Verwendete Quellen:

  • Ver.di: Tarifrunde Deutsche Post AG: ver.di fordert Arbeitgeber zur Vorlage eines einigungsfähigen Angebots auf
  • Statistisches Bundesamt: Verdienste bei Post- und Paketdienstleistern in den vergangenen zehn Jahren mit 6 % unterdurchschnittlich gestiegen
  • EVG: Tarifrunde 2023: EVG fordert 12 Prozent, mindestens aber 650 Euro mehr im Monat
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